NIGHTHOWL BAY - Herzfinsternis

01: "Der Anfang ist das Ende"

19.02.2017 - Nighthowl Bay, Maine:
20:54 Uhr...

In Nighthowl Bay ist es ruhig, wie an jedem anderen Tag auch. Im Dorf hört man die Möwen und die Sonne ist allmählich am dämmern. Die kleine Stadt in Maine ist ein Ort voller Ruhe und Liebe, wie ihn es sonst kaum auf der Welt gibt. Der Wind pfeift durch die kaum befahrenen Straßen, während in den Nachbarschaften die Menschen in ihren Gärten sitzen und dem beruhigenden Klang des Meeres lauschen. Der berühmte Leuchtturm, welcher das Wahrzeichen von Nighthowl Bay ist, hat sich just in diesem Moment angeschaltet und strahlt über das ganze Dorf, im verschlafenen Maine.

In der Greengarden Street, dem zweiten Haus von rechts, wohnt seither die Familie Smith. Um genauer zu sein, die Mutter Antoinette, zusammen mit ihrer Tochter Cecille. Das Haus der Smiths ist nicht groß, aber reicht für die beiden vollkommen aus. Als die sechzehnjährige Cecille vor all den Jahren geboren wurde, verließ ihr Vater die Familie und hinterließ den beiden das schöne Haus in dem kleinen Dorf. Ihre Schwester Deanna zog vor geraumer Zeit nach Boston, um ihr eigenes Leben zu beginnen, fernab von all dem Familiendrama, welches das Leben der verbliebenen Frauen in den letzten Jahren prägte. Sie sind nicht im Streit auseinandergegangen, aber für Cecille fühlte es sich aufjedenfall so an. Sie vermisst Deanna, aber das Leben geht dennoch weiter. Oder?

In Nighthowl Bay gibt es eine High School, welche etwas weiter aus dem Ort entfernt liegt, aber dennoch für die Schülerinnen und Schüler zu Fuß zu erreichen ist. Dort gehen Cecilles Freunde Jeanette Brown und Sandrine Black zur Schule, die einen hohen Stellenwert in dem eintönigen Leben der Musterschülerin haben. Vor kurzem wechselte Cecille auf die 'Nighthowl High' - wie man die Schule lokal nennt - da sie durch "mehrere Einschränkungen, in ihrem geistigen Wohlbefinden", ihre alte Schule verlassen musste. Diesen aufgesetzten Stempel hat sie ihrer Psychologin zu verdanken, welche mit diesen Worten ganz nett ausdrückte, dass Cel scheinbar  die ein oder andere Schraube locker hat.
Denn obwohl Cecille Smith nach außen nett und einfühlsam wirkt, kennen nur die wenigen die dunkle Wahrheit. Cecille hat eine extrem ausgeprägte Form von Depressionen. Oft weint sie sich in den Schlaf und die dunklen Gedanken, welche so gut wie nie einen triftigen Grund haben, vernebeln ihr ihren unschuldigen Verstand.

In Cecilles Zimmer scheint, wie so oft, das Licht des Leuchtturms hinein, welches ihren hölzernen Schreibtisch anleuchtet. Auf ihrem Schreibtisch liegen Notizen aus ihrem heutigen Unterricht und auch ein kleiner Zettel, welcher an ihre Freundin Sandrine gerichtet war. Die Stifte aus ihrem Etui liegen verteilt über den unaufgeräumten Schreibtisch, während Cecille mit geschlossenen Augen auf dem Bett sitzt. Ihre blonden - schulterlangen - Haare fallen ihr ins Gesicht, da sie vor sich Bilder liegen hat, welche sie sehr traurig stimmen. Cecille trägt einen gestreiftes Shirt, mit einer silbernen Kette, welche sie vor langer Zeit von Sandrine geschenkt bekam. Sie schaut auf ihren Nachttisch wo fluffige Teufelsohren liegen, mit welchen sie spaßeshalber mal Bilder für ihre Social Media Accounts aufgenommen hat. Über den Einfall lässt sich streiten, aber lustig findet die junge Smith es allemal, da Social Media für sie - genauso wie vielen anderen Jugendlichen in Maine - die Flucht aus dem öden Leben am Meer ist.

Cecilles Gesicht ist verschmiert, da sie bitterlich geweint hat. Ihr Eyeliner läuft ihre Wangen hinunter, während sie sich flimmernd im Spiegel anschaut. Cel runzelt ihre Stirn und schaut sofort woanders hin. Sie hasst sich selbst.
Auf andere Menschen wirkt sie attraktiv und selbstbewusst, aber sich selbst findet sie abgrundtief hässlich. Durch ihre Krankheiten, war sie mal an der Grenze zur Magersucht und findet sich selbst viel zu unfeminin, im Gegensatz zu anderen Mädchen, wie zum Beispiel ihre bildhübsche beste Freundin Jeanette, oder eben - die Gothic liebhabende - Sandrine.
"Lächerlich. Du bist wunderschön!", sagt Jean immer zu ihrer besten Freundin, aber etwas ändern tut sich nicht. Zurzeit ist Antoinette außer Haus, mit einer Freundin der Familie und Cecille ist ganz alleine. Vor ein paar Minuten kommentierte sie einen Beitrag auf Instagram. Dieser Beitrag war ein Witz, über junge Mädchen aus dem nahgelegenen Rosewood, welche Depressionen als "Trend" dem man hinterherlaufen muss. Fast genauso wie ihre Mutter, oder ihre Tante Dalia. Antoinette liebt ihr Kind, dies steht außer Frage, aber die selbst noch ziemlich junge Mutter ließ ihren Frust, über den Verlust ihres Mannes, oft an Cecille aus, welches das ein oder andere Mal, ein paar blaue Flecke verursachte.

Sie greift nach ihrer Kette, welche die Form eines bestimmten Zeichens hat. Ihr Sternzeichen, welches 'Fische' ist. Sie glaubt fest an Vorhersehung und teils auch an das Übernatürliche, da der Gedanke ihre suizidalen Wünsche stärkt, gegen die sie nie ankommt. Ihre liebsten Serien sind auch diese wo es das Übernatürliche gibt, zum Beispiel wie in einer der aktuell beliebtesten von CW 'The Originals', oder 'Supernatural'. Stolz hat sie 'Pisces' in ihrer Instragram Biografie stehen, wobei sie nicht einmal oft Bilder postet. Sie ist sich viel zu unsicher dafür.
Unter dem Beitrag schrieb sie,
"In meinen Augen sind Witze über solche Krankheiten unterste Schublade. Jeden Moment könnte sich ein Mensch, wie ich, das Leben nehmen und ihr scherzt darüber. Jedes Leben ist etwas Wert, ihr Pisser, also denkt bevor ihr schreibt.", teilte die angenervte Cecille unter den trendenden Beitrag. Cecille kehrt mit ihrem Arm sanft über ihr Bett und lässt die Bilder von Sandrine und ihr auf den Boden fallen. Sie öffnet mit der linken Hand ihre Nachttisch-Schublade und holt etwas heraus. Eine kleine Klinge. Ein Rasiermesser.

Sie schaut sich die Klinge an und schließt die Augen.
"Es tut mir so unfassbar leid, Sandrine. Jeanette... Deanna. Aber unerwiderte Liebe ist der schlimmste Schmerz den ich jemals spüren musste. Ich wollte dir die Welt zu Füßen legen, aber du liebst mich einfach nicht, Sandrine. Ich habe zu viele Fehler gemacht. Als ich dich damals in dieser einen Nacht traf, ist es direkt passiert. Alles drehte sich nur noch um dich.", murmelt Cecille lächelnd, doch beginnt schnell zu schluchzen.
"Und... Ich bin nicht so stark wie du. Du bist begeistert von Bikern. Von Blut und Tod, aber selbst dieser ganze Kram schreckt mich nicht ab. Ich liebe dich doch so unfassbar.", keucht Cecille mit einer bebenden Stimme und immer leiser werdenden Stimme. "Ich wünschte einfach ich hätte dir niemals gesagt wie ich fühle."
Ihr laufen die Tränen über die Wangen. Sie nimmt die Klinge und streckt ihren Arm weit aus. Als sie die Faust ballt und sich ihre Vehnen anspannen, um einfacher in ihre zarte Pulsader schneiden zu können, vibriert ihr Handy. Für einen kurzen Moment hält sie inne.
"Sandrine.", lächelt Cecille und geht an ihr Handy. Aber statt einer Nachricht von Sandrine, sieht sie eine Benachrichtigung auf Instagram aufploppen. Eine private Nachrichtenanfrage. Sie sieht, dass die Person als Profilbild ein altes Herrenhaus hat und nicht gerade viele Follower besitzt.

Sie öffnet schnell ihre DMs und sieht die Nachricht von Jakob Blossom.
"Alles gut bei dir? Dein Kommentar war ziemlich emotional geladen.", fragt Jakob interessiert über den Instagram Messenger, da scheinbar auch er den Beitrag gesehen und geteilt hatte. Cecille atmet schwer aus, da sie nicht weiß wer diese Person ist. Sie schaut auf den Standort der Person, welcher 'Nighthowl Bay, Maine' anzeigt. Noch eine Nachricht kommt hinein. "Lass den Scheiß mit dem Suizid und rede mit jemanden drüber. Ist affig sowas zu kommentieren. Hast du keine Vertrauensperson? Deine Mom, oder deinen Dad?", schreibt Jakob frech, aber keinesfalls böse. Cecille muss über diese ironische Unverschämtheit lachen und öffnet den Messenger. "Hey.", tippt sie ein und schickt die Nachricht ab.

Ja, sie glaubt an Schicksal und Vorsehung. Aber niemals hätte sie geahnt auf welch' merkwürdigen Pfad dieser schicksalhafte Tag sie schicken würde. Und nicht nur sie, gar die ganze Welt.