98. Selbstverständlich

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Selbstverständlich

„Willst du was trinken?", fragte Felix sie, als sie aus dem Bad kam.

„Mhm." Marie lief ihm hinterher in den Küchenbereich. Sie merkte, dass sie gerade zu nicht viel Eigeninitiative fähig war. Sie war erleichtert, dass er immerhin Anzeichen gezeigt hatte, dass es für ihn okay war, dass sie hier war. Ob es wirklich gut war, würde sich wohl noch herausstellen. Sie hätte in der Nacht eine Liste machen sollen mit Pros und Kontras. Nein, Schwachsinn. Sie hätte einfach nachdenken sollen. Aber mitten in der Nacht war ihr das schwergefallen. Obwohl ihr schon der Gedanke gekommen war, dass Berlin etwas anderes war als Köln. In Köln verbrachten sie wie selbstverständlich Zeit miteinander. Wenn er da war, kam er vorbei. Klar, er wohnte ja im selben Haus. Aber das hier war Berlin. Hier hatte er andere Abläufe, andere Möglichkeiten. Sie gehörte hier nicht dazu. Vermutlich wäre es cleverer gewesen, ihm noch in der Nacht von ihrem Vorhaben zu berichten. Dann hätte er sie abhalten können. Aber er hatte gesagt, dass er sich freute, gerade eben. Immerhin. Aber er war ja auch immer höflich ihr gegenüber. Eigentlich.

Felix reichte ihr ein Glas mit Wasser. „Willste och nen Kaffee? Hast ja kaum geschlafen dann, wa?"

„Mhm." Marie nickte. „Hab ich dich eigentlich geweckt? Mit meinen Nachrichten, meine ich?"

Er grinste mit nur einem Mundwinkel und geschlossenen Lippen. „Ne, hab's erst gesehen, als ich aufgewacht bin."

„Gut." Sie trank einen Schluck. „Wusstest du, dass es nen ICE gibt, der nur vier Stunden braucht? Also von Hauptbahnhof zu Hauptbahnhof. Ohne Zwischenstopps. Der fährt mehrmals am Tag sogar." Sie hoffte, dass ihm klar war, dass es kein großer Aufwand war, wenn sie heute wieder zurückfuhr. Mit einiger Anstrengung versuchte sie ein Gähnen zu unterdrücken, aber sie scheiterte letztlich kläglich. Sie hielt sich die Hand vor den Mund. „Sorry."

„Ich mach uns mal nen Kaffee jetzt", sagte er. „Kannst dich ruhig auf die Terrasse setzen oder ins Wohnzimmer. Komm dann gleich."

Marie verstand, dass er offensichtlich ein wenig Ruhe haben wollte. Kein Wunder, so wie sie ihn überrumpelt hatte. „Okay." Sie folgte seinem Vorschlag und setzte sich auf die Couch im Wohnbereich. Aus der Küche hörte sie Geräusche. Sie stellte ihr Wasserglas auf dem Tisch ab und lehnte sich dann zurück. Die Polster waren gemütlich. Ihre Augen brannten und ihr war etwas kalt. Manchmal vertrug sie die klimatisierte Luft in Zügen nicht. Sie schaute sich um, aber natürlich lag keine Decke auf der riesigen Wohnlandschaft. Sie schnappte sich stattdessen eines der Kissen und legte es sich auf den Schoß. Besser. Sicher wäre es gut, wenn sie einen Moment die Augen schloss, um zu entspannen.


Plötzlich erwachte Marie, richtete sich ruckartig auf und sah sich verwirrt um. Oh Mann... Wo...? Was machte sie...? Ach ja. Sie schaute hinaus und entdeckte Felix, der rauchend auf der Dachterrasse stand, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie wollte ihr Smartphone aus ihrer Hosentasche ziehen und merkte dabei, dass eine Decke über ihr ausgebreitet war. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich eben hingesetzt hatte. Ohne Decke. Eben? Sie tippte ihr Handy an, um die Uhrzeit sehen zu können. Sie wusste nicht ganz genau, wie spät es gewesen war, als sie eingenickt war, aber geschätzt hatte sie nicht länger als eine halbe Stunde geschlafen. Gut. Dennoch peinlich. Sie stand auf, faltete die Decke zusammen und legte sie ordentlich auf die Rückenlehne, ehe sie rausging. „Hey", sagte sie und wartete, bis Felix sich umgedreht hatte. „Sorry. Da penn ich einfach ein."

„Ist doch okay." Er lächelte und hielt die Zigarette dabei weit weg, so als hätte er Angst, irgendein Funke könnte Löcher in seine Jogginghose brennen. „Wie heißt die Alte, die hundert Jahre pennt?"

Marie sah ihn irritiert an und brauchte eine Weile, bis sie ahnte, was er meinte. „Dornröschen?"

„Yo. Dit bist du."

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt