5.03: "Die Mahd"

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Nach der ruinierten Trauerfeier für Cecille, steigt Xander sauer aus der Fahrerseite des Autos. Gabe und Lily folgen ihm kurz später, aus jeweils anderen Türen des teuren Wagens.
Xander geht wortlos auf den Brunnen zu, der im schier endlosen Vorgarten des Anwesens steht und lehnt sich schwer atmend an diesen an. Lily bemerkt die aufgewühlte Laune ihres großen Bruders und tippt Gabe leicht an.
"Gabe, du musst mit ihm reden. Xander war nicht mehr so sauer seit...du weißt schon.", flüstert sie ihm leise zu, während sie ihn mit runden Augen anschaut. Gabriel zieht sich seinen Hut auf und nickt seine Schwester leicht an.
"Wir alle sind in Trauer über Cel, aber Xander..er ist sonst immer so...ich weiß nicht, so stark. Der Verlust unserer Mutter und jetzt auch noch der seiner verlorenen Schwester, muss ihm alles andere als leicht fallen.", gibt er ihr Recht und umarmt seine Schwester kräftig.
"Danke, Lily.", flüstert er in der innigen Umarmung und lächelt breit.
"Geh zu Shawn. Ich rede mit ihm."

Lily nickt und geht sofort in Richtung der großen Haustür. Gabe steht auf der leeren Einfahrt des Anwesens, als das Licht der Sonne beginnt am Himmel zu verschwinden.
Er schaut Xander an und weiß nicht was er sagen soll. Langsam geht er auf ihn zu und stellt sich neben ihn an den Brunnen, wo beide das plätschernde Wasser beobachten und kein einziges Wort sagen.

"Nicht mal diesen Brunnen kann ich anschauen, ohne an Verlust und Leid zu denken.", grummelt Xander mit geschlossenen Augen, als er bemerkt, dass Gabe sich zu ihm gestellt hat. Sein Bruder legt einen Arm über seine Schulter und hält für einen Moment inne.
"Wenn unsere Familie nicht verflucht ist, weiß ich auch nicht weiter.", scherzt Gabe leicht und nickt zustimmend.
"Wenn ein Problem gelöst ist, kommt direkt das nächste. Ich meine, niemals hätte ich mir ausmalen können, dass wir ohne Mutter groß geworden sind, nur weil eine Sekte seit Ewigkeiten ihre religiösen Triebe auslebt.", fährt er fort und äußert sein Entsetzen über Akrasia deutlich. Xander öffnet seine Augen, von dem sein blindes leicht im Wasser reflektiert.
"Ach, rede doch nicht so einen Mist. Ich habe genauso getötet wie Ryder. Chrysalis, Greyfork und noch so viele mehr. Sie sind alle weg. Für immer.", grummelt Xander Gabe an und scheint an eine Person zu denken, welche seine Erinnerungen schon seit vielen Jahren nicht mehr gekreuzt hat.

Plötzlich drängelt er Gabes Arm von seiner Schulter und richtet sich auf.
"Nein, Akrasia ist etwas ganz anderes. Du hast-", versucht Gabe die Laune zu heben, aber er unterbricht ihn.
"Ich habe gemordet! Es vergeht kein Tag an dem ich den Schuss der Pistole und das Spritzen des Blutes von ihr nicht sehe. Oder Greyforks angsterfülltes Gesicht, als ich ihm das Messer in den Bauch gerammt habe. Ryder hat Recht, wir sind Sünder.", erklärt er Gabe aufgebracht und schüttelt mit einem gequälten Gesichtsausdruck seinen Kopf.
"Wir können nichts gegen diese Leute tun! Es sind zu viele. Akrasia hat HUNDERTE von Mitgliedern. Es würde in einem Bürgerkrieg enden und dann wären sie alle Tod. Deanna, Jean, Toni, Sandrine, Jakob, Finn. Sie würden alle sterben. Du weißt was Ryder getan hat und wozu er fähig ist. Wir müssen uns damit abfinden. Wir haben verloren. Keine Pläne mehr und keine Intrigen. Sie sind stärker und besser als wir. Und das musst du akzeptieren. Menschen zu töten ist nicht immer die Lösung, Bruder.", bricht der Frust aus Gabe heraus und seine Stimme beginnt zu beben.

Xander geht auf Gabe zu und schlägt ihm mit seiner Faust direkt in's Gesicht. Gabe taumelt etwas nach hinten und fasst sich schnell an sein erschrockenes Gesicht. Er blickt Xander schockiert an.
"Wieso glaubst du nicht an uns?", fragt Xander mit zitternder Stimme und ihm läuft schnell eine Träne hinunter. Gabe runzelt seine Stirn und hebt seine Faust. Xander tritt ihm gegen das Schienbein und schlägt seinem Bruder erneut in's Gesicht.
"WIESO GLAUBST DU NICHT AN UNS?", schreit er ihn an und ihm klebt das Blut aus Gabes laufender Nase an der Faust. Gabe bekommt kein Wort raus und schaut ihn verwirrt und schmerzerfüllt an. Xander geht harsch auf ihn zu und umarmt ihn kräftig.
"Ich wünschte, ich könnte nicht eine einzige Sache fühlen.", weint Xander in den Armen von Gabe und bricht zusammen. Gabriel schaut überfordert einher und legt seine Arme um den Trenchcoat seines Bruders.
"Lass uns nach Hause gehen.", flüstert Gabe und klopft ihm auf die Schulter, als der Mond nun gänzlich am Horizont erstrahlt.

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Die Tür des Kent Rock Manors öffnet sich. Xander und Gabriel kommen brüderlich innig hinein, während Gabe sich mit einem Taschentuch die Nase putzt.

Xander wischt sich durch sein Gesicht, aber als er seine Augen öffnet ist er überrascht. Lily und Shawn stehen beide mit offenem Mund und einem Brief in der Hand vor der riesigen Treppe, die durch alle Etagen des Anwesens führt. Sie richten ihre Augen zu den beiden Brüdern und bekommen kein Wort heraus.

Xander und Gabe stehen verwirrt vor den beiden und werden nichtmals auf die Spuren ihrer Prügelei aufmerksam gemacht.
"Lily? Shawn?", fragt Xander ernst, da die beiden wie festgefroren die beiden bleich anstarren.

Lily hält den Brief in ihrer zitternden Hand, während ihr ihre blauen Haare im Gesicht hängen.
"S...Shawn...bitte sag du...e..es.", stottert sie und lässt den Brief fallen. Shawn steht ebenfalls schockiert in seinem vornehmen dunkelroten Anzug da und versucht seine Gedanken zu ordnen.
"Brüder...die Vergangenheit ruft.", flüstert er und schließt unsicher seine Augen.

Xander geht auf Shawn zu und greift nach seinen beiden Armen,
"Was ist denn los, mein Güte? Ihr seht so als hättet ihr-"
"Einen Geist gesehen? Technisch gesehen...ja.", vervollständigt Shawn den Satz seines großen Bruders. Lilys Beine zittern und sie schaut Gabe ängstlich an.
"Wir sind verloren.", flüstert sie leise und geht auf die Knie. Gabriel geht schockiert zu Lily und bückt sich zu ihr hin.
Er sieht den Brief der auf dem Boden liegt und traut sich kaum nach diesem zu greifen. Doch er tut es.

Seine Pupillen weiten sich.

"Zurück von den Toten, alter Freund. Lass uns reden. Ich hab' dich vermisst.
~ Raven",

liest Xander den Brief laut vor. Gabe reißt seine Augen auf.
"Unmöglich. Du hast-", will er einwerfen, aber Xander vervollständigt seinen Satz sofort.
"Sie getötet. Ich weiß."

"Woher habt ihr diesen Brief?", fragt Xander und schaut Lily und Shawn ernst an. Die beiden sagen kein Wort.

"WOHER HABT IHR IHN?", schreit er, bis Gabe seinen Arm greift.
"Schrei nicht so.", murmelt er in sein Ohr, aber versteht die Gefühle seines Bruders vollkommen. Shawn dreht sich zu Xander und zieht sich am Ärmel seines Hemdes
"Wir kamen her und er war einfach da.", antwortet er ihm nun doch.
"Hier ist kein Absender drauf, aber der Brief kommt aus Rosewood. Es ist kein Trick.", ergänzt Shawn dazu. Xander fasst sich mit seinen Händen an den Kopf.
"SO EINE SCHEIßE!", brüllt er und tritt gegen den Beistelltisch, welcher am Eingang der Tür steht. Das Holzbein bricht kapput und der Tisch kracht in sich zusammen.

Gabe greift nach der Schulter seines Bruders.
"Wir müssen zurück. Wenn Raven überlebt hat, sind wir in Gefahr. Du hast ihr alles genommen...und wenn sie Rache will, wird Rosewood leiden. Wir können es nicht einfach so untergehen lassen.", redet Gabe Xander logisch eine Rückkehr in ihre alte Heimat ein. Lily steht auf und schüttelt den Kopf.
"Und Nighthowl Bay? Akrasia? Wir können sie nicht alle zurücklassen, sie brauchen jede Unterstützung die sie haben können. Finn auch...", versucht Lily den Gedanken ihres Bruders verschwinden zu lassen. Shawn nickt und schaut Gabe entsetzt an.
"Du warst immer der Vernünftigste von uns. Und jetzt willst du zurück? Nach allem was wir ihr angetan haben?", fragt Shawn ihn entsetzt.

Bevor Gabe sich rechtfertigen kann, dreht Xander sich zu den Anderen und hat einen wütenden Gesichtsausdruck aufgelegt.
"Was würde Nick jetzt zu euch sagen? Wenn Gabe es so entscheidet, dann werden wir es machen. Ihr wisst genau was bestimmt ist.", weist er die anderen zurecht.
"Es liegt an dir. Bruder.", gibt Xander das Kommando ab und schaut Gabe lächelnd an. Er vertraut ihm.

Ein kurzer Moment voller Stille erfüllt das Anwesen der Prawls.

Gabriel zieht seinen Hut ab und hält ihn fest umklammert in seiner Hand.
Er lächelt Xander nun ebenfalls an.
"Wie ich eben schon sagte. Lass uns nach Hause gehen.", entscheidet er sich und greift nach den Brief. Er faltet ihn zusammen und steckt ihn in seine Hosentasche. Xander nickt und zieht sich seinen Trenchcoat zurecht,
"Wir verlassen Nighthowl Bay noch heute Nacht."

[Siehe "Rosewood - Erben der Nacht"]

NIGHTHOWL BAY - HerzfinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt