53. Driftend

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Da ich stark vermute, dass nicht alle von euch gerade im Gloria sind (ich ja auch nicht, bin eh zu weit weg) und ihr vielleicht ein wenig Beschäftigung zum Ausgleich braucht, kommt jetzt schon Nachschub. Außerdem denke ich mal, dass es euch lieber ist, wenn die Kapitel mit räumlicher Trennung zwischen Felix und Marie schneller vorbei sind...


Driftend

Es war ruhig geworden. Nur die Geräusche der Natur und dann das irgendwie satte Schmatzen der Farbe, wenn Marie die Walze über das Abrollgitter strich. Lucia bearbeitete mit einem Pinsel die schlechter erreichbaren Ecken des ehemaligen Stalls. Maries Blick folgte der Farbwalze, hin und her. Irgendwie war es fast meditativ, aber leider schweiften ihre Gedanken dabei auch gerne zu sehr ab. Als sie das nächste Mal Farbe aufnehmen musste, trat sie einen Schritt zurück. Sie hatten gute Arbeit geleistet bisher. Am Morgen hatten sie den alten Anstrich zunächst abgeschliffen. Und jetzt, am Nachmittag, war das halbe Gebäude schon neu gestrichen und leuchtete in Falunrot.

„Timo hat sich übrigens letzte Woche bei mir gemeldet", sagte Lucia plötzlich in die Stille hinein.

„Ne, oder?" Marie hielt in ihrer Bewegung inne und legte die Walze rasch auf dem Gitter ab, bevor die Farbe auf den Boden tropfte. Timo war Lucias Exfreund.

„Hat irgendwie mitgekriegt, dass ich zurückkomme. Und dachte, er fragt mal an. Ist gerade Single, hat er mir mitgeteilt."

„Na ja, direkt war er ja schon immer. Soweit ich mich erinnere, hast du das ja an ihm auch besonders gemocht." Marie fing wieder an zu streichen.

„Klar. Ist ja auch nach wie vor ein lieber Kerl. Davon geh ich mal aus. Aber...ne, echt nicht. Hab ich ihm auch so gesagt. Will ihn mir ja auch nicht warm halten. Glaub auch nicht, dass wir noch viel gemeinsam haben."

„Mhm." Marie wusste, dass Lucia und Timo immer wieder mal was am Laufen gehabt hatten, auch Jahre nach ihrer Trennung.

„Hat er aber schon ganz geschickt gemacht", sagte Lucia. „Meinte, er hat gerade ne schlimme Beziehung hinter sich. Ganz doller Liebeskummer. Dachte wohl, ich komme dann gerne um ihn zu trösten." Sie kicherte. „Na ja, ich weiß ja, wie er drauf ist. Darauf fall ich nicht rein. Hab ich ihm auch gesagt. Er meinte, einen Versuch wäre es ja wert gewesen."

Marie schnaubte. „Miese Tricksereien."

„Ach, der will ja nur spielen", sagte Lucia amüsiert.

Marie lächelte. Aber ihre Gedanken waren plötzlich nicht länger bei Lucia und deren Ex. Heute vor einer Woche. Marie erinnerte sich daran, wie verletzt sie gewesen war, dass Felix sich nicht mehr gemeldet hatte. Wochenlang. Wie sie versucht hatte, das schlechte Gefühl zu unterdrücken, sich abzulenken. Wie wütend sie gewesen war, als sie sein Auto vor dem Haus hatte stehen sehen. Und dann in seiner Wohnung. Depression. Ein Wort und sie hatte mit ihm mitgefühlt. Klar, bei ihrer Vorgeschichte. Und wenn das alles nur irgendein komisches Spiel gewesen war? Wenn er geschwiegen hatte, um sie rumzukriegen? Vielleicht hatte sie sich in ihm getäuscht. Marie wurde schlecht, das Atmen fiel ihr schwer. Sie machte einen Schritt zurück.

„Hej! Alles klar? Ist dir schwindelig?" Lucia war bei ihr und nahm ihr die Walze aus der Hand.

Marie schloss kurz die Augen und schaffte es durchzuatmen. Der Farbgeruch war nicht sehr angenehm. „Geht schon", murmelte sie.

„Komm, wir machen mal Pause", schlug Lucia vor. „Ist eh Zeit für Fika."

„Hm, ja, gut."

Sie setzten sich vors Haus an einen Gartentisch, nachdem Lucia ein Tablett mit vollen Kaffeebechern und Kanelbullar von drinnen geholt hatte. Marie biss in ihre Zimtschnecke, in der Hoffnung, der Zucker würde ihre Laune heben. Der Zimt sorgte auf jeden Fall dafür, dass sie sich für einen Moment in die Adventszeit versetzt fühlte. Plätzchen backen. Ach, verdammt! Das war doch alles so komisch. Im Grunde kannte sie ihn doch nicht. Klar, die Zeit in Berlin, in seiner Wohnung. Man könnte meinen, dass so etwas verband. Dass das miese gemeinsam Erlebte sie verband. Aber das war eben eine Extremsituation gewesen, in der sie sich ihm nah gefühlt hatte. Und danach? Und davor? Flüchtige Begegnungen, zufällige. Wenn er in Köln gewesen war und gerade nichts Besseres zu tun hatte. Vermutlich hatte er sich gelangweilt, weil er sonst niemanden in Köln kannte. Oder gerade niemand anders Zeit hatte. Aber sobald er in Berlin war, hatte er eben anderes zu tun. Vermutlich würde er die ganze Woche beschäftigt sein. Und der Sex. Was hatte er gesagt? Irgendwas davon, dass er lange darauf gewartet hatte oder so, dass er Bock hatte auf sie. Ja, klar. War ja nicht der erste Mann, der dachte, sie rumzukriegen sei irgendeine besondere Leistung. Und nach erfolgreicher Erbringung konnte man sich selbst gratulieren. Und bei so viel Sex wie sie in den drei Tagen gehabt hatten, ging Marie davon aus, dass er es nie lange ohne aushielt. Er war gierig. Süchtig, hatte er doch selbst gesagt. Aber sie wollte gerade echt nicht darüber nachdenken, mit wem er sonst so alles schlief oder wie viele Frauen er schon gefickt hatte. Mann! Marie kniff die Augen zusammen. Hör auf so zu denken!

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt