02: "Wahre Lügen"

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Der Wind fegt durch die Straßen, während sanfte Schritte den, von Blättern bedeckten, Bürgersteig berühren. Die Morgensonne durchflutet Nighthowl Bay und lässt die nassen Äste der Bäume, in einem hellen Licht glitzern. Durch den Wind weht die tiefschwarze Frisur eines jungen Mädchens. Komplett dunkel gekleidet, mit drei silbernen - in der Sonne leuchtenden - Ketten und ausgestattet mit mindestens acht Ringen an den Händen.
Die Sonne spiegelt sich in den grünen Augen des Mädchens, welche sich vor diesem Spaziergang zur Schule, einen perfekten Eyeliner geschminkt hat. Die Frisur des Mädchens, welche schulterlang ist, weht durch den Wind, aber der bis zu den Augenbrauen ragende Pony, bewegt sich kaum. Es ist Sandrine Black. Die engste Freundin und große - geheime - Liebe von Cecille. Sie legt einen großen Auftritt hin, während sie den Schulhof der Nighthowl High betritt. Sie schaut sich um und bemerkt wie viele ihrer Mitschüler sie, mehr oder weniger, unbemerkt anschauen und voller Respekt leiser reden. Neben der großen Eingangstür sieht Sandrine jemand anderes aus Cecilles Leben stehen. Jeanette Brown, die andere Freundin und die wohl größte Vertrauensperson von Cecille, seit jungen Jahren. Die drei Mädchen sind üblich immer in ihrer eigenen kleinen Gruppe unterwegs, aber privat haben Sandrine und Jeanette nichts miteinander zu tun.

Sandrine lächelt ihre Mitschüler selbstsicher an und geht schnurstracks auf Jeanette zu. Diese schaut sich verwundert um und fährt mit ihren Augen über den Schulhof.
"Wo ist Cecille?", fragt Sandrine, ohne Jeanette auch nur eine Begrüßung zu geben. Jean lächelt peinlich berührt und zuckt mit den Schultern.
"Ähm, ich weiß es nicht. Sie hat noch nicht geschrieben, vielleicht ist sie krank.", antwortet Jeanette leise und bemerkt wie die Mitschüler, welche auf dem ganzen Schulhof verteilt auf den Glocken-Gong warten, die beiden anschauen. Sandrine lacht leise und ein höhnisches Lächeln zeichnet sich auf ihren blutroten Lippen ab.
"Wir wissen doch alle, dass sie krank ist, Schätzchen. Ist sie das nicht seit ihrer Geburt?", scherzt Sandrine böse. Jeanette verachtet diesen grausamen Witz zutiefst und ihre Hand beginnt zu zittern, aber sie versucht sich nichts anmerken zu lassen.
"Ich weiß nicht, wir haben seit Bio gestern nicht mehr geredet.", versucht Jean die Situation zu lockern.
"Oh, wart ihr nicht noch eure Haare flechten? Oder euch gegenseitig Fanfictions am vorlesen? Was auch immer eine Lesbe wie Cel so gerne macht.", fragt die, von Cecille geliebte, Sandrine provokativ.

Jeanette schaut sie sauer an.
"Was ist eigentlich los mit dir? Du weißt ganz genau wo das Problem liegt.", keucht Jean vorwurfsvoll und mustert schnell den überraschten Blick von Sandrine. Diese ist es nicht gewöhnt ein Echo auf ihre Provokationen zu bekommen.
"Ja, ganz genau. Ich weiß wo das Problem liegt. Ich weiß aber nicht wieso du sie in Schutz nimmst, ich kenne sie länger und trotz zwei langer Jahre, verstehe ich sie einfach nicht. Wenn man jemanden gerne hat, handelt man nicht so hirnrissig. Aber ihr Kopf ist ja ohnehin nur zum Haare stylen da.", entgegnet Sandrine in einem bösartigen Unterton.
"Du weißt, dieser Vorfall war kompliziert.", versucht Jeannette sie zu beruhigen. Sandrine lacht laut auf und ein paar Schüler schauen zu den beiden hin. Kurz darauf senkt sie ihren Tonfall.
"Vorfall? So nennst du es? Ich habe mir ein gottverdammtes Messer in den Arm gesteckt und sie saß nur da und war an ihrem Handy. Und sowas nennt sie 'Liebe'?", flüstert Sandrine wütend. Jeanette hängt sich ihre Tasche um.
"Fick dich. Sie ist wunderbar und du... Du bist eben du. Wie kann so jemand wie sie, an so jemanden wie dich geraten?", fragt Jeannette selbstbewusster als sonst und begibt sich, obwohl es noch nicht geklingelt hat, in die Schule. Sandrine wird von ihr stehen gelassen und öffnet ihr Handy und den Chat mit Cecille.
"Hey, wo bist du? In 5 Minuten ist Geschichte. Bis gleich.", tippt sie ein und sendet die Nachricht ab.

Binnen Sekunden wird Cecille als 'online' angezeigt und tippt eine Nachricht. Sandrine lächelt, da sie die Kontrolle, die sie über Cecille hat, genießt. Obwohl Sandrine ihr einst das allgemeines Desinteresse an Frauen deutlich klarmachte, nutzt sie die Aufmerksamkeit gerne. Cecilles Nachricht kommt an.
"Hey. Bleibe heute Zuhause. Mir gings gestern nicht so gut. Nix wildes, also alles gut. Ich schreibe mit nem Kumpel.", lautet die Nachricht von Cecille. Sandrine schaut entsetzt auf ihr Handy.
"Einen Freund? Lucas?", fragt Sandrine über den Messenger. Als Antwort kommt:
"Jemanden der mich über Insta angeschrieben hat. Telefonieren wir später?". Sandrine makiert die Nachricht als gelesen und schließt die App. Sie steckt ihr Handy weg und hört den Gong der Schulglocke. Sie und alle Schüler der Nighthowl High begeben sich in das Gebäude, wobei Sandrine den grimmigsten Blick von allen aufgesetzt hat.

NIGHTHOWL BAY - HerzfinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt