67. Story

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Story

„Machst du jetzt auch Schluss?"

Marie, die gerade den PC ausgeschaltet hatte, schaute etwas überrascht in Richtung der geöffneten Bürotür. Marcel stand da und sah sie abwartend an.

„Mhm, ja." Sie nickte. Um auf ihre Stunden zu kommen, hatte sie es heute übernommen, den Abschluss zu machen und dazu noch die eigentlich zu spät eingetrudelten Anmeldungen für den Sommerleseclub bearbeitet. Die Bücherei war bereits seit einer halben Stunde geschlossen. „Sibylle ist auch noch da, oder?"

„Ja, aber die braucht noch was länger. Hat ja ab nächster Woche Urlaub."

„Ach so, ja." Marie schaltete den Bildschirm aus und griff nach ihrer Umhängetasche. Als sie sich den Gurt über die Schulter legte, fiel ihr ein, dass der Schlüssel zu ihrer Wohnung nicht wie gewohnt darin war. Hoffentlich hatte Felix dran gedacht, ihn einzuwerfen. Sie musste lächeln beim Gedanken daran, wie er heute Morgen die Treppen im Haus hinaufgesprintet war, weil er noch den Autoschlüssel aus seiner Wohnung hatte holen müssen. Kein Wunder, dass er dabei sein Handy bei ihr vergessen hatte. Offenbar war er wirklich kein Morgenmensch.

Als Marie Richtung Tür ging, machte Marcel ihr Platz und wartete im Flur. Sie schaltete das Licht aus und folgte ihm. Sie rief ein „Schönen Abend noch! Und schönen Urlaub, ja?" in Sibylles Büro hinein. Die Chefin grüßte zurück und winkte ihr fröhlich zu.

„Und? Was machst du am Wochenende?", fragte Marcel, als sie durch die leere Bücherei Richtung Treppe gingen.

„Das Übliche eben", sagte Marie vage. Dass sie mit ihrem Buch beginnen würde, war kein Thema, das sie mit Marcel erörtern wollte. „Und du?", erinnerte sie sich daran, dass es höflich war, eine Gegenfrage zu stellen.

„Muss morgen ja arbeiten", begann er. „Aber dann wollte ich mit'n paar Kumpels nach Holland fahren. Soll ja super Wetter geben. Sonne, Strand..."

Marie hörte ihm nicht wirklich zu, während sie ins Erdgeschoss hinuntergingen. Sie dachte an Felix, wie schon den ganzen Tag über immer wieder. An sein Lächeln, seine Küsse, seine Berührungen... Hör auf, Marie! Kein Tagtraum jetzt. Sie musste dennoch lächeln, weil sich in ihr dieses wohlige Flattern ausbreitete.

„...einfach mal ausspannen. Ist auch total ruhig da, kann man auch zu zweit ein paar schöne Tage verbringen. Jetzt nicht gerade zur Hochsaison, aber mal für'n Wochenende oder so..."

Marie versuchte, seinen Ausführungen zu folgen, wandte sich ihm zu und merkte, dass er für ihren Geschmack ein bisschen zu wenig Abstand hielt. Manche Menschen waren eben so. Automatisch verlangsamte sie ihre Schritte und schwenkte etwas nach links, um das Problem unauffällig zu lösen. Nach ein paar Metern waren sie ohnehin schon am Ausgang. Marcel hielt ihr die Tür auf und sie schlüpfte an ihm vorbei hinaus, lief ein paar Schritte voraus und atmete tief durch. Die Sonne, die knapp über einem der Hochhausdächer in der Ferne stand, blendete sie.

„Soll ich dich nach Hause fahren?"

Marcel stand plötzlich vor ihr. So nah, dass Marie den Kopf beinahe in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht zu sehen. Sie machte einen Schritt zurück. „Nein, danke." Gott, sie würde nie wieder zu ihm ins Auto steigen. Aber das musste sie ihm ja nicht so sagen. „Ein bisschen Bewegung tut mir jetzt ganz gut."

„Ach so, ja." Er nickte langsam, fuhr sich mit der Hand durch die kinnlangen Haare und sah Marie an mit diesem sanften Blick, der irgendwie was Tiefgründiges an sich zu haben schien. Aber sie war sich ziemlich sicher, dass das eine Täuschung war. „Na gut, dann... schönes Wochenende dir, ja?"

„Mhm." Marie nickte. „Viel Spaß in Holland."

„Ja, wird sicher schön. Kannst dir ja noch überlegen, ob du mal mitkommst."

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt