111. Bescheiden

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Bescheiden

„Wenn du nicht bald kommst, nehme ich doch die U-Bahn." Marie stand abfahrbereit im Flur, den Rucksack geschultert, während Felix wie ein defekter Pingpongball durch den Wohnbereich eierte.

„Lak! Wo ist jetzt dieser scheiß Autoschlüssel?"

„Da, wo du ihn hingelegt hast?", erwiderte Marie wenig hilfreich, begann aber, sich ebenfalls umzuschauen.

„Ah, Moment, vielleicht..." Er verschwand im Schlafzimmer und tauchte zehn Sekunden später wieder auf, den Schlüsselbund triumphierend klappernd in der hochgereckten Hand. „Wusste ich's doch."

„Klar. Die janze Sucherei haste nur der Spannung wegen veranstaltet, wa?"

Er grinste sie an. „Kein Stress. Das passt schon noch. Und wenn nich, bleibste halt in Berlin. Klappt doch schon janz jut."

„Was meinst du?"

„Egal." Er grinste breit.


„Okay, fuck, ähm...willst du in die Tiefgarage fahren?" Marie sah Felix von der Seite an, während sie sich dem Hauptbahnhof näherten.

„Hatte ich vor, ja. Was ist denn?" Er schaute weiter auf die Straße und konzentrierte sich auf den stockenden Verkehr direkt vor der Zufahrt.

„Ne, schon gut. Wird schon gehen", sagte Marie, die keine weitere Verzögerung riskieren wollte. Einatmen, ausatmen. Sie versuchte, das kalte Gefühl in ihrem Hals wegzuatmen.

„Ach Shit! Du meinst..." Er warf ihr kurz einen besorgten Blick zu.

„Nein, schon gut, ich pack das." Ihre Stimme war erstaunlich ruhig. „Ist ja eigentlich Blödsinn. Schon okay, wirklich." Es ist nicht die Tiefgarage, Marie. Alles gut. Sie hatten die Einfahrt erreicht.

„Letzte Chance", bot er an.

„Fahr rein. Echt, geht schon", versicherte sie ihm. Ruhig, Marie. Das hier ist der Hauptbahnhof. Alles groß und viele Menschen. Ausnahmsweise ein Vorteil. Sie atmete bewusst ein und langsam aus, während Felix den Wagen in die Tiefgarage lenkte und einen Platz fand. Sie stiegen aus.

„Alles gut?", fragte er sie.

„Ja." Sie ging zum Kofferraum, den Felix öffnete. Er warf sich ihren Rucksack über die Schulter.

„Ne, gib mal her", forderte Marie ihn auf. „Ich weiß schon, starker Mann und so, aber ich bin nervös genug vor der Reise und brauch nicht noch den Schockmoment, wo ich im Zug sitze und dich auf dem Bahnsteig stehen sehe, mit meinem Gepäck." Sie streckte die Hand aus. Widerwillig seufzend hielt er ihr den Rucksack hin und schloss das Auto ab, während Marie die Gurte zurechtzog. Ihre Blicke trafen sich kurz, aber sie unterband jede Möglichkeit, dass sie hier noch Zeit verlieren würden.

Einigermaßen gehetzt kamen sie auf dem richtigen Bahnsteig an. Gerade noch pünktlich. Zum Glück. Der Zug würde gleich einfahren. „Okay." Marie nickte. „Geschafft." Sie schaute sich um und entdeckte den Wagenreihungsplan, ein paar Meter weiter. Felix hatte sie überzeugt, dass es gut wäre, wenn sie sich einen Platz reservierte, also hatte sie es riskiert. Sie ging zu dem Plakat und orientierte sich. Offenbar stand sie schon ganz richtig hier. Sie hörte, wie ein Zug einfuhr, vermutlich ihrer. Sie drehte sich um. Felix hatte Kontakte geknüpft. Drei Personen, zwei Männer, eine Frau. Gott, man konnte ihn wirklich keine Sekunde aus den Augen lassen. Marie sah zum einfahrenden Zug, dann zu Felix. Der sah sie eine Sekunde an, bevor er weiter mit den vermuteten Fans redete. Mann, das war jetzt echt seltsam. Der Zug hielt. Sie ging ein Stück in Felix' Richtung, weil dort die Tür war. Sie war gerade überfordert. Sie konnte ja nicht einfach einsteigen. Aber er war beschäftigt, also... Sie sah, wie er eine Hand hob und einen Schritt auf sie zu machte, während er noch etwas zu den dreien sagte. Sie verstand kein Wort. Aber sie wandten sich von ihm ab und einander zu und er kam zu ihr.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt