64. Beruhigend

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Beruhigend

Marie ließ den Rollladen herunter, kippte das Fenster und fand blind den Weg in ihr Bett. Auf dem Rücken liegend atmete sie nach und nach ruhiger und versuchte an nichts zu denken. Das lag ihr aber nicht. Trotzdem. Einatmen, ausatmen. Sie war müde. Alles war gut. Sie lag in ihrem frisch bezogenen Bett in ihrer komplett aufgeräumten und sauberen Wohnung. Alles war gut. Einatmen, ausatmen. Sie döste ein wenig ein, aber ein aufheulender Motor draußen ließ sie wieder wach werden. Langsam sollte sie ans Stadtleben gewohnt sein. Ablenkung. Hörbuch oder Podcast. Aber eigentlich sollte sie ohne einschlafen können. Einatmen, ausatmen. Er wäre geblieben. Obwohl sie schlechte Gesellschaft war. Vielleicht hätte sie Ja sagen sollen. Dann wäre er jetzt hier. In ihrem Bett. Aber das wäre auch komisch gewesen. Nein, es war gut so. Und morgen würde es ihr schon besser gehen. Einen Schritt nach dem anderen. Einatmen, ausatmen. Schlafen, Marie, schlafen. Okay, das klappte nicht. Vielleicht sollte sie anderen das Reden überlassen, damit ihre Gedanken keinen Platz mehr hatten. Sie drehte sich zur Seite und machte das Nachtlicht an. Auf der unteren Ablage des Nachttischs lagen ein paar neu erschienene, ausgeliehene Hörbücher. Das Letzte, was du hörst von Andreas Winkelmann. Ne, da konnte sie nachher gar nicht mehr einschlafen. Fast bis zum Nordkap von Judith Pinnow. Ne, ihr war gerade nicht nach Romantik und dann spielte es noch in Schweden.

Marie nahm einen Schluck Wasser und entschied sich dann, doch ihr Smartphone zu aktivieren. Ihre abonnierten Podcasts hatten nichts Neues geliefert. Eine alte Folge wäre eine Möglichkeit. Aber irgendwie war ihr doch nach etwas anderem. Als Lucia in Schweden Gemischtes Hack hatte laufen lassen, war es komisch gewesen. Aber vielleicht war es einen weiteren Versuch wert. Sie startete es, stellte den Sleeptimer, legte das Handy weg und machte das Licht aus.

„Nä, watt...wor dat denn fröa... en superjeile zick. Das war... keine Ahnung, aber damit jedenfalls: Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge Gemischtes Hack. Mein Name ist Felix Lobrecht und mir gegenüber sitzt wie immer der wunderbare Tommi Schmitt, der mir dieses Gestammel vorhin diktiert hat, weil ich ihn nach nem Lied auf Kölsch gefragt habe. Weil ich zugegebenermaßen es heute verschwitzt habe, mich ordentlich vorzubereiten. Wenn ich Tommis Grinsen sehe, bereue ich dit jetzt schon."

Tommi lachte. „Also für deinen ersten Versuch klang das doch ganz passabel. Allerdings bin ich ehrlich gesagt auch nicht wirklich zu einem qualifizierten Urteil in der Lage, weil ich ja gar nicht aus Köln stamme."

„Ja, aber du machst den ganzen Scheiß doch mit. Karneval und so."

„Ja, aber ich verfüge trotzdem nur über sehr rudimentäre Kölschkenntnisse."

„Ah ja. Na danke. Ich vermute mal, ich habe eben so was richtig Dummes gesagt, wa? Vermutlich war die Superzicke Feministin und in dem Lied wird dann auch noch der Holocaust geleugnet und am Ende gibt es noch nen fetten Rassismusskandal."

„Nein, keine Sorge. Tatsächlich geht es da nicht um eine zickige Frau, sondern eine supergeile Zeit. So viel Kölsch verstehe ich dann doch mittlerweile."

„Ah, okay. Na dann glaub ick dir dit ma. Aber nächstes Mal gibt es wieder'n ordentliches Zitat."

„Ich bitte darum. Was sollen denn sonst unsere Hörer denken? Dass wir uns nicht mehr vorbereiten auf die neue Hackfolge?"

„Dit wär ja noch schöner."

„Ja, wo kommen wir denn da hin?", polterte Tommi im Tonfall eines Hausmeisters, der sich über unhaltbare Zustände im Treppenhaus beschwert. „Ach, Felix", fuhr er seufzend mit normaler Stimme fort. „Jetzt sitzen wir schon wieder hier in... einem Raum, die zweite Folge in Folge. Du bist schon wieder in Köln. So schön, dich hier zu sehen. Obwohl es ja fast trotzdem nicht geklappt hätte mit dem Aufnehmen. Weil du irgendwie unseren Termin verschwitzt hattest. Wie kommt's?"

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt