5. Türsteher

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Türsteher


Auszüge aus Felix Lobrechts Notizen:

Ideen für Stand-up / Bits

- Neue Nachbarin: bisschen strange, schüchtern? Und es ist klar: die kommt nicht aus Berlin. Und sie schaut so – meistens nicht in die Augen, aber schon zu mir. Und hört mir zu und ich weiß nicht: denkt die gar nicht oder zu viel – was geht da ständig ab im Kopf? Geht da überhaupt was ab? Und dann sagt sie was und ich brauch nen Moment um zu checken, dass das lustig war. Trocken. Strange.

- Wenn Leute einem zu verstehen geben: ja, ich find dich nicht so cool / fand dich früher mal cooler – tja, nicht jeder kann mit Fortschritt umgehen, bitches

- Mädels vom Land, völlig ungefickte bitches

- Jede Neuköllner Bitch so: Ey, fass mein Zeug nicht an, ich schwör!... Ja, scheiße man, pack an. Und ich schlepp so die Kartons hoch, in ihrem Auto hat sich noch ein Klavier (völlig random) und eine Waschmaschine versteckt. Und ich schlepp das Zeug hoch. Und sie so: Yo, digga, zieh mal ab jetzt. Wenn mein Freund kommt, der gibt dir Bombe.

- Oder: Yo, allet klar. Voll nice, dass du das gemacht hast. Aber ficken ist nicht, klar? Na gut, die Waschmaschine war echt schwer. Blasen okay?

- Neue Nachbarin, seltsame Comedy-Connection – obwohl kein Fan? Und ich denke mir: Vielleicht werde ich langsam alt und reif und mache demnächst dann so Eliten-Comedy. (Bezug Poetry Slam, Studenten bla bla) Und dann denke ich aber wieder: Saufi, Saufi / FICKEN!

- Leute, die auf ne Art weird sind, dass ich nicht weiß: ist die echt so oder ist das comedy und die verarscht mich gerade voll? Oder kann die mich echt so auf den Tod nicht ausstehen?

Notiz für Gemisches Hack:

- Frage an Tommi: Was ist, wenn dir einer sagt, dass er das, was du so beruflich / auf der Bühne machst, nicht mag?

Ist okay, oder? Eitelkeit? Ganz ehrlich? Was ist, wenn dein Bruder, deine Eltern, dein bester Freund das nicht gut finden?


Marie lehnte sich zurück und schloss die Augen. Der neue Bürostuhl, den sie sich geleistet hatte, war wirklich toll: bequem, aber nicht so, dass man darin einschlafen wollte. Und die Rückenlehne gab so schön nach. Marie wippte eine Weile, bis sie die Augen wieder öffnete. Auf dem Bildschirm vor sich sah sie den Anfang der bisherigen Ausbeute für heute. Sie las den Text durch und war zufrieden. Für einen ersten Entwurf. Sie warf einen Blick in ihre Notizen. Sie wusste, was sie heute noch zu schaffen hatte. Einer ihrer Hauptcharaktere sollte auf seine Nemesis treffen. An einem Ort, der für beide eine große Bedeutung hatte. Marie musste den Weg dorthin finden und dann die richtige Stimmung. In den letzten Wochen war sie gut mit dem Schreiben vorangekommen. Nachdem sie sich in der Wohnung häuslich eingerichtet hatte und sich nun schon ziemlich wohlfühlte, hatte sie wie geplant schnell einen guten Rhythmus gefunden, um das Schreiben, ihr karges Privatleben und ihren zweiten Job in der Bibliothek unter einen Hut zu bringen. Sie konnte wirklich zufrieden sein. War sie aber nicht. Jedenfalls fiel es ihr meistens schwer. Deswegen musste sie mehr arbeiten. Vorarbeiten. Klar, jetzt gerade hatte sie eine kreative Phase, aber was, wenn ihr der Winterblues einen Strich durch die Rechnung machen würde?

Weiterschreiben! Marie las sich die letzten Sätze durch und legte los. Sie hatte ein paar hundert Wörter geschrieben, als sie steckenblieb. Die Waldlichtung. Wie sah es dort aus? Was für Bäume wuchsen dort? Sie kramte in ihrer Erinnerung – sie war in einer bewaldeten Gegend aufgewachsen, es gab viele Bilder in ihr. Aber welches war das passende? „Hm", machte sie nachdenklich. Dann nahm sie die Hände von der Tastatur und griff nach der halbvollen Tasse schwarzen Tees. Sie trank einen Schluck. Er war schon etwas zu kalt. Marie stellte die Tasse ab und ließ ihren Blick schweifen. Nur flüchtig über das geöffnete Dokument auf dem Monitor, dann weiter durch das Zimmer. Und dann entfuhr ihr ein glückliches, beinahe erleichtertes Seufzen: „Schnee!" In so einer Ausnahmesituation durfte, ja, musste sie von ihrer Routine, ihrem Plan abweichen. Sie stand auf und ging mit feierlicher Langsamkeit zur Balkontür. Die Flocken tanzten noch sporadisch, aber es würden mehr werden, das wusste Marie. Sie öffnete die Tür und schnupperte kurz hinaus. Ja, das war der richtige Geruch. Es würde noch weiter schneien. Sie schaute eine Weile lächelnd hin, ehe sie sich umdrehte und ins Schlafzimmer lief. Sie nahm ihr Smartphone und schickte ihrer Freundin Lucia eine Nachricht mit nur einem einzigen Wort: „Schnee!" Das passierte jedes Jahr. Wer die erste Flocke sah, musste es der Freundin mitteilen. Meistens war Marie diejenige, die die gute Nachricht verkündete, denn Lucia wohnte in weniger schneeträchtigen Gebieten.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt