6.02: "Die Beichte"

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Warm scheint die Sonne durch die halb geschlossenen Rollos einer Praxis. Grün sprießen die Blüten einer Engelstrompete in den ehemaligen Räumen von Dr. Valorie Sylvesters Arztpraxis.
Auf einem beigen Stoffsessel sitzt Prof. Dr. Dr. Kline. Die fünfunddreißig Jahre alte Psychologin schiebt sich vorsichtig ihre schwarze Brille die Nase hoch.
Sie trägt einen grauen Blazer und eine weite weiße Hose, mit einem, ebenfalls weißen, Hemd kombiniert.

Durch das halb geöffnete Fenster wehen ihre langen roten Haare seicht hin und her.
Sie hält in ihrer Hand einen kleinen Notizblock, auf dem viele bunte Sticker von ihrer Tochter kleben.
Für ihr Alter sieht die gebürtige Amerikanerin noch ziemlich jung aus.

"Du bist so verschlossen. Wir haben bei unseren letzten Sitzungen immer nur über das geredet, was alle wissen. Ich sehe in diesen Informationen keinen Auslöser für irgendeine deiner Krankheiten.
Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen, Borderline, Schizophrenie und Zwangsstörungen, aufgrund deiner Traumatas. Wir kennen uns jetzt fast ein halbes Jahr.
Und ich würde dir wirklich gerne helfen, Sandrine.", spricht Haylin Kline ihr vertraut zu.

Gegenüber von ihr sitzt Sandrine, auf einer ebenfalls beigen Couch. Sie hat die Hände zusammengefaltet und schaut auf die Engelstrompeten.
"Wieso stehen diese Pflanzen hier? Sie sind hochgiftig.", fragt Sandrine sie in einer brüchigen Stimme.
In den letzten Jahren sind die Haare der Black gewachsen.
Sie trägt nun einen Mittelscheitel und ihre Frisur ragt mittlerweile bis über ihre Schultern hinaus.
Haylin überschlägt ihre Beine und schaut Sandrine überrascht an, da sie nicht dachte dass die Black diese Pflanze erkennen würde.
"Meine Tochter liebt Engelstrompeten. Sie sind tödlich, aber wunderschön. Sie ist gerade erst zwölf, aber genießt die Schönheit dieser Pflanzen immer aus sicherer Entfernung. Sie weiß was diese Pflanze anrichten kann. Unscheinbar, aber trotzdem hochgefährlich.
Wie manche Menschen. Woher kennst du die Engelstrompeten, Sandrine?", fragt Haylin sie und setzt ihren Stift zum schreiben an.

Sandrine atmet schwer aus und richtet sich etwas auf.
"Meine Schwester kam als kleines Kind einmal mit ihnen in Berührung. Sie musste ins Krankenhaus und es gab großes Theater. Mom dachte sie würde sterben, aber ich nicht. Ich hielt an ihr fest. Sie war ein sehr empfindliches Kind. Und so süß.", lächelt Sandrine und reibt sich leicht die Augen.
"Deine Schwester, Chrysalis. Sie wurde ermordet, du hast mir das in der Sitzung vom 23.05 erzählt. Und du warst dabei?", versucht Haylin etwas genauer Sandrines Psyche zu erkunden. Sandrine nickt und streift sich durch die Haare.
"Ich rede nicht oft über sie, aber ja. Sie wurde vom Leben gezeichnet, so wie wir alle. Sein Name war Xander, er hat sie getötet. Vor den Augen von mir und meinem damaligen neuen Freund. Cecille war auch dabei. Sie wissen schon, ich habe es Ihnen erzählt."

"Cel war diejenige die meine Selbstverletzung zuließ und mir diese Narbe verpasste.", erklärt Sandrine und hebt leicht ihren Kopf an.

Sie zeigt auf die Narbe ihrer alten Schnittwunde, am Hals.

"Trotzdem wurde sie über die Zeit...zu einer Schwester. Sie hat Fehler gemacht, keine Frage, aber sie war da.
In meinen dunkelsten Stunden.", fährt Sandrine fort und räuspert sich etwas.
Haylin legt ihren Block ab und schaut Sandrine intensiv an.
"Die ganze Stadt kennt euch. Dich, Sheriff Smith, Jeannette und Jakob Blossom, samt Finn Seed. Ihr habt alle vor fast zwei Jahren im Krieg gegen Akrasia gekämpft. Du redest nie über diese Zeit.", bohrt sie langsam weiter auf die Black ein. Sandrine nickt und trinkt einen Schluck, des auf dem Tisch stehenden, Wassers.

"Bürgerkrieg ist nie etwas schönes. Keine Frage. Aber um dir wirklich helfen zu können, musst du mir sagen, was dir auf dem Herzen liegt. Ich habe bereits mit Pater Harold geredet, aber er kann sich ebenfalls kaum vorstellen was ihr alle durchmachen musstet.", sagt Haylin und baut immer mehr eine Brücke zwischen sich und Sandrine auf.

Der Wind lässt den betörenden Duft der Engelstrompeten in Sadrines Nase dringen. Sie hebt ihren Kopf langsam an und blickt Haylin ernst an.
"Ich habe Menschen getötet. Um ehrlich zu sein weiß ich schon gar nicht mehr wie viele. Im Krieg und vor dem Krieg. In der letzten Schlacht habe ich jemanden umgebracht der um Gnade gefleht hat. Er schrie und winselte, dass er ein Kind erwarten würde und nicht bereit ist zu sterben. Aber mir war es egal. Ich drückte den Abzug und sein Hirn verteilte sich auf dem Gras der Wiese.", gesteht Sandrine ihr ihre Taten.
"Und als der Kampf vorbei war, habe ich fast meinen Freund getötet. Ich fühlte mich verraten und habe ihn fast zu Tode geprügelt."

"Und wissen Sie was er tat? Er hat mir vergeben. Seine Gnade war stärker als sein Zorn und ich verstehe bis heute nicht wie ein Mensch so stark sein kann...ich war noch nie so stark.", fügt sie mit brechender Stimme hinzu.

Haylin trinkt ebenfalls einen Schluck Wasser und stellt ihr Glas wieder ab.
"Diese Wut ist in jedem Menschen von uns verankert. In manchen mehr und in manchen weniger, ich denke jede Person sieht einmal rot in ihrem Leben. Im Grunde ist es auch nichts schlimmes, aber die Grenze ist bei jedem Individuum unterschiedlich.
Dann kommt es nur drauf an zu was du fähig bist und grundlos getötet hast du anscheinend nie. Dieser Fakt unterscheidet dich von einem Killer. Von den Menschen, mit denen ihr bisher zutun hattet.", erklärt sie ihr und hebt ihren Notizblock wieder auf.
"Aber wie ich getötet habe. Ich sehe heute noch wie ich diesem Arschloch in der Kirche den Schädel eingeprügelt habe.", seufzt Sandrine und fängt an, ihren Unterarm stark zu kratzen.

"Du sagtest dein Freund hat dir vergeben, in welchem Verhältnis steht ihr heute zueinander?", fragt Haylin sie interessiert.

* Ring Ring Ring *

Plötzlich hallt der Ton von Sandrines Handy durch den Raum.
"Sandrine, Handys sind hier doch verboten.", grummelt Haylin und zieht ihre Augenbrauen hoch.

>> Eingehender Anruf von 'Mama Bär'<<

steht auf dem Display.
"Es ist Deanna. Ich muss da kurz rangehen.", merkt Sandrine an und steht auf.
Haylin seufzt und sieht Sandrine wie sie sich in Richtung Praxistür begibt.
Sie nimmt den Anruf an.
"Deanna?", fragt Sandrine sofort.
"Sandrine, ich habe beschissene Neuigkeiten. Wir haben ein Problem.", antwortet Deanna sofort am anderen Ende der Leitung.

Sandrine runzelt ihre Stirn und greift an die Klinke der Tür und öffnet diese.
"Ich bin in ner' Sitzung. Kann das nicht etwas-", verstummt sie plötzlich, als sie etwas hört.

Ein lautes rotierendes Geräusch ist von draußen zu hören.

Sie rennt mit ihrem Handy am Ohr zu einem der Fenster und sieht die verwirrte Haylin aufstehen.
Sie schaut aus dem Fenster und sieht einen pechschwarzen Helikopter, mit einem Dreieck und einem Kreuz in der Mitte, über die Stadt donnern. Groß steht die Aufschrift 'ZSO' auf der Helikoptertür.
"ZSO?", fragt Sandrine sich verwundert.
Deanna atmet am anderen Ende der Leitung stark aus.
"Ich denke wir sollten reden..", murmelt Deanna beunruhigt...

NIGHTHOWL BAY - HerzfinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt