Kapitel 53

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Geschockt riss ich meine Augen auf. Ungläubig sah ich Rocco an, der nur emotionslos jede einzige Reaktion von mir aufsaugte.

"W-Was?", stotterte ich unbeholfen. Erstens konnte ich nicht glauben, was er mir da gerade eben gesagt hatte und zweitens konnte ich es mir auch überhaupt nicht vorstellen.

Zumindest davor nicht.

Geistesabwesend schaute ich auf die dunkelbraune Tischplatte vor mir und verglich Ramon mit seiner Familie. Und wenn man darüber genauer nachdachte, fielen einem ach sehr viele Unterschiede auf.

Alle Mitglieder hatten pechschwarze Haare, außer Ramon. Renée sah seinem Vater sehr ähnlich, Raquel Ihrer Mutter und Fernando war eine Mischung aus Rocco und Ferrera. Ramon hatte nichts davon. Natürlich schaute er Rocco und Renée schon ein wenig ähnlich, aber trotzdem. Innerlich war er auch anders als die Anderen. Gut, außer Raquel, wobei diese nur ihre Meinung laut verbreitete. Ramon war kühl, eigentlich schon ein wenig herzlos und wirkte auch um einiges abgebrühter als die Anderen. Jeder aus der Familie lachte von Herzen gerne, hatte viel Humor und war noch dazu freundlich. Ramon konnte dies zwar auch sein, aber auch erst nach langer Zeit und selbst dann nicht so, wie der Rest.

Viele Unterschiede die mir bislang noch nie aufgefallen waren. Naja, man muss auch sagen, dass ich damit nie gerechnet hätte und es immer noch nicht glauben kann.

Ein lauter Seufzer ertönte vor mir, der mich aufsehen ließ. Rocco strich seine Hände angestrengt über sein Gesicht und atmete noch ein mal tief durch, bevor er seine Stimme erhob.

"Ramon war gerade einmal drei Jahre alt, als ich ihn bei einer Geschäftsreise auf den Straßen von Sinaloa gefunden hatte. Er war unterernährt und unglaublich verängstigt. Es dauerte einen ganzen Tag bis er mir erzählt hatte, weshalb er alleine auf den Straßen war. Ich habe ihn weinend auf dem Boden gefunden. Er wurde von den ganzen Menschen überrannt und überhaupt nicht beachtet. Anfangs hat er nach seiner Mutter geschrien, was meine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Ich hörte diese bitteren Schreie in einem Geschäft, wo ich eigentlich noch ein Geschenk für meine Frau und den zweijährigen Renée kaufen wollte. Ich stand am Eingang und besprach gerade etwas mit einem meiner Männer, die damals zu meiner Sicherheit dabei waren.", Wieder Seufzte er und wisch sich mit einer Hand über das Gesicht.

"Ich habe die Schreie gehört und wollte erst warten, bis sie aufhörten. Ich dachte erst, dass es nur kurze Rufe wären. Mit der Zeit wurden sie zwar leiser, aber ebenso verbitterter, zittriger und einige Male kamen schmerzhafte Schreie dazu. Das war dann auch der Punkt, wo ich wusste, dass ich eingreifen musste. Erst wollte ich mich so durch die Masse pressen, doch wir waren in Sinaloa, was erstens nicht mein Gebiet war, was bedeutete, dass die Menschen ebenso nicht alle wussten, wer ich war und zweitens bewegten sich die Rufe, die inzwischen schon sehr nah an einer vielbefahrenen Hauptstraße noch leise zu hören waren.", Wut zog kurz über Roccos Gesicht. Er schüttelte mit zusammengebissenen Zähnen seinen Kopf und spannte seine Hände an, während seine Augen überhaupt nicht mehr auf mich gerichtet waren sondern nachdenklich neben mich schauten.

"Ich setzte meine Männer in die Wägen und ließ sie eine Sperre am Rand der Straße machen, damit der Junge nicht auf die Fahrbahn konnte. Als dann drei schwarze SUVs am Straßenrand standen haben auch endlich die Menschen gemerkt, dass sie sich nicht mit mir anlegen sollten. Viele sind stehen geblieben, während Andere das Weite suchten. Meine Männer bauten einen Weg durch die stehen gebliebenen Menschen direkt auf den kleinen Kinderkörper der zusammengekauert auf dem Boden lag. Dieser Anblick...", schüttelte er mit gemischten Gefühlen seinen Kopf.

Kurz kehrte Stille ein, in der man erkennen konnte, dass sich Rocco wieder an die Geschehnisse erinnerte, während ich nur mit geschocktem Gesichtsausdruck vor ihm saß und noch weniger verstand als davor.

You saved meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt