112. Richtig gut

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Richtig gut

Marie: Kann mich jemand vom Bahnhof abholen? Ist etwas kurzfristig, ich weiß. Bin um 14:23 Uhr da.

Sie legte das Smartphone auf ihren Oberschenkeln ab und schaute hinaus. Porz. Noch war sie in Köln, und zwar gerade in einer der weniger touristisch ansprechenden Gegenden. Sie konnte es kaum erwarten, aus der Stadt herauszukommen. Noch vor Troisdorf gab es eine Antwort in der Familiengruppe.

Oma Christa: Familien-Taxi steht pünktlich bereit. Wir freuen uns!
Marie: Danke!

Lächelnd packte sie das Smartphone weg und schaute aus dem Fenster, darauf wartend, dass die Aussicht bald vertrauter werden würde.

Sie stieg aus dem Zug, zusammen mit zwei weiteren Personen. Wie gewohnt lief sie um das Gebäude herum, auf den Parkplatz. Sie wusste nicht sicher, wer sie abholen würde. Aber da stand der alte rote Toyota, aus dem gerade jemand mit weißen Haaren ausstieg. Opa Gerd. Marie ging mit großen Schritten auf ihn zu. „Hallo!"

Er lachte. „Tach, Kind! Na? Da warste ja pünktlich wie de Eisenbahn. Hätt ich ja gar nit aussteigen bruchen."

„Ja, danke fürs Abholen."

„Jaja, sin ja fruh, wenn ich ma rauskomm." Er setzte sich wieder auf den Fahrersitz und zog die Tür unnötig laut zu.

Marie lief um das Auto herum und stieg ein. Sie schwieg lieber, während ihr Opa ausparkte und vom Parkplatz herunterfuhr. Er war inzwischen über achtzig und irgendwie hatte Marie den Verdacht, dass er nicht mehr ganz so selbstsicher Auto fuhr wie früher. Aber er lenkte das Auto routiniert, wenn auch langsam durch die teils engen Straßen der Stadt.

„Da giwt et werer ne Baustelle uff'm Höhnerberch. Nur Baustellen, furchbar! Und nachher soit de Straße ous wie vorher. Awer die Schlachlöcher raus zu ous, die machense natürlich nit zo."

„Mhm", machte Marie zustimmend. „Aber so fährt da zumindest keener mehr als füffzig."

„Jo, dat stimmt och werer."

Sie verließen die Stadt und Marie schaute einfach nur raus aus dem Fenster. Die Sonne schien.

Natürlich hatte ihre Oma Christa Kuchen gebacken. Und natürlich kamen alle zum Kaffee. Marie wusste zwar, dass das für einen Samstagnachmittag eben so üblich war, aber irgendwie war es ihr dennoch ein bisschen zu viel. Zumindest war das Wetter schön und sie saßen draußen im Garten.

„Und dann hät der doch tatsächlich die ahle Linde mi'm Trecker umjefahren." Opa Gerd schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Barry, sein Hund, eine Straßenmischung mit Setteranteil, hob nur kurz den Kopf und blinzelte mit einem Auge.

„Ja, die war aber och schon morsch", erinnerte René ihn.

„Die hätte eh den nächsten Sturm nit üwerstannen", sagte Maries Mutter Susanne.

„Die musste eh weg. Stell dir mal vor, die wär umjefallen, wenn da grade Kinder jespielt hätten", ergänzte Tante Nicole, Renés Mutter.

„Ich sach euch: Der hat dat absichtlich jemacht", beharrte Opa Gerd.

Marie ließ ihren Blick über den Tisch schweifen, sah, dass alle offenbar fertig waren, und begann die Teller und Tassen zu stapeln. Oma Christa lächelte ihr freundlich zu und reichte ihr die Teller von der anderen Seite an. „Bleib sitzen", sagte Marie an ihre Oma gewandt leise, um das Gespräch der anderen nicht zu stören. Sie stand auf und brachte das Geschirr in die Küche. Sie merkte, dass Anne sich ebenfalls erhob und ihr folgte, die Kuchenplatte mit den Resten des Hefekringels tragend.

„Wie geht's dir?", fragte sie Marie, als sie in der Küche waren.

„Gut." Marie lächelte. „Und dir?" Sie konnten nicht umhin, auf den mittlerweile deutlich gewachsenen Bauch zu schauen.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt