5.02: "Erbsünde"

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Antoinettes Finger fahren langsam über den Brief ihrer Schwester. Harold nickt ihr zu und verschwindet schnell, um ihr den Moment zu lassen. Jean steht auf und schaut Deanna und ihre Mutter unsicher an.
"Soll ich euch einen Moment geben?", fragt sie ruhig.
"Nein. Du warst an Heiligabend dabei. Bleib hier.", antwortet Deanna in einer monotonen Stimme, aber schaut nur auf den Brief.

Tonis Hand zittert etwas, als sie das Papierstück herauszieht.
Wortlos nimmt sie es in beide Hände und beginnt laut vorzulesen.

"Meine Schwester,

durch die Aufseher habe ich mitbekommen was an der Brücke passiert ist und ich habe mich dazu entschieden dir einen Brief zu schreiben.

Es ist zwischen uns nicht immer alles glatt gelaufen, aber trotzdem weiß ich wie es ist jemanden zu verlieren. Ich habe an Weihnachten Dinge getan, die ich bereue. Ich hatte hier genug Zeit um nachzudenken und habe mich seit meinem Gespräch mit Officer Dawn gefragt wie es hätte enden können.

Ich habe einem Mann geholfen den ich liebte. Ich liebte ihn so sehr, dass ich nicht sehen konnte wie mich dieser Einfluss veränderte. Von seinem Verschwinden, bis hin in seinen Tod.

Ich entschied mich ihn zu töten um abzuschließen. Ich habe versucht den Teil meiner Vergangenheit ruhen zu lassen, da als ich dir in die Augen sah merkte wie falsch das alles ist.
Die Reaper waren der größte Fehler den ich je gemacht habe und deine Liebsten zu verletzen war der unverzeihlichste. Ich wünschte ich hätte Cecille sagen können wie sehr ich ihr Frieden gewünscht habe. Sie schaute mich an und ich sah mich in ihr.

Ein fehlgeleiteter und gebrochener Mensch. Doch jetzt versuche ich ein besserer Mensch zu werden.

Ich wünsche dir mein herzlichstes Beileid und alles Gute für die Zukunft. Wir werden uns wiedersehen, unter hoffentlich besseren Bedingungen.

Alles liebe,
deine Schwester Dalia"

Deannas Mund steht offen.
"Was will sie damit bezwecken? Denkt sie, sie kommt frei, so wie Sandrine damals?", spekuliert die Smith verwundert.
"Wenn Dalia freikommen sollte, sind wir geliefert. Sie hat uns fast alle auf einen Streich ausgelöscht.", äußert Jean ihren Misstrauen gegenüber dem Brief. Antoinette steht auf und lässt den Brief fallen. Er wird eins mit dem nassen Erdboden des Friedhof's.
"Ich denke es ist Zeit Abschied zu nehmen. Von der Vergangenheit und dessen Fehlern. Und selbstverständlich von meiner Tochter. Meine Cecille.", sagt Toni zu den beiden und und starrt fokussiert einher.

Jakob und Finn treten in langen schwarzen Mänteln durch die Tore des Friedhof's. Hinter Finn folgt Lily.
"Bist du dir sicher, dass es dir damit gut geht?", fragt Finn Lily besorgt, da sie Tode schon immer sehr mitgenommen haben.
"Meine Familie hat mir beigebracht wie man mit Toden umgehen muss. Unsere ganze Vergangenheit besteht aus Tod und Missbrauch. Ich denke ich komme klar.", scherzt Lily mit einem lachenden und einem weinenden Auge über die Frage von Finn.
"Wie geht es dir denn?", fragt Lily, da sie weiß wie wichtig Cel ihm war.

"Wie soll es mir gehen? Es fühlt sich surreal an. Vor gefühlten zwei Minuten standen wir noch in Thornhill und haben darüber nachgedacht wie wir dieses mal die 'Bösen' stoppen und jetzt ist sie weg.", antwortet er ehrlich und direkt auf ihre Frage. Jakob hört zu, mischt sich aber nicht in das Gespräch ein.
"Irgendwann, nicht heute und auch vielleicht nicht morgen...aber irgendwann finden sie Cecille. Ich meine Dawns Körper haben sie ja auch gefunden. Dann wird sie nicht weit sein.", redet Lily ihm gut zu und legt ihre Hand um seinen Arm.

Er lächelt sie müde an.

Sie stoßen zu der Smith Gruppe hinzu, die schon gespannt auf die anderen gewartet hat.
"Alles gut?", fragt Jakob und schaut explizit Antoinette an.
"Ich denke schon.", murmelt die Mutter distanziert, aber viel offener als sie vorher zu dem Blossom war.

Aus dem Bestattungshaus kommen Pater Harold, Gabriel und Xander.
Harold hält seine Bibel in der Hand und geht langsam auf die Gruppe zu.
Xander wirft in seinem beigen Trenchcoat seinem Bruder Gabe einen gestressten Blick zu.
"Vielen Dank, dass Sie so zahlreich erschienen sind.", begrüßt der Pater nun die gesamte Gruppe.
"Heute gedenken wir einer Person, die sich für ein höheres Ziel geopfert hat. Im Angesicht des Bösen gab Cecille Smith am 29.01.2018 ihr Leben. Sie rettete uns - und unsere Stadt - vor einer dunklen Bedrohung, die Unheil und Rachsucht mit sich brachte und diese Stadt mit ihren Sünden versuchte zu verunreinigen.", spricht Harold zu der Gruppe.
"Im Namen Gottes-", fährt der Pater fort, bis er unterbrochen wird.
"Gott? Gott ist weg. Hier bin nur noch...Ich!", lacht eine dunkle Stimme aus Richtung der Krypta Black.

Deanna zuckt zusammen als sie die Stimme hört. Jean reißt ebenfalls ihre Augen auf. Der Pater dreht sich um und schaut zu der Krypta, fährt aber nicht mit seiner Rede fort. Finn stellt sich vor Lily und beißt sich auf die Zähne.
"Nein, oder...", grummelt Finn neben Jakob.

Wenige Momente später tritt Ryder in seiner schwarzen Lederjacke hervor und lächelt die Gruppe an.
"Bin ich zu spät?", fragt er höhnisch.

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Antoinette tritt hervor und zückt ihre Schrotflinte.
"Sie sind es, oder? Der Mann der mein Mädchen hat...", grummelt sie und zielt sauer auf ihn. Ryder verzieht keine Mine und klopft mit seiner Brechtange leicht gegen den Pflasterstein eines beliebigen Grabes.
"Antoinette...kein Grund zu Lügen. Lügen ist eine Sünde, weißt du das nicht?.", erklärt er ihr in einer ruhigen Stimme.

"UND NIEMAND LÜGT MICH VERDAMMT NOCHMAL AN!", schreit er nun und schlägt mit der Stange gegen die Schrotflinte. Er trifft Antoinettes Handgelenk und ihr fällt sofort die Waffe aus der Hand.
"ARGH!", keucht sie und hält sich schmerzerfüllt die Hand.
Der Anführer von Akrasia atmet sauer ein.
"Ich habe monatelang versucht etwas aus eurer noblen Freundin herauszubekommen, NUR DAMIT ICH HERAUSFINDE, DASS CECILLE BEGRABEN WIRD?", brüllt er sie sauer an.
"Nicht cool. Gar nicht cool. Es tut mir aber wirklich leid, sie hätte mir eine große Hilfe sein können. Nicht nur ihr wisst, wie es ist, jemanden zu verlieren.", fährt er düster fort und Jakob schluckt sich einen großen Kloß im Hals hinunter.

Deanna zückt ihre Pistole und schießt in ein nahegelegenes Gebüsch.
"AHHHHH!", schreit eine Männerstimme plötzlich laut.
Ryder schaut sie entsetzt an und aufeinmal eilen andere Männer dem angeschossenen zur Hilfe.
"Denkst du der Busch Trick funktioniert zwei Mal?", fragt Deanna und sieht wie sich der Mundwinkel, des Brechstange-schwingenden Anführers, nach unten verzieht.
Er hebt die Stange und geht auf sie zu.

Sie schießt zwei Mal in die Luft und richtet ihre Waffe wieder auf ihn.
"Was ist dir wichtiger? Dein Leben, oder die da drüben?", fragt sie ihn lächelnd. Er bleibt stehen und rümpft sich sauer die Nase.

"Deanna. Du hast die größten Eier die ich bei einer Frau je' gesehen habe. Verdammt nochmal.", grinst Ryder sie an und stützt seine Brechstange auf dem Boden ab.
"Wie denkst du wird dieser Kampf enden? Du übernimmst UNSERE Stadt mit deinem religiösen Schwachsinn und vertreibst uns von hier? Schmink dir das ab, du Psychopath.", entgegnet sie ihm mit gezogener Waffe. Der Mann in Lederjacke schüttelt leicht seinen Kopf und schweift seinen Blick durch die Gruppe. Jakob schaut ihn kühl an und atmet leicht aus.
"Lebt sie noch? Lebt Sandrine noch?", fragt Jakob den Sektenführer direkt. Dieser kratzt sich mit seiner linken Hand über seinen Stoppelbart.
"Selbstverständlich. Wir töten keine Leute die es nicht verdienen. Und zu dir, meine teure Deanna.", sagt er und dreht sich furchtlos zu ihr um.
"Ich werde diese Stadt nicht übernehmen. Alles hier steht mir zu. Ihr seid schlimmer als gottlose Ketzer, ihr seid sogar schlimmer als die Dämonen die in jedem von uns lauern. Ihr denkt ihr seid Helden. Was eine lustige Erbsünde, oder?", fragt er und zeigt beim lächeln seine blanken Zähne.

"Ich werde euch nicht vertreiben. Lebt mit mir zusammen in der Stadt, oder eben nicht. Es ist eure Entscheidung.", erklärt er der Gruppe und geht ein paar Schritte zurück.
"Und was wenn wir nicht mit dir zusammen leben wollen?!", ruft Finn provokant.
"Dann werdet ihr sterben. Denn Gier...ist eine Sünde.", zwinkert er ihnen zu und legt sich die Brechstange - wie in jener Nacht - über die Schulter.

Mit schweren Schritten, über die matschige Erde, verschwindet er in Richtung Ausgang des Friedhof's, wo die Gruppe ihm unsicher hinterherschaut.

NIGHTHOWL BAY - HerzfinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt