7. Kalte Füße

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Kalte Füße

Marie zwang sich einen Schritt nach vorne zu machen, auch wenn ihr Instinkt ihr dringend empfahl, umzudrehen. Die drei Männer waren keine fünf Meter entfernt von ihr.

„Eisprinzessin", wiederholte einer von ihnen die dämliche Begrüßung. Ein anderer lachte. Junge Typen Anfang zwanzig. Weitergehen, Marie! Sie tat es, behielt den Blick oben, ohne die Männer direkt anzuschauen. „Komm mit, kannst dich bei uns aufwärmen." Grölen. Alkoholisiert, ganz sicher. „Gangbang-Party. Da wird's schnell heiß." Noch mehr Grölen, zustimmend. Los, Marie, geh weiter! Nicht arrogant wirken, nicht unterwürfig, nicht aggressiv, nicht zu lässig, nicht lächeln und nicht zu böse schauen. Zielstrebig ging Marie weiter, an den Männern vorbei. Sie machte keinen absichtlich großen Bogen, wich einfach geschickt etwas zur Seite aus. Lachen. Sie meinte, Alkohol zu riechen. Ruhig weiter gehen, Marie! Und das Atmen nicht vergessen. Sie ließ die Typen hinter sich. Die lachten noch mal, sagten irgendwas über ihre „Titten", was Marie aber durch das Rauschen in ihren Ohren nicht richtig verstehen konnte. Sie konnte ihr Herz fühlen, es schlug zu laut, zu heftig. Ruhig atmen, Marie. Einfach atmen. Das Grölen wurde leiser und leiser. Nein, sie folgten ihr nicht. Weiter atmen, Marie. Sie schaute auf den Weg. Einen Schritt nach dem anderen. Dann findest du schon nach Hause.

„Marie?" Die Stimme hinter ihr ängstigte sie nur den Bruchteil einer Sekunde. Sie erkannte sie, drehte sich um, setzte mechanisch ein Lächeln auf. Felix kam auf sie zu, mit großen Schritten und erstaunlich wachen Augen. „Ey, Mann, du warst auf einmal weg."

Übles Flashback. Das hatte sie auch zu ihrem Exfreund gesagt. Mehr als einmal. Nein, nicht jetzt, nicht heute, nicht hier. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich schon wieder. „Sorry, ich, ähm, war in Gedanken, Schnee, Sterne...alles..." Die Wörter überschlugen sich, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, sie bekam keine Luft.

„Hey, is alles in Ordnung?" Er stellte sich vor sie und starrte ihr ins Gesicht.

Zu nah, einfach zu nah. Sie machte einen Schritt zurück. Das kalte Brennen in ihr war nicht gut. Sie wusste, wohin das führte, und das konnte sie jetzt nicht zulassen. Ruhig, ganz ruhig. Sie brauchte einen Fixpunkt, aber die Augen ihres Gegenübers sollten es nicht sein. Sie senkte den Blick, schaute auf ihre rechte Hand. Auf dem Handschuh hatte sich eine Schneeflocke gesetzt. Gut. Sie schaute ihr beim Schmelzen zu. Noch eine. Langsam löste sie sich auf.

„Da waren ein paar Besoffene", sagte er. „Die kamen von hier. Haben die dich angemacht? Ist was passiert?"

Marie schüttelte den Kopf. Sie grinste und sah Felix an. „Nein, Quatsch. Bei dem Wetter vergewaltigen die keine Frauen im Park."

Sie sah ihm an, dass er ihren Witz genauso wenig lustig fand wie sie selbst. Sie hatte das Grölen wieder in den Ohren. Und es schüttelte sie innerlich.

„Haust du immer einfach so ab?", fragte er. Marie war sich nicht sicher, ob es eher vorwurfsvoll oder besorgt klang.

„Nein, tut mir leid. Es war...manchmal bin ich so...gedankenlos, weiß auch nicht. Ich meine, du wolltest eine rauchen, ich wollte Schnee und Sterne sehen... wie gesagt, gedankenlos." Sie hob entschuldigend die Schultern.

Er nickte, sah aber eher skeptisch aus.

„Es tut mir leid", sagte sie. Atmung und Pulsschlag hatten sich normalisiert. „Wirklich, ich weiß, das ist keine Art. Schnee macht mich nun mal..."

„Ja ja, der Fetisch, verstehe."

„Nix Fetisch. Ich will den Moment genießen. Verstehst du?"

„Hm, ja." Er nickte und schaute sie nachdenklich an. „So was denke ich mir zwar eher, wenn gerade ne geile Party läuft oder so, aber – gut, bei dir ist es eben Schnee." Das letzte Wort betonte er in einer albernen Art.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt