6. Frost unter dem Helgrind

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Aufmerksam beobachtete Eragon den anderen Krieger, der vor sich vor ihm durch die Dunkelheit bewegte. Nachdem der Schattenläufer ihm das Messer aus dem Fuß entfernt hatte, hatte er Eragon erzählt, dass er als er am Helgrind angekommen war einen Tumult auf den Straßen von Dras Leona gesehen hatte. Daraus schloss er, dass Eragons und Saphiras Auseinandersetzung mit den Razac und ihren widerlichen Elternteilen inzwischen in der Stadt bekannt war. Da keiner der beiden viel Wert auf einen Kampf mit den Jüngern des Helgrinds legte, vor allem, da es sich bei den meisten von ihnen um Magier handelte, hatten sie sich daraufhin an den Abstieg gemacht. Zumindest hatte Karis das behauptet, doch jetzt folgte Eragon Karis schon seit einiger Zeit durch die Finsternis und noch immer gab es kein Anzeichen dafür, dass sie dem Erdboden näherkamen. Zumindest hatte Eragon durch den monotonen Fußmarsch die Gelegenheit sich über den unbekannten Krieger der sich vor ihm geschmeidig durch die Dunkelheit bewegte Gedanken zu machen. Wenn er ehrlich war, war ihm Karis ein Rätsel. Einige seiner Fähigkeiten die Eragon bis jetzt beobachten konnte wiedersprachen allem was der Schattentöter gelernt hatte, zum Beispiel als er das Messer aus seinem Fuß entfernt hatte. Karis hatte dafür nicht die alte Sprache gebraucht. Er hatte sich einfach neben ihn hingekniet und das Messer kurz gemustert. Danach hatte Saphiras Reiter eine flüchtige Berührung an seinem geistigen Schutzwall gespürt. Der Kontakt war zu kurz gewesen um ein Angriff zu sein, dennoch hatte er den unterschwelligen Schmerz und die Trauer in dem fremden Geist gespürt. Doch noch ehe er etwas hatte sagen können, hatte Karis das Messer am Griff gepackt und ohne, dass er auch nur ein Wort gesagt hatte, war plötzlich Leben in das Metall gekommen. Eragon hatte durch seinen Fuß gespürt wie sich das Metall vom Boden löste und sich leicht krümmte, bis es wieder seine ursprüngliche Form hatte. Dann hatte der Schattenläufer die Klinge aus seinem Fuß gezogen und Saphiras Reiter hatte kurz vor Schmerzen aufgestöhnt, doch Karis hatte den Laut ignoriert. Stattdessen hatte er immer noch stumm die Hand auf die Wunde, aus der nachdem das Messer entfernt war, jetzt wieder Blut floss aufgelegt. Einige Sekunden war er still in dieser Position geblieben und als er seine Hand wieder entfernt hatte waren sowohl Eragons Fuß geheilt als auch sein Stiefel wieder in einem Stück gewesen. So beeindruckend dieses magische Kunststück auch gewesen war, so wiedersprach es doch allen Regeln der Magie die Eragon während seiner Ausbildung durch Brom gelernt hatte, dass man einen solchen Zauber ohne die formgebende Struktur der alten Sprache durchführen konnte. Zwar hatte er später von Oromis gelernt, dass es durchaus möglich war einen Zauber in seinem Geist zu sprechen, aber für solch einen komplizierten Zauber wie ihn Karis so nebenbei gewirkt hatte um sowohl Eragons Fuß als zu heilen als auch seinen Stiefel zu flicken war ein nahezu unmögliches Maß an Konzentration nötig. Zudem hätte Karis den Tod oder Schlimmeres riskiert nur um einen Zauber wortlos zu vollziehen, den jeder Magier mit Leichtigkeit mit Hilfe der alten Sprache hätte wirken können. Und nach dem überlegten Verhalten zu urteilen mit dem er den Schatten in der Höhle bezwungen hatte, konnte Eragon sich nicht vorstellen das er so leichtsinnig war. Diesen Gedanken hing er nach und bemerkte erst, dass Karis stehen blieb, als er fast mit ihm zusammenstieß. „Wieso bleibst du plötzlich steh...?", mitten im Satz brach Eragon ab denn er hatte über Karis Schulter geblickt und was er dort sah raubte ihm den Atem. Sie hatten das Ende des Tunnels erreicht. Dieser mündete in einer großen Höhle. Auf der anderen Seite der Höhle gab es eine große Öffnung durch die Sonnenlicht auf einen breiten Ausläufer des Leona-Sees schien, der die Höhle durchfloss. Das Wasser glitzerte und funkelte und die Lichtreflektionen warfen funkelnde Lichter an die zahlreichen von der Decke hängenden Stalaktiten. Die Tunnelöffnung an der sie standen befand sich in etwa einer Höhe von zweihundert Fuß, von wo aus es einen tiefen Abhang hinunterging an deren Rand Karis und der Eragon jetzt standen. Doch trotz der beeindruckenden Lichtreflektionen und des überwältigenden Ausblicks den sie von ihrer Position aus hatten, nahm Eragon all diese Eindrücke eher nebenbei wahr, während er vollkommen überrascht den großen weißen Drachen ansah, der am Ufer des Leona-Sees stand und aus amethystfarbenen Augen zu ihnen heraufblickte. Auf den ersten Blick schien der weiße Riese gänzlich aus Eis zu bestehen. Seine Schuppen strahlten wie frisch gefallener Schnee und selbst seine Flügelhaut schien mit Schuppen die in einem zarten Weiß leuchteten bedeckt zu sein. Erst als er genauer hinsah, bemerkte er, dass der fremde Drache nicht zur Gänze diese Farbe trug. Die fünf Hörner die sich kronenförmig nach hinten über seinen Kopf fächerten hatten an der Spitze eine leicht bläuliche Farbe, ähnlich Eis das von Schnee bedeckt wird. Und auch der Drachenschweif der anders als bei Saphira, Dorn oder Glaedr nicht in einer eleganten Spitze endete sondern in einem dicken Knüppel, war mit kleinen schwarzen Spitzen bedeckt, die sich bei näherem Hinsehen als fingergroße kräftige Widerhaken entpuppten. Diese Eindrücke ergänzten, zusammen mit dem strahlenden violetten Blick der ihn aus den Augen des Drachens anfunkelte, die beeindruckende Kraft und die Kälte die der weiße Koloss auszustrahlen schien. Er war so von dem Anblick gefangen, dass er zusammenzuckte als ihm Karis plötzlich die Hand auf die Schulter legte. Fragend sah er den Schattenläufer an, doch bevor er auch nur eine der Fragen die ihm beim Anblick des weißen Drachen durch den Kopf geschossen waren, stellen konnte, ergriff Karis das Wort. „Eragon Schattentöter, darf ich dir meinen Seelengefährten vorstellen. Sereth Frostschwinge."

„Deinen Seelengefährten?", von dieser neuen Wendung überrumpelt sah Eragon den anderen Reiter an, während sich Freude und Unglaube in seinem Gesicht die Waage hielten. „Dann bist du auch ein Reiter?" „Ja.", erwiderte Karis der Eragons Unglauben recht amüsant fand. „Jetzt schon seit knapp über 100 Jahren." „Dann bist du ein Reiter aus der alten Zeit?" Zum ersten Mal seit Beginn dieses Gesprächs schien Eragons Freude über die Skepsis zu überwiegen, denn er lächelte Karis erfreut an. „Das hängt davon ab wie du Reiter aus der alten Zeit definierst, Schattentöter.", antwortete Karis mit bitterer Stimme. „Wenn du einen Reiter meinst, der zur Zeit des alten Ordens lebte, dann ja, dann bin ich ein Reiter aus der alten Zeit. Aber wenn du ein Mitglied des alten Ordens meinst, dann muss ich dich enttäuschen. Weder Sereth noch ich gehörten zu den damaligen Reitern." Diese Information versetzte Eragons Freude einen kleinen Dämpfer, denn das Lächeln schmolz etwas von seinen Zügen. „Und dabei kennt er noch nicht mal meine ganze Lebensgeschichte", dachte Karis, der die Veränderung in den Gesichtszügen des anderen Reiters beobachtet hatte. Doch gerade als der Schattentöter zu einer neuen Frage ansetzte wurden die beiden unterbrochen. Eine samtweiche und doch dunkle Stimme deren Klang das Bild eines Schneesturms in der Nacht mit sich brachte, brandete durch ihre Gedanken. Während sich Eragon instinktiv wie vor einem Angriff anspannte blieb Karis ganz gelassen. Immerhin hatte er die Stimme seines Seelengefährten sofort erkannt. „Es ist mir eine Freude dich kennenzulernen Eragon Schattentöter. Ich kann verstehen, dass du eine Menge Fragen an uns hast aber das solltest du zu einer anderen Zeit stellen. Ich spüre, dass die Priester des Helgrinds immer näher kommen. Und ich persönlich habe keine Lust mich gegen zwanzig Magier zur Wehr zu setzen bevor ich mit zwei Reitern zu den Varden fliege." Einen Moment war Eragon wie vor den Kopf gestoßen als er die Stimme des weißen Drachen in seinen Gedanken hörte. „Darum schlage ich vor, dass wir jetzt aufbrechen, bevor ich euch hierlasse und alleine deiner Drachendame nachfliege.", fügte der Drache mit einem schelmischen Unterton noch hinzu um die Stimmung etwas aufzulockern. Das schien zu funktionieren, denn Karis konnte beobachten wie wieder Leben in den anderen Reiter kam, der als Sereth mit ihm gesprochen hatte wie erstarrt dagestanden hatte. Auch sein weißer Seelengefährte schien alles gesagt zu haben was er sagen wollte, denn er breitete mit einem raschelnden Geräusch seine Schwingen aus und mit kräftigen Flügelschlägen erhob er sich in die Luft. Einen Moment bewunderte Karis den majestätischen Anblick seines weißen Seelengefährten wie er in einem engen Kreis die Höhle umkreiste bis er direkt vor der Tunnelöffnung schwebte in der die beiden Reiter standen. „Steigt auf!", erklang erneut Sereths Stimme in den Gedanken der Reiter und sowohl Karis als auch Eragon beeilten sich Sereths Forderung nachzukommen. Nachdem die beiden Drachenreiter auf dem Rücken des Drachen Platz genommen hatten, flog Sereth zielstrebig in Richtung einer Öffnung durch die Sonnenlicht in die Höhle fiel und das Wasser zum Glitzern brachte.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt