130. Männer

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Männer

Lucias Wohnung übertraf Maries Erwartungen bei Weitem. Sie hatte zuvor Bilder gesehen, Ausschnitte, aber in der Realität war es viel beeindruckender. Ein schicker Altbau mit hohen Decken und riesigen Fenstern, Stuckverzierung und dunklem Parkettboden. Die Möbel waren modern und natürlich exakt das, was Lucia Maries Erfahrung nach gefiel. Nachdem sie quasi noch im Flur geklärt hatten, was sie sich zum Essen bestellen wollten und die Bestellung gleich abgeschickt hatten, führte Lucia sie in das Gästezimmer. Es war klein, aber neben der bereits zum Bett umgebauten Couch auch noch mit einem Schreibtisch und einem schmalen Kleiderschrank ausgestattet. In der Ecke stand Lucias Cello, das sie über Jahre nicht genutzt hatte. Nach Brasilien hatte sie es nicht mitgenommen. Aber sie hatte Marie erzählt, dass sie nun wieder angefangen hatte zu spielen. Marie lud ihren Rucksack ab und folgte Lucia dann ins Wohnzimmer. „Echt schön hast du's hier."

„Ja, kann mich nicht beschweren." Lucia lachte. „Aber schon manchmal zu groß für mich alleine irgendwie. Na ja..."

Das erste Mal seit sie hier war, erkannte Marie bei ihrer Freundin etwas anderes als Freude. Sie war sich bewusst darüber, dass auch bei Lucia nicht immer alles eitel Sonnenschein war. Vielleicht fühlte sie sich auch manchmal etwas einsam hier. Sie sollten sich wirklich öfter sehen, jetzt, wo sie die Gelegenheit hatten. Und öfter miteinander telefonieren.

Nach dem Essen machten sie es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem. Marie konnte ein Gähnen nicht unterdrücken.

„Ja ja, ich weiß schon", lachte Lucia. „Nicht so lange machen. Ich muss ja morgen auch zur Arbeit."

„Sorry. Zugfahren killt mich irgendwie jedes Mal."

„Schon gut. Ah!" Lucia war wieder aufgestanden. „Fast vergessen!" Sie lief davon und kam eine halbe Minute später zurück. Irgendwas hielt sie hinter dem Rücken versteckt. „Hab noch dein Geburtstagsgeschenk. Nur was Kleines."

Marie lächelte und nahm das faustgroße Päckchen entgegen, während Lucia sich wieder setzte. „Danke!" Sie packte es aus, langsam und so, dass nichts zerriss. Etwas ratlos wendete sie das Geschenk in den Händen. Es war eine Miniaturbadewanne mit zwei Männern darin. Es stellte eine Szene aus einem Trickfilmsketch von Loriot da. „Ähm... danke? Weird, aber...ja..."

„Ist'n Gutschein. Na ja, wusste nicht, wann du Zeit hast und wo, deswegen nicht so konkret. Aber ich dachte, ein Wellness-Wochenende vielleicht? Entweder hier, oder bei dir in der Nähe oder wir treffen uns auf halbem Weg in Spa. Wir finden schon was Passendes."

„Hm." Marie nickte. „Klingt gut." Sie lächelte, auch wenn sie sofort dachte, dass so ein Wochenende sicherlich kein kleines Geschenk war. „Ich müsste mal lernen, wie so was abläuft."

„Wellness?"

„Entspannen und... ja, so Kram eben. Find's auf jeden Fall ne richtig nice Idee. Danke, Lux."

„Det var så lite! Und ist das Mindeste, nach meinem großen Fail mit Felix."

„Hm?" Marie sah sie fragend an. „Ach so, du meinst wegen der Konspiration anlässlich meines Geburtstags und der ganzen Wir-tauschen-mal-besser-Nummern-aus-falls-die-arme-Marie-Hilfe-braucht-Aktion? Ja... schon ein bisschen seltsam. Aber ist ja anscheinend nötig bei mir." Sie seufzte. „Nein, wirklich. Es war gut so. Alles."

„Dann geht es dir also gut? War ja fast ein wenig alarmiert, als du auf einmal herkommen wolltest. Nicht falsch verstehen, aber das passt so gar nicht zu dir."

Marie nickte und ließ sich in das Polster hinter sich sinken. „Ich weiß. Irgendwie... also, ich übe das gerade, ja? So neue Dinge, sich trauen und so. Und dann... musste ich auch einfach raus. Und es muss sich mal endlich was ändern, Lucia. So richtig. Und es ändert sich auch gerade. Wirklich. Bin auf dem richtigen Weg." Sie schaute die Freundin an. „Es ist raus, mein zweites Buch. Und auch wenn ich skeptisch bin, ob es erfolgreich sein wird und alles – ich bin stolz. Wirklich stolz. Was eigentlich schon wieder ein schlechtes Gewissen bei mir auslösen würde, aber... ne, gerade passt das so. In der Bücherei läuft es in letzter Zeit nicht so gut, also da nervt mich einfach einiges hart."

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt