Als mich Javier das fragte, wurde ich mehr als nur nervös. Ich knetete meine Finger und stach mal wieder in meinen Zeigefinger. Abwechseln trat ich immer wieder von einem Bein auf das Andere und versuchte Javiers stechendem Blick, der mich förmlich durchbohrte, auszuweichen.
"Ähm...", fing ich an und musste erst einmal tief durchatmen, bevor ich wieder anfangen wollte, weiter zu sprechen. Aber stattdessen biss ich mir lieber auf die Zunge und verstummte wieder komplett.
Ich konnte es einfach nicht.
Ich konnte einfach nicht meinem Cousin sagen, dass Ramon in der Stadt war, er mich gesehen hatte und ich jetzt keine Ahnung habe, was er machen würde, wenn er herausfindet, dass ich ebenfalls in Mexiko bin. Natürlich könnte er es auch dabei belassen, aber so wie er ausgesehen hatte und er ist, würde er aufhören, bis er wusste, weshalb und wo ich in Mexiko war. Javier würde Todesangst haben, dass jeden Moment die Mafia rein kommen würde und uns alle umbringen würde, was nur wegen mir wäre. Ich habe selbst angst davor, dass das passieren würde und wollte meinen Cousin nicht auch noch so eine große Last geben, das auch noch zu verheimlichen. Immerhin tut er sich sogar mit der Entführungssache schwer. Zwar zeigte er es nicht, aber man sah es ihm deutlich an.
"Komm schon Katelyn. Sag es mir einfach, ansonsten werde ich noch irre.", flehte mich Javier an.
Ich verzog das Gesicht und deutete ihm, dass ich es nicht sagen konnte. Aber trotzdem ließ er mal wieder nicht locker.
"Katelyn!", motzte er. "Du hast mich komplett erstarrt weggeschickt. ich musste gehen, obwohl ich dir deine Angst genau angesehen habe. Du bist da gestanden und hast da auf die Straße gesehen, als hättest du einen Geist gesehen. Ich hab versucht zu sehen, was dir so große Angst macht, hab aber nicht direkt was gesehen. Ich wollte da bleiben und dich unterstützen, aber du wolltest, dass ich gehe. Den Gefallen hab ich dir getan und jetzt tu mir den Gefallen und sag mir verdammt nochmal, was dir so Angst gemacht hat!", verlangte er und wurde am Ende hin lauter.
"Aber sei nicht sauer auf mich.", bat ich ihn, was ihn zwar verwirrte, er aber trotzdem einverstanden nickte.
Ich atmete noch einmal kurz durch, bevor ich wieder Javier in die Augen sah und anfing zu erzählen."Also, da- da in der Stadt... Äh... Hab ich jemanden gesehen, den- den ich nie wieder sehen wo- wollte.", meinte ich und konnte meinem Cousin wieder nicht in die Augen sehen.
"Wen hast du gesehen, Kate?"; fragte er in einer Tonlage, als würde er schon vermuten, was vor sich ging.
"Ramon Ruíz.", flüsterte ich leise in der Hoffnung, er würde es nicht hören. Doch heute war einfach nicht mein Tag.
"WAS?!", schrie Javier hysterisch.
Ich kniff meine Augen zusammen und senkte meinen Kopf. ich wusste ganz genau, dass ich es ihm nicht sagen hätte sollen. Es war doch selbstverständlich, dass er so ausrasten würde. Warum war ich dann so dumm und hatte es ihm dann auch noch gesagt? Warum?
"Fuck.", fluchte er und lief wie vorhin, im Eingangsbereich auf und ab, während er mit seinen Händen durch seine Haare fuhr.
Ich schaute eingeschüchtert zu ihm und beobachtete seine weiteren Reaktionen. Vielleicht würde er...
Ach keine Ahnung, was ich mir dadurch erhoffte.
"Scheiße Katelyn!", schrie er und drehte sich wieder zu mir. "Hat er dich gesehen oder bist- bist du dir ganz sicher, dass es er war?", wollte er rasend wissen.
Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe und wich Javiers Blick aus. och dieser kam sofort auf mich zu und packte mich an beiden Armen, wodurch ich wieder zu ihm sah.
"Bist du dir ganz sicher, dass es er war. DER RUÍZ?", fragte er erneut, nur dieses mal ein wenig ruhiger, wobei er sich wirklich unter Kontrolle halten musste.
"Mann Javier!", schrie ich ihn verzweifelt an. "Keine Ahnung, ob es wirklich er war, aber ich glaube schon."
"Wie 'ich glaube schon'?", fragte er verständnislos nach. "Wie kann man nicht wissen, ob man den Mann wieder gesehen hat, der einen geschlagen und gedemütigt hat und auch noch der Sohn des größten Mafiabosses in Mexiko ist? WIE?!"
"Weil ich mich wünsche ihn nie wieder zu sehen!", schrie ich zurück und schüttelte die Hände von meinen Armen.
"Also war er es.", murmelte Javier und schaute kurz nachdenklich an mir vorbei.
"Hat er dich auch gesehen oder weiß er, dass du es warst?", fragte er ruhig nach und baute wieder Augenkontakt mit mir auf.
"WOHER SOLL ICH DAS WISSEN?!", schrie ich ihn hysterisch an und konnte ihm Gegensatz zu ihm, hier nicht so ruhig bleiben.
"Hat er dich gesehen. Hat er dir direkt in die Augen gesehen.", versuchte er mir die Frage einfacher zu stellen, was einigermaßen Hilfreich war.
Ich zögerte kurz. "Ja. Ja, wir haben uns gegenseitig angesehen.", gab ich ihm die Antwort und schaute gequält an ihm vorbei.
Ich konnte seine Angst und Verzweiflung wegen mir schon in seiner Stimme hören und wollte es nicht auch noch in seinen Augen sehen.
"Scheiße Katelyn.", flüsterte Javier. "Weiß er, dass du es warst?"
Erschöpft rieb ich mir mit meiner Hand durch mein Gesicht. "Ich hab keine Ahnung, aber glaube es schon."
Javier seufzte genervt auf. "Was ist das jetzt schon wieder mit deinem 'Ich glaube schon'. Weiß er, dass du es bist oder weiß er es nicht?"
"Keine Ahnung, Javier.", fuhr ich ihn zornig an. "Ich hab keine Ahnung, ob er weiß, dass ich es bin. Immerhin hab ich kein Tattoo an meinem Schädel, das jedem sagt, dass ich Katelyn Sanchano bin. Aber hey! Wo wir doch gerade dabei sind, sollte ich vielleicht gleich los gehen und es mir machen lassen, nur damit ich beim nächsten mal, wenn ich den Sohn der Mafia sehe, der mich verprügelt hat, auch weiß, dass ihm bewusst ist, wen er gesehen hat und auch ganz einfach nach mir suchen kann. So einen gefährlichen Typen lässt doch keiner freiwillig entwischen. Ich will ihm ja auch schließlich die Chance geben, mit mir Kontakt aufzubauen.", zickte ich ironisch.
"Ja weiß er jetzt, dass du es warst oder nicht?", fragte Javier und wurde langsam zornig.
"KEINE AHNUNG!", schrie ich ihm zurück.
"Katelyn.", hauchte Javier ängstlich und wich einige vorsichtige Schritte von mir weg. Verwirrt sah ich ihn an und merkte, dass sein Blick nicht auf mich gerichtet war, sondern auf die Türe hinter mir. Um genau zu sein, auf den Milchglas streifen darin, wodurch man sehen konnte, was draußen war.
Perplex drehte ich mich um, um zu sehen, was Javier so ängstlich gemacht hatte. Ich hatte nicht einmal eine Sekunde so gestanden, gefror mir das Blut in den Adern.
Die Sonne prallte gegen die Türe, wurde aber von einer großen und schmächtigen Silhouette, davon abgehalten richtig in den Eingangsbereich zu scheinen. Man konnte die graue Anzugshose und weiße, hochgekrempelte Hemd sehr gut erkennen, sowie die Schwarze Farbe auf den Armen. Wie erstarrt, ließ ich meinen Kopf noch weiter nach oben schweifen, bis zum Ende der Scheibe und wieder der Aluminiumrahmen anfing.
Es gab keinen Zweifel mehr. Das da draußen war Ramon.
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You saved me
RomantikEin einfaches Mädchen wird eines Tages von Anhängern der Mafia entführt und sollte eigentlich für Geld wieder zurück gehen. Aber was ist, wenn die falsche Person entführt wurde? Textausschnitt: „Pack deine Sachen!", befahl er ruhig aber trotzdem so...