116. Von oben

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Von oben

„Wir fahren nach Bonn? Oder noch weiter? Ne, oder? Siebengebirge vielleicht? Willst du mir nen Drachen zeigen? Ah ne, du stehst ja nicht so auf Drachen. Haus der Geschichte vielleicht? Bist doch so politikinteressiert." Da Felix nicht reagierte und stattdessen lieber leicht lächelnd weiter auf die Straße schaute, verschränkte Marie die Arme und lehnte sich zurück. Sie betrachtete das Armaturenbrett, das Lenkrad, die Innenverkleidung. Neu, klinisch, seelenlos. So roch es auch. Nein, sie sollte nicht so hart in ihrem Urteil sein. Es hatte sie selbst ein wenig überrascht, dass es sie irgendwie tatsächlich getroffen hatte, dass der weiße Mercedes jetzt Geschichte war. Aber im Grunde ging sie das ja nichts an. Und es war ja nur ein Auto. Sie seufzte.

„Schmollst du jetzt?", fragte er amüsiert.

„Hm? Weil du mir nichts verrätst? Ne, find ich eigentlich gut. Aber Raten macht halt auch Spaß. Darf ich weiter?"

„Klar. Shoot! Glaub aber nich, dass du drauf kommst."

„Okay. Es muss was sein, was in Bonn ist, vermute ich mal. Mit Beethoven muss es nicht zwangsläufig was zu tun haben. Hm... Wir waren schon mal... zusammen oder eher wohl gleichzeitig in Bonn. Allerdings ist es da nicht ganz so optimal gelaufen", überlegte Marie laut. „Aber eigentlich hätten wir uns getroffen. Und... Moment! Du hast gesagt, dass du eigentlich danach mit mir ins Hotel wolltest." Sie schaute ihn von der Seite an, um seine Reaktion erkennen zu können. „Ist es das? Gehen wir in irgendso'n Luxushotel? Vielleicht mit nem tollen Bett, damit wir rückenschonend vögeln können? Ach, Felix! So'n Aufwand musst du echt nicht betreiben. Und dann die lange Fahrt. Echt, von mir aus hätten wir es heute Morgen schon bei dir machen können. Im Bett oder auf der Couch oder in der Küche oder vielleicht auch zur Feier des Tages draußen. Hätten ja die Pflanzen umstellen können, so dass die uns Deckung geben. Oder wir hätten..."

„Mann!", unterbrach er sie lachend. „Hör auf mir so'n Kopfkino zu machen, ja? Sonst zeig ick dir gleich mal, wie'n U-Turn geht."

„Auf der Autobahn? Okay, ich hör schon auf." Marie biss sich auf die Unterlippe. „Also kein Hotelzimmer gebucht?"

„Ne. Könnten wa aber immer noch, wenn du dit willst."

„Ne. Is eigentlich unnötig. Also, wenn wir wirklich nur nach Bonn fahren und nicht weiter. Bleiben wir in Bonn?"

„Erst mal ja." Felix nickte einmal sehr deutlich.

„Gut. Dann... lass ich das jetzt mit dem Raten und schaue gebannt, wie du dein neues Auto gleich heil durch die Einbahnstraßen manövrierst."

„Na, dit is kein Problem für mich", behauptete er selbstbewusst.

„Dann bin ich jetzt still und bewundere dein Können."

Aber noch waren sie nicht in Bonn. Der Verkehr stockte. Marie nahm ihr Smartphone und öffnete WhatsApp. Felix hatte ihr vorhin noch das Foto von ihr geschickt. Sie wappnete sich so gut es ging und öffnete es dann. Hm. Die Jacke war echt schön. Sie passte zu der hellen Jeans und dem einfachen, hellrosa T-Shirt. Die Sachen hatte sie noch immer an. Felix hatte ihr versichert, dass sie so auf jeden Fall passend angezogen war für das, was sie vorhatten. Also offenbar schon mal kein Pferderennen oder Schlammcatchen. Sie schaute in ihr Gesicht, das sie auf Fotos immer am wenigsten mochte. Immerhin war das Lächeln nicht so gequält wie sonst. Sie hatte Felix angelächelt und nicht in die Kamera geschaut. Es war okay. Und vermutlich würde das Foto ihrer Mutter gefallen. Also schickte sie es ab.

Marie: Danke noch mal! Passt perfekt. Gibt es eigentlich noch ein Foto von mir in diesem grünen Froschpulli? Du hast echt immer schon die schönsten Sachen genäht!

Sie schaute noch flüchtig, wer ihr sonst geschrieben hatte. Mehr als sie gedacht hätte. Sie würde später antworten. Marie packte das Handy wieder weg. Die Autobahn ging nahtlos in eine normale Straße über und sie fuhren in einen riesigen Kreisel. Sie schielte auf das Navi. Felix hatte eine Adresse eingegeben, als sie eingestiegen waren. Sie hatte es absichtlich ignoriert, aber jetzt wusste sie ja schon, dass es nach Bonn ging. Die Ansicht, in der das Ziel jetzt schon sichtbar war, half ihr nicht viel weiter. Und sie würde den Teufel tun und auf ihrem Handy nachschauen und sich so die Überraschung verderben. Aber langsam wurde sie nervös. Felix lenkte den Mercedes sicher durch den zähen Verkehr und fuhr schließlich auf einen kleinen Parkplatz, noch ehe sie das eigentliche Ziel erreicht hatten. Sie stiegen aus und Marie schaute sich um. Sie war sich nicht sicher, ob ihr irgendwas bekannt vorkam. Früher war sie ab und an hier gewesen. Eine ihrer Tanten hatte eine Zeitlang mit ihrer Familie in einem Vorort von Bonn gelebt.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt