88. Ehrlich

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Ehrlich

Marie stand unschlüssig in der Küche. Sie hatte das Brot gebacken, nachdem sie das Rezept noch etwas angepasst hatte. Es hatte eine knusprige Kruste und innen war es vermutlich planmäßig luftig geblieben. Jedenfalls gab es leicht nach, wenn man draufdrückte. Eigentlich ideal als Beilage zu Gegrilltem, Sommerlichem. Aber Marie hatte die Entscheidung, ob sie wirklich zu Felix hochgehen sollte, noch nicht getroffen. So seltsam alles. Was war das vorhin gewesen? Hatten sie gestritten? Hatten sie einen Streit beigelegt? War es der zweite Teil von einem Streit gewesen, der mit den WhatsApp-Nachrichten am Vortag begonnen hatte? Keine Ahnung. Aber Marie hatte die Einladung befremdlich gefunden. Was wollte er? Warum hatte er auf einmal gemeint, dass sie lieber allein sein wollte? Vielleicht hatte er ihr einfach Zeit geben wollen, aber... „Reg dich erst mal wieder ab, Marie." Die Stimme in ihrem Kopf. Felix. Nicht er. Ihr Ex.

„Aber können wir vielleicht darüber reden?" Marie sah ihn an. „Ich hab ja keine Ahnung, was du meinst, und das ist dann schwierig für mich."
„Es war früher leichter mit dir. Da haben wir einfach über unseren Alltag geredet, statt über irgendwelche Probleme." Felix war offenkundig enttäuscht.
„Wir wollten doch nur klären, ob und wann wir in Urlaub fahren können?" Marie verstand nicht, was daran schwer war. Aber sie verstand ihn ja oft nicht, was zweifelsohne daran lag, dass er einfach in anderen Sphären dachte, in die sie ihm mit ihrem kleinen Verstand nicht folgen konnte.
„Das sage ich dir dann." Seine Hand rieb über seinen Oberschenkel. Ein Zeichen von Nervosität bei ihm, wie Marie wusste.
„Ja, aber ich muss doch auch planen", versuchte sie ihm ihre Hartnäckigkeit begreifbar zu machen. „Ich muss mich eintragen und sehen, ob das nicht mit dem Urlaub der Kolleginnen kollidiert. Wenn ich das jetzt nicht bald weiß, haben wir zwei nachher gar keine Zeit miteinander im Sommer."
„Reg dich erst mal wieder ab, Marie."
Sie fand nicht, dass sie aufgeregt war. Sie sprach ruhig und gelassen. Sie wusste ja, dass er es nicht mochte, wenn allzu viele Emotionen sichtbar waren. „Ich versuch doch nur herauszufinden, ob wir..."
Er holte sein Smartphone hervor und fing an, darauf etwas zu suchen. Erst dachte Marie noch, er würde vielleicht seinen Kalender aufrufen, aber dann sah sie, dass er an einem Text schrieb und sie wusste, dass ihm irgendwas zu seiner Forschung eingefallen war. Oder vielleicht war es auch nur ein Vorwand, um sich der für ihn unangenehmen Situation zu entziehen.
Den Rest des Tages war er quasi nicht mehr ansprechbar gewesen und dann war Marie abgereist. Sie hatte ihm geschrieben, dass sie gut angekommen war.
Felix: Ich hoffe, dass du dich mittlerweile wieder beruhigt hast.
Marie: Wie soll ich mich beruhigen? Ich habe mich nicht aufgeregt. Ich wollte lediglich etwas klären.
Felix: Du solltest daran arbeiten. Melde dich wieder, wenn du so weit bist. Ich muss mich auf wichtige Sachen konzentrieren.

Marie musste sich an den Küchentisch setzen, weil auf einmal die Erinnerungen so präsent waren. An ihn, an die ganze Scheiße zwischen ihnen. Und vor allem an die Gefühle, die sie damals gehabt hatte. Marie hatte sich ohnmächtig, traurig, einsam und zugleich wütend gefühlt. Sie hatte sich nicht melden wollen. Sie war doch kein kleines Kind, das man in die Ecke stellte, bis es zu Ende geschmollt hatte. Aber natürlich hatte er sich auch nicht gemeldet. Er hatte sich nie von sich aus gemeldet. Und irgendwann hatte sie nachgegeben in ihrem Kampf, von dem Marie noch nicht mal gewusst hatte, ob es einer war. Denn sie war sich ziemlich sicher gewesen, dass Felix gar nicht daran teilnahm. Aber sie hatte die lange Stille nicht ausgehalten. Sie hatte sich wie meistens irgendwann nur noch Sorgen gemacht. Die Schwierigkeiten waren in den Hintergrund gerückt und sie hatte nur gehofft, dass es ihm gut ging. Dann hatte sie ihn angeschrieben auf die einzige Art, die für ihn akzeptabel war: Indem sie so tat, als hätte es den Konflikt zwischen ihnen nie gegeben.

So war es immer gewesen. Er hatte die Probleme in ihrer Beziehung zu Maries Problemen erklärt, um die sie sich zu kümmern hatte. Wenn sie ein Problem sah, musste sie sich bemühen, dass sie einen Weg fand damit klarzukommen, keinen, um eine Lösung zu finden, bei der sie beide einen Kompromiss eingingen oder zusammen überlegten, um das Problem zu beseitigen.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt