109. Zwei

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Zwei

Da war Schweigen. Sehr viel Schweigen. Sie hatte es ihm gesagt. Sie hatte Felix gesagt, was für eine Art Mensch sie war, oder eben auch sein konnte. Kein guter Mensch, nein. Marie nahm die kläglichen Reste ihres Mutes zusammen und hob den Blick, um ihn anzusehen. Nicht so schlimm wie erwartet. Er schien nachzudenken. „Ja", sagte sie. „So bin ich halt. Hast du ja auch schon festgestellt. Mit dem Weglaufen und Abtauchen und Zumachen, meine ich."

„Aber das machst du nicht grundlos", vermutete er. „Du willst mir doch nicht erzählen, dass du einfach aus einer perfekten Beziehung mit Mister Megabrain abgehauen bist, weil alles mit ihm so supi gelaufen ist, oder?"

„Nein", gab sie kleinlaut zu. „Aber... es lag eben an mir. Oder... ja, war eben schwierig. Und irgendwann hab ich dann... aufgegeben oder so, könnte man sagen."

„Ey, Beziehungen gehen nun mal in die Brüche. Und einer muss den fiesen Schritt gehen. Oder bist du einfach so ausgetickt und grundlos abgehauen, weil dir euer Glück so auf den Keks gegangen ist?"

Felix klang provozierend. Er war genervt und konnte sie nicht verstehen. Niemand konnte das. Marie fühlte Überforderung. Sie wusste nicht, wie sie es ihm erklären sollte, ohne viel zu tief abzutauchen. Es war viel zu viel. Es war so groß. Einatmen, ausatmen. Sie schaute auf die Teetasse in ihren Händen und trank dann einen Schluck. „Du hast recht. Wir waren nicht glücklich. Oder ich war es jedenfalls nicht. Da war ein Ungleichgewicht. Unterschiede."

„Was meinst du damit? Ist doch normal, oder? Dass man unterschiedlich ist."

„Hm", machte Marie, weiter auf ihren Tee schauend. „Aber um ein Paar zu sein, muss man irgendwie zusammenfinden. Man muss Kompromisse finden. Und..." Sie hörte ihr Herz schlagen, laut und deutlich, aber zum Glück nicht zu schnell. „Und man muss... irgendwie auf einem Level sein, was so gewisse Dinge angeht."

„Ganz ehrlich?" Er wartete, bis sie ihn ansah. „Ich versteh gerade gar nichts. Kannst du... na ja, nicht irgendwie Klartext reden?"

Marie atmete durch. Dann musste sie grinsen. „Das ist jetzt irgendwie ... sehr passend. Weil... ich schätze, dass ich genau das durch ihn verlernt habe. Okay..." Sie schloss die Augen einen Moment. „Ich versuch's." Sie sah Felix an und rieb sich dabei über die Nase. „Ich hab ihn an der Uni kennengelernt. Keine große Überraschung, schätze ich mal."

„Aber du hast nicht Mathe studiert."

„Ne. Und er hat auch nicht in Köln gelehrt. Aber er war da für ein Kolloquium. Und wir haben uns in der Mensa getroffen." Ist hier noch frei? Natürlich war neben ihr noch frei gewesen. Es war das zweite Mal überhaupt gewesen, dass sie sich in die Mensa getraut hatte. Das Essen war ihr ohnehin meist zu teuer. Sie war froh gewesen, einen Tisch für sich gefunden zu haben, in einer Ecke. Sie schaute auf. Er schaute sie nicht an, nicht wirklich, wirkte verlegen. Marie nickte. „Er hatte damals schon die Stelle in München, also war es von Anfang an eine Fernbeziehung."

„Wie alt ist der überhaupt?"

„Zwölf Jahre älter als ich."

„Mhm." Felix nickte langsam.

„Mir ging es nicht besonders gut, als wir uns kennenlernten. Ich hab mich irgendwie so in das Studium geflüchtet und überhaupt nach Köln. Dachte, ich muss alle Zelte zu Hause abreißen und... erwachsen werden. Und dann kam die Scheiße mit dem Bafög und es war schon abzusehen, dass ich das nicht so weiter durchziehen kann. Also...ja, war schwierig." Marie erinnerte sich, wie angenehm es für sie mit ihm gewesen war, gerade am Anfang. Weil er so in sich ruhend und unaufgeregt gewirkt hatte. Und desinteressiert. Und vor allem war er weit weg gewesen. „Irgendwann waren wir dann zusammen." Sie zuckte mit den Schultern. „Es war ne ziemliche Pendelei über die Jahre. Meistens bin ich zu ihm hin. Aber ich konnte mir das gerade am Anfang auch nicht so oft leisten. Es war aber okay so. Na ja... er brauchte eh so seine... Freiräume. Aber wir haben Pläne gemacht. Ziemlich konkrete Pläne." Sie kniff die Lippen zusammen und schaute auf die Tasse, die ihre Finger nach wie vor wärmte. „Und dann habe ich festgestellt, dass er doch lieber ohne mich plant. Und dann... na ja, hab ich Schluss gemacht." Ihre Stimme war immer leiser geworden. Sie wusste nicht, ob sie hoffen sollte, dass Felix sie nicht mehr verstand.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt