118. Horror

808 44 13
                                    

Okay, für die Sanftmütigen unter euch: Keine Angst (wegen des Titels)! Wirklich.


Horror

Sie fuhren wieder den Rhein entlang, flussabwärts, Richtung Bonn, Richtung Köln. Marie nahm ihr Smartphone aus der Tasche und machte sich daran, die Nachrichten zu beantworten. Es war okay. In den letzten Jahren hatte sie das oft traurig gemacht. Einfach, weil sie manche Menschen lieber an diesem Tag bei sich gehabt hätte, aber das nicht möglich gewesen war. Und manchmal hatte sie es auch traurig gemacht, weil manche Leute ihr einfach nur Standard-Grüße geschickt hatten. Aber im Grunde war daran nichts Schlimmes. Nicht jeder war originell. Und Glückwünsche waren Glückwünsche. Marie musste da keine mangelnde Zuneigung oder irgendwelche negativen Gefühle hineininterpretieren. Na gut, vielleicht gab es Ausnahmen.

Tante Dagmar: Glückwunsch zum 30., Marie. Ich hoffe, du findest deinen Weg doch noch und reißt dich zusammen. Könntest dich ja auch noch mal melden.
Marie: Vielen Dank, Dagmar.

Mehr wollte sie gerade wirklich nicht schreiben. Einatmen, ausatmen. Ihre Tante kannte sie nicht. Sie dachte es nur. Und sie war ihr irgendwie immer feindlich gesinnt. Marie ahnte, woran das lag. Dagmar gab ihr irgendwie die Schuld daran, dass ihr Vater, Dagmars Bruder, nicht mehr da war. Aber das war Blödsinn. Selbst Dagmar musste das im Grunde wissen. Die allgemeine Einschätzung in der Familie war, dass Dagmar einfach sehr unglücklich mit ihrem Leben war. Das sollte Marie berücksichtigen und ihre Spitzen wenn möglich einfach ignorieren.

Sie beantwortete weiter die Glückwünsche von Familie, Freunden, früheren Freunden und Kollegen. Sie gab sich Mühe, beeilte sich aber auch. Lucia schickte sie noch ein Foto vom August-Macke-Haus, um zu zeigen, dass die Konspiration mit Felix gut gelaufen war. Und dann war da noch die letzte Nachricht, die sie sich bis zum Schluss aufbewahrt hatte.

Prof. Dr. F. S.: Liebe Marie, ich wünsche dir alles Gute zum Geburtstag! Ich hoffe, du verbringst einen schönen Tag. Ich weiß, dass das in der Zeit, in der wir zusammen waren, nicht immer der Fall war. Das tut mir leid. Umso mehr hoffe ich, dass es dir wirklich gut geht. Ich denke an dich. Liebe Grüße, Felix.

Marie merkte, wie ihr Hitze ins Gesicht stieg und ihre Augen feucht wurden. Woher kam das jetzt? Es war so seltsam. Warum war er auf einmal so? Jetzt, Jahre später? Ob er sich wirklich geändert hatte? Sie würde es sich wünschen. Für ihn. Denn nicht nur sie hatte unter seiner Art gelitten, da war Marie sich sicher.

„Alles okay?" Felix warf ihr einen Blick zu, ehe er wieder nach vorne schaute.

„Ja... äh... ja", brachte Marie heiser hervor. Fuck. Sie sollte ehrlich sein. „Geburtstagsgrüße. Auch von meinem Ex."

„Mhm." Es klang nicht begeistert.

Marie konnte ihn verstehen. „Ja, blöd irgendwie", murmelte sie. „Äh... du weißt nicht zufällig das Datum, wann du im November in Zürich bist? Dann kann ich ihm das jetzt direkt schreiben. Nägel mit Köpfen und so."

„Gut, ähm..." Er fuhr sich mit der Hand über die gerunzelte Stirn. „Ne, nicht genau. In der letzten Woche jedenfalls."

„Okay, danke."

Marie: Danke für die Wünsche. Wir wollten uns ja noch treffen. Hast du Ende November Zeit? Den genauen Termin kann ich dir noch mitteilen. Würde dann nach Zürich kommen.

Ausatmend legte Marie das Handy weg. „Erledigt", sagte sie leise. Sie fühlte tatsächlich einen Anflug von Erleichterung.

„Gut." Felix nickte. „Geht's dir gut?"

„Machst du Witze?" Marie wandte sich ihm lächelnd zu. „Ich weiß nicht, wann ich zuletzt so einen schönen Tag verbracht habe. Ich weiß noch nicht mal sicher, ob ich schon irgendwann mal so einen schönen Geburtstag verbracht habe. Und das Beste ist einfach, dass du Zeit hast. Den ganzen Tag, nur wir zwei. Hätten auch zu Hause bleiben können. Wäre auch schon ein schöner Tag gewesen. Aber so? Ich... na ja, ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe..." Sie wandte den Blick nach vorne und musste schlucken.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt