47. Optimismus

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Optimismus

Marie öffnete die Balkontür und ging dann zurück zum Sofa. Sie bemerkte Felix' Blick, der an ihren nackten Beinen hängenblieb. Sie hatte sich nur den Slip und das T-Shirt wieder übergezogen. Es war warm genug und zum Glück konnte man das Wohnzimmer nicht einsehen. Abgesehen von einer Ecke direkt vorne an der Fensterfront, wohin man zumindest vom Penthouse aus Einsichten hatte. Aber diese Gefahr bestand ja gerade nicht.

Felix, der sich seine Boxershorts wieder angezogen hatte, saß breitbeinig da und legte einladend seine Arme auf die Rückenlehne. Marie setzte sich zu ihm gewandt hin und zog ihre Beine seitlich an sich. Unverhohlen musterte sie ihn. Anscheinend hing er noch irgendwelchen Gedanken nach. Sie betrachtete sein Nasenpiercing – etwas, das sie sich sonst bei keinem anderen Mann als attraktiv vorstellen konnte. Aber bei ihm rundete es das Gesamtbild ab. Und dann dieses leichte, zufriedene, stille Lächeln. Plötzlich sah er sie direkt an. „Von wegen alle zwei Jahre." Er grinste.

Sie zuckte mit den Schultern. „Du hast mir den Schnitt versaut."

„Ah ja?" Sein Blick glitt ein Stück weiter hinab. Plötzlich runzelte er die Stirn. „Was haste denn da?" Er deutete mit seiner Linken auf ihren Hals, berührte sie aber nicht. „Allergie oder so?"

Marie fasste sich an die Stelle. Sie hatte es schon bemerkt, es reichte bis zum Schlüsselbein. „Das warst du", sagte sie und schob schnell hinterher: „Ist aber nicht schlimm, die Haut ist an der Stelle eben etwas empfindlich." Als er sie verständnislos anschaute, schmunzelte sie. „Dich hat noch nie ein Mann mit Bart geküsst, oder?"

„Äh...ne?" Er rieb sich unsicher über seinen Oberlippenbart. „Daher kommt das?"

„Ja", sagte Marie. „Weiß nicht, ob das normal so ist. Aber ich hatte das schon mal. Dreitagebart ist noch schlimmer. Aber macht nichts, wirklich. Morgen ist das wieder weg."

„Hab den Bart noch nicht so lange", erklärte er und hob die Brauen. „Vor so was hat mich aber keiner gewarnt."

Marie verdrehte die Augen. „Ist doch auch kein Drama. Ist ja kein Drahtschwamm, den du da im Gesicht hast."

„Hm", machte er, offenbar leidlich beruhigt. Er legte seine Hand auf Maries nacktes Knie. Sie überkam ein leichtes Prickeln. Ihr wurde bewusst, wie sie hier saß, halb nackt und noch leicht verschwitzt von den letzten Aktivitäten, im immer noch Hellen eines der längsten Tage des Jahres. Auf einmal fühlte sie sich unbehaglich. Sie wünschte, sie hätte ein Laken, um ihre Beine zu bedecken. Marie, er hat dich nackt gesehen. Komplett nackt. Ist ein bisschen zu spät, um was vor ihm zu verbergen.

„Alles okay?", fragte er und nahm seine Hand weg, so als habe er gespürt, dass ihr irgendwas unangenehm war.

„Ja, klar", sagte sie, aber irgendwas geriet in ihr ins Stocken und einen viel zu lange dauernden Moment war sie sich sicher, dass sie keine Luft mehr bekommen würde. Ruhig. Gott, was machte sie hier? Woher hatte sie nur in den letzten vierundzwanzig Stunden ihre Courage genommen, die sie dazu gebracht hatte, mit ihm zu schlafen? Sie hatte sich gehen lassen. Und er? Er hatte sie gesehen. So wie sie war. Nackt. Mit allem. Mit allen Narben und Unzulänglichkeiten. Wie hatte ihm das egal sein können? Wieso waren ihr seine Blicke nicht aufgefallen? Er musste es ja gesehen haben. Geilheit. Das war es gewesen. Von ihrer Seite aus und von seiner. Sie hatte sich gehen lassen, weil sie einfach scharf drauf gewesen war, mit ihm zu schlafen. Und er? Marie wusste es doch: Wenn ein Mann die Gelegenheit auf Sex hatte, ergriff er sie auch. Das hieß nicht, dass er sie attraktiv fand oder mit ihrer Art klarkam oder so. Sie war eben da gewesen. Und willig.

„Du denkst zu viel, oder?" Felix sah sie aufmerksam an.

„Ähm..." Sie musste schlucken. „Meistens ja." Verdammt, sie musste diese Gedanken loswerden. Egal, ob es stimmte oder nicht. Das war nicht gesund. Das war nicht gut für sie. Woher kam das jetzt? Ihre Narben hatten sie schon lange nicht mehr gestört. Einfach einatmen, ausatmen. Im Hier und Jetzt sein.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt