30. Unter dem Radar

964 32 3
                                    

Unter dem Radar

Auszüge aus Felix Lobrechts Notizen:

Ideen für Stand-up/Bits:
- Bin mittlerweile so fame, dass ich einen Radiosender übernehmen kann. Vergleich mit Hitler. Das ganze Sendergebiet aufstacheln gegen Slackliner o. Ä.
- Deutsche, die im Restaurant alle einzeln zahlen – was zeigen die damit? Zahle für Freunde – die bestellen mittlerweile das Teuerste, einfach weil sie wissen, dass ich die Rechnung übernehme. Prank: einfach mal deutsch sein und am Ende auf getrennte Rechnungen bestehen.

Open Mic 5. Mai (7 Minuten! 1 aussuchen)

- Erdanziehung
- Vorfall am Kotti
- Weirde Nachbarin (nicht wenn Marie da ist)

Die S-Bahn fuhr wieder an und Marie schaute auf den Bildschirm, der den Streckenverlauf und die nächsten Haltestellen anzeigte. Noch zwei Stationen, dann wäre sie am Ziel. Felix hatte ihr sogar geschrieben, dass es von da aus nur fünfzig Meter bis zur Location waren. Aber als die S-Bahn erneut hielt, stieg Marie dennoch bereits aus. Sie war noch nicht soweit. Ein paar Minuten an der frischen Luft – oder das, was man in Berlin als frische Luft bezeichnete – würden ihr sicher guttun. Es war noch hell und den ganzen Tag über war es wunderschön gewesen. Marie hatte jede Pause genutzt, um nach draußen zu gehen. Die Fortbildung war heute sehr arbeitsintensiv gewesen, viel Input. Aber so gesehen war es gut gewesen, denn Marie war auf diese Art nicht zu sehr ins Grübeln geraten. Einfach machen, Marie. Sie ging die Straße entlang und zwang sich, nicht zu schnell zu gehen, sondern ein wenig zu schlendern. Kein Grund zur Panik. Ein ganz normaler Abend. Es waren einige Leute unterwegs. Eher Menschen auf dem Weg nach Hause oder auf der Suche nach dem passenden Abendessen als Partygänger. Es war ja auch noch nicht Wochenende. Na ja, aber vermutlich war in Berlin dennoch jeden Abend etwas los. Marie kannte sich da nicht so gut aus. Das Kölner Nachtleben hatte sie nie wirklich kennengelernt. Und im Westerwald konzentrierten sich beinahe sämtliche Veranstaltungen auf die Freitagabende und Samstage.

Ein schrilles Lachen von der anderen Straßenseite verursachte bei Marie nur kurz eine Gänsehaut. Alles klar, lass die Leute ihren Spaß haben. Das hat nichts mit dir zu tun, Marie. Sie ging weiter, sah das Schild der nächsten Querstraße und wusste, dass sie richtig war. Natürlich hatte sie sich vorher alles genau angeschaut. Auf einer Karte, analog, aus einem Reiseführer der Bücherei, den sie ausgeliehen hatte. Die Karte lag jetzt sogar in ihrer Umhängetasche. Damit fühlte sie sich sicherer. Sie wusste, wie die Straßen in der unmittelbaren Umgebung der Bar hießen. Sich zu verlaufen wäre so ziemlich das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.

Sie stand schon fast vor der Comedy-Kneipe, als sie sie entdeckte. Keine auffällige Leuchtreklame, nur ein einfaches Blechschild über dem Eingang wies die Location aus. Die Wände waren dunkel und der Putz teilweise abgeblättert. Zwei Meter neben der Tür waren Reste eines Graffito zu erkennen, das von keinerlei künstlerischem Anspruch zeugte und vermutlich deswegen grau überstrichen worden war. Alles in allem wirkte das ganz und gar nicht einladend. Fast so, als sei man stolz darauf, eine abgeranzte Fassade zu präsentieren. Aber so etwas war Marie schon in Berlin aufgefallen. Es wirkte beinahe so, als wolle man gezielt ein wenig schäbig wirken, weil man sich ja ach so wenig aus Äußerlichkeiten machte.

Ein paar Meter von der Eingangstür entfernt standen zwei Frauen Anfang zwanzig und rauchten. Sie beachteten Marie nicht, was ihr wirklich entgegenkam. Ein Ziehen in der Magengegend machte ihr klar, dass sie sich selbst nicht täuschen konnte. Es war nicht so einfach, wie sie es gerne hätte. Und ihre Strategie, nicht darüber nachzudenken, was sie in der Bar erwartete, funktionierte eben auch nur bedingt. Selbst wenn sie ihren Kopf ausschaltete, zeigte ihr Körper dennoch automatisiert gewisse Warnhinweise an. Nett gemeint, aber gerade nicht hilfreich. Alles gut, Marie. Notfalls gehst du einfach wieder, kein Problem. Luft holen. Und los.

Strange attraction (Felix Lobrecht FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt