117. Hypnotisch

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Hypnotisch

Underdressed. Definitiv underdressed. So kam Marie sich vor, als sie im Restaurant ankamen. Sie kannte so etwas nicht. Solche Räumlichkeiten, solches Personal, solche Gäste. Da war eine Gruppe von mittelalten Herrschaften– anders konnte man diese Leute wirklich nicht bezeichnen. In Maries Gehirn, das dazu neigte, sich Hintergründe und Geschichten auszudenken, waren diese Herrschaften sehr wohlhabende Anwälte oder vielleicht auch Bankiers, die sich hier nach einem gelungenen Abschluss irgendeiner Art trafen, um ihren Erfolg zu feiern. Ihre Frauen waren apart geschmückt. Und auch wenn Marie ihre eigenen Gedanken reaktionär vorkamen, sah es eben genau so aus. Wie vor zwanzig, dreißig Jahren oder vor noch längerer Zeit, als Frauen definitiv nur schmückendes Beiwerk gewesen waren und die erfolgreichen Gatten zum Diner begleitet hatten. So seltsam. Marie kam sich klein vor und komplett fehl am Platz. Sie versteckte sich regelrecht hinter Felix, als der mit der Dame am Empfang redete. Er selbst stand selbstbewusst und locker da, eigentlich wie immer. Selbst wenn seine Kleidung auch nicht hundertprozentig zu passen schien für diesen Ort. Eine helle, leichte Sommerhose, ein bunt gemustertes Hemd. Seide, hatte er ihr mal gesagt, als sie den Stoff gefühlt und sich gewundert hatte. Seine weißen Sneaker bildeten einen in mehrfacher Hinsicht starken Kontrast zu dem dunklen Marmorboden. Er hatte eine Hand lässig in die Hosentasche gesteckt. Die Dame begleitete sie beide zu ihrem Tisch. Immerhin gab sie Marie nicht das Gefühl, irgendwas falsch gemacht zu haben. Vermutlich war man es hier gewohnt, über unpassende Gäste wie über einen Fauxpas hinwegzusehen. Felix wandte sich zu Marie um und lächelte sie an. Ruhig, Marie. Alles gut. Was kann schon passieren?

Felix hatte einen Platz draußen auf der Terrasse reserviert, ganz am Rand. Die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen. Sobald sie saßen und alleine waren, konnte Marie durchatmen.

„Was ist?", fragte er, leicht amüsiert. „Haste echt Bedenken, dass du hier irgendwas falsch machst?"

„Na ja..." Marie zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Schon ganz schön... schick hier, oder?"

„Soll gutes Essen geben. Dit is ja die Hauptsache. Alles andere is ejal."

„Ja, stimmt." Marie ließ den Blick schweifen. Die Herrschaften tafelten drinnen, zum Glück. Und hier draußen waren neben ihnen bisher nur eine Familie – Eltern mit ihren Teenagertöchtern, und ein junges Pärchen, das sich ganz verliebt über zwei Gläser Champagner hinweg anschaute. Marie ging davon aus, dass es Champagner war. Sie hatte echt viele Klischees im Kopf und war sich nicht sicher, ob sie hier angebracht waren. Das Pärchen lachte. Sie saßen so weit weg, dass Marie es eher sah als hörte. Kurz überkam sie die Horrorvorstellung, dass sie hier später noch Zeugen eines Heiratsantrages werden könnten. Sie wandte den Blick ab.

„Wenn du dich nicht wohlfühlst, können wir auch wieder gehen", sagte Felix. „Ist kein Problem, wirklich."

Marie sah ihn an. „Ich bin echt leicht zu durchschauen, oder?" Sie seufzte.

„Na ja. Kenn dich eben langsam schon etwas." Er lächelte.

„Tut mir leid. Ja, ich fühle mich etwas unwohl. Aber... das ist eben ungewohnt hier. Da kommen viele Gedanken. Die muss ich abschütteln. Fühl mich unpassend gekleidet und... wie'n Trampel und... kannst du mir nicht einfach ein bisschen was von deiner I-don't-give-a-shit-Haltung abgeben?" Sie sah ihn lächelnd und mit geneigtem Kopf an.

„Lehn dich zurück", forderte er sie auf.

Marie hob skeptisch eine Braue, tat aber, was er verlangte. „Und?"

„Mach's wie ich." Felix fläzte sich in seinen Stuhl.

Marie zögerte, versuchte aber ihr Möglichstes, es ihm gleichzutun. Vergeblich. So wie er konnte sie einfach nicht sitzen. Sie lachte und schüttelte den Kopf, ehe sie wieder in eine für sie normale und bequeme Position zurückfand. „Sorry, aber das geht echt nicht."

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt