20. Wut im Bauch

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Wut im Bauch


Maries WhatsApp-Verlauf

Herr Lobrecht: Hi noch mal. Finde meinen Autoschlüssel nicht. Hab bei dir geklingelt, warst aber wohl schon weg. Hast den nicht zufällig gefunden, oder?

Marie: Sorry, dass ich mich jetzt erst melde. Ne, hab den nicht gesehen. Schau aber, sobald ich zu Hause bin. War ja ein bisschen Chaos in meinem Flur. Vielleicht ist er da irgendwo gelandet?

Herr Lobrecht: Alles klar. Sag bitte Bescheid, wenn du ihn findest, würde dann kurz runterkommen und den holen.


„Und der kleine Vries fragt mich so: Haben Sie Ihren Sohn erschossen, weil...na ja, weil Dings, ähm...er wollte sie entsündigen, oder?" Yasemin kicherte und drehte sich zu Marie um, die auf der Rückbank Platz genommen hatte.

„Es waren einfach ein paar Begriffe dabei, die zu schwierig waren", überlegte Marie. „Da sollten wir beim nächsten Mal drauf achten, wenn wir die Geschichte aussuchen."

„Ach." Marcel nahm eine Hand vom Lenkrad, um eine wegwerfende Bewegung zu machen. „Das war schon in Ordnung so. Hat auf jeden Fall allen Spaß gemacht, oder?"

„Oh ja." Yasemin schlug Marcel auf die Schulter.

Marie fand sie etwas anstrengend. Yasemin war immer gutgelaunt, aber nachdem sie mit einigen anderen Kollegen mit einem Sekt angestoßen hatte, um sich Mut für das Krimi-Spiel anzutrinken, und danach auch noch, um die geglückte Veranstaltung zu feiern, war sie ein bisschen drüber.

„So", sagte Marcel und parkte am Straßenrand. „Nächste Haltestelle."

Yasemin lachte. „Huch, das ging ja schnell!" Sie schnallte sich los und öffnete die Tür, die aber glatt wieder zufiel. Sie versuchte es erneut.

„Warte, ich komme kurz mit und bringe dich zur Tür", sagte Marie und klappte den Sitz nach vorne, sobald Yasemin stolpernd ausgestiegen war.

„Gute Idee", befand Marcel. „Bring sie mal lieber."

„Ach, ihr", sagte Yasemin, hakte sich aber bei Marie ein und winkte Marcel zu, ehe sie schwungvoll die Beifahrertür zuschlug.

Schweigend liefen sie die paar Meter zur Doppelhaushälfte. Der Weg war dunkel, aber als sie sich der Tür näherten, reagierte ein Bewegungsmelder und der Eingang erstrahlte im Licht einer Lampe.

„Danke, Marie. War ein lustiger Abend, oder?" Yasemin kramte in ihrer Handtasche.

„Ja, war es."

Yasemin hielt triumphierend den Schlüssel hoch, dann änderte sie den Fokus und schaute Marie ins Gesicht. „Haben wir echt gut hinbekommen. Siehst eins a aus wie eine englische Lady in den Golden Twenties."

Marie lachte. „Na ja, eigentlich war ich ja die Tochter eines Chauffeurs, die sich hochgeschwindelt hat." Sie fasste sich in die Haare, die Yasemin ihr in eine elegante Hochsteckfrisur gelegt hatte. „Danke noch mal fürs Styling."

„Ach, gerne, Süße, wirklich gerne."

Sie verabschiedeten sich und Marie wartete, bis Yasemin die Haustür hinter sich geschlossen hatte, ehe sie zum Auto zurückkehrte. Sie öffnete die Beifahrertür und stieg ein, auch wenn sie kurz überlegt hatte, wieder nach hinten auf die Rückbank zu klettern, aber das wäre auch irgendwie albern gewesen. Sofort war es ihr unangenehm, mit Marcel alleine im Auto zu sitzen. Aber sie hatte sich ja dafür entschieden mit ihm zu fahren, statt mit der S-Bahn. Marcel nickte ihr kurz lächelnd zu, fuhr an und lenkte den Audi zurück auf die Straße. Immerhin fuhr er eher langsam. Marie zog den Mantel enger um sich. Im Radio lief leise irgendein belangloses Lied, das sie nicht kannte und auch nicht kennenlernen wollte. Marcel bewegte den Kopf leicht im Rhythmus und trommelte mit der rechten Hand auf seinen Oberschenkel. Marie sah es und fand es seltsam, unnatürlich irgendwie. Er bemerkte ihren Blick und schaute sie kurz an.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt