73. Ein Moment der Ruhe

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- 2 Monate später - 

Gelassen blickte der Schattenläufer auf das Heer der Elfen hinab, während er und Sereth neben den Letzten des alten Ordens durch die Luft glitten. Einem Fluss aus reinem Silber gleich, fluteten sie das Land unter ihnen. Ihre Rüstungen glitzerten im Licht der Sonne wie zerstoßenes Eis und ihre edel geschmückten Waffen waren selbst aus der Luft noch gut zu erkennen, während sie geschmeidig das Land durchreisten. Einmal mehr stellte Karis doch fest, wie sehr sich die Fortbewegungsart der Elfen doch von der der anderen Völker unterschied.
Aufgrund ihrer magischen Fähigkeiten, war es für sie nicht nötig größere Proviantwagen mit sich zu führen und auch ihre übrige Ausrüstung fiel aufgrund ihrer unmenschlichen Stärke kaum ins Gewicht. Zudem bewegte sich der Großteil von ihnen nicht mithilfe von Pferden oder Karren vorwärts. Sie rannten. Wie ein Sturmwind, fegte das schöne Volk über das Land. Ihre Anmut und Geschwindigkeit waren selbst aus der Luft klar und deutlich erkennbar und ließen Sereth, der sich während seiner Zeit bei den Varden an das dortige Schneckentempo gewöhnt hatte, zufrieden schnauben. Hier musste er sich kaum an die Geschwindigkeit der reisenden Armee anpassen. Lediglich eine kleine Feinjustierung seiner Flügelschläge war notwendig um ebenso schnell wie das Elfenheer voranzukommen. 
Zudem war die Zusammenarbeit der Spitzohren wesentlich simpler, aber auch disziplinierter als die bei den Varden.   Sie nahmen ihre Mahlzeiten immer morgens und abends gemeinsam ein. Dazu suchten sie einen Platz der mit dem nötigen Wasservorkommen ausgestattet war, oder ließen das nötige Wasser aus den Tiefen der Erde heraufsteigen und pflanzten dort Samen, die jeder von ihnen mit sich führte. Danach versammelten sich einige von ihnen dort und sangen zu den Pflanzen, bis genügend Nahrung entstanden war, um die Armee zu versorgen. Auf diese Art und Weise entstanden in regelmäßigen Abständen kleine Oasen, die die Landschaft schmückten, die das Heer des schönen Volkes passierte.  
„Hättest du gedacht, dass wir einmal so unbeschwert zusammen mit den Spitzohren unterwegs sein würden?“ „Nein, ich hätte nach den Ereignissen in Belatona eher damit gerechnet, dass ein großer Teil ihres Volkes uns verdammen würde, aber ich freue mich, dass ich Unrecht hatte.“ In der Tat hatte sich die Beziehung des Schattenläufers und seines Seelengefährten zu den Elfen in den letzten Monaten bedeutend gebessert. 
Nachdem Karis dem Elfenrat erklärt hatte, was ihm vor knapp 100 Jahren mit Nyria widerfahren war, waren die Reaktionen mehr als durchwachsen gewesen. Drei der Elfenfürsten, allen voran Lord Sepharien hatten sofort begonnen, ihn für die Lage verantwortlich zu machen, in der sich die Elfe Nyria im Moment befand. In ihren Augen, schienen der Wahnsinn und der Verrat der abtrünnigen Elfe seine Schuld zu sein. Ohne zu zögern hatten sie darauf bestanden, diese Schande vor dem einfachen Volk geheim zu halten und selbst die Varden nicht zu informieren. Mit der Behauptung, lediglich die Moral und den Glauben ihres Volkes an deren überirdische Reinheit aufrecht erhalten zu wollen, argumentierten sie, dass es sinnvoller sei, da diese Elfe es nur auf den Schattenläufer abgesehen habe, dass er sich alleine mit dieser Angelegenheit befassen sollte. Es gäbe keinen Grund ihren Ruf den anderen Völkern gegenüber zu beschmutzen. 
Glücklicherweise teilte der Großteil der anderen Anwesenden ihre Ansichten überhaupt nicht. Als der glitzernde Körper seines Seelengefährten in die weiche Masse aus Wolken über ihm eintauchte, erinnerte Karis sich an das warme Gefühl, das ihn durchströmt hatte, als sich die restlichen Elfenfürsten und auch Oromis und die Königin auf seine Seite gestellt hatten. Sereth stieß ein amüsiertes Schnauben aus. „Erinnerst du dich noch an Sephariens Gesicht, als die Königin ihm gesagt hat, dass man sich nicht sicher sein könne, dass Nyria es nur auf dich abgesehen hat und es daher unverantwortlich wäre ihre Verbündeten nicht von dieser Gefahr zu unterrichten?“ 
Das stumme Lachen des Drachen schüttelte seinen Reiter ordentlich durch. „Er hat geguckt, als ob er gerade erfahren hat, dass ihm die letzten 10 Jahre jemand jeden Tag in die Suppe gespuckt hätte.“ Sein Reiter nickte. Aber sein Lächeln war halbherzig. Sicher, die damalige Versammlung war zu seinen Gunsten ausgegangen und die Tatsache, dass der Großteil des Kronrates sich auf seine Seite gestellt hatte, hatte ihn sehr gefreut, allerdings hatte das auch zur Folge gehabt, dass ihn Brionnas Vater jetzt noch mehr hasste, als zuvor. 
Zwar hatte die ihm körpereigene Disziplin des Adligen verhindert, dass man es ihm am Gesicht ansah und auch seine Gedanken waren sorgfältig abgeschirmt, aber Karis war jedes Mal wenn er ihn sah, in der Lage zu erkennen, wie seine Gefühle zornig nach ihm ausschlugen.  Unter normalen Umständen wäre es ihm eigentlich egal, was der Adlige von ihm hielt. Er besaß weder den nötigen politischen Einfluss, noch die erforderlichen Fähigkeiten im Schwertkampf oder der Magie um ihm körperlichen Schaden zuzufügen. Aber als Brionnas Vater und Familienoberhaupt besaß er den notwendigen Einfluss, um ihm und vor allem auch seiner Tochter auf privater Ebene große Probleme zu bereiten. Und das würde er, wenn er erfuhr, wie nahe sich seine Tochter und der Halbschatten inzwischen standen. Zwar war das nichts, das die beiden nicht zu ertragen bereit gewesen wären, aber um steten Unfrieden in den Reihen der Elfen zu vermeiden hatten sie eine andere Alternative gewählt. Sie trafen sich heimlich. 
Nicht nur, um ihrem Vater aus dem Weg zu gehen, auch weil es, wie sowohl Brionna, als auch Karis nach ihrem ersten heimlichen Treffen bemerkt hatten, einen Heidenspaß machte etwas vor Sepharien geheim zu halten. Es war die prickelnde Aufregung, die sie jedes Mal durchströmte, wenn sie sich sahen und die ihre Gefühle füreinander, die sie sich selbst, jedoch einander noch nicht eingestanden hatten, vertiefte. Ein Verhalten, dass Sereth schnaubend belächelte. Der weiße Drache verstand die Zurückhaltung seines Seelengefährten angesichts seiner Gefühle nicht. 
Seiner Meinung nach sollte Karis sich einfach auf die Hinterbeine stellen und laut seine Ansprüche auf seine zukünftige Nistpartnerin erklären. Im Volk der Drachen war es natürlich, nachdem man sich eine Nistpartnerin gewählt hatte, ihr seine Stärke zu demonstrieren um ihre zu beweisen, dass man ihrer würdig war. Zwar waren auch andere Faktoren von Bedeutung, aber kein Drachenweibchen war bereit einen Nistpartner zu akzeptieren, der nicht genügend Feuer im Bauch hatte. Und genauso war es mit dem Anführer einer Nistgruppe, der in der Regel immer seinen Segen geben musste. Und in Brionnas Fall war das nun einmal ihr Vater. 
Deshalb war Sereths erster Vorschlag, als er von den heimlichen Treffen seines Reiters und der Elfe erfahren hatte, gewesen, dass er dem alten Mann zeigen sollte, zu was er fähig war.     Ein Vorschlag, den Karis ohne zu zögern abgelehnt hatte. Dafür genossen sowohl er als auch Brionna zum einen ihr Spiel zu sehr und zum anderen bezweifelte er ernsthaft, dass sich Sepharien von einer Zuschaustellung seiner Stärke davon überzeugen ließ, dass er eine passende Partie für seine Tochter war. Das Gegenteil war wesentlich wahrscheinlicher. Diese Verhaltensweise konnte der weiße Drache überhaupt nicht verstehen. Sie widersprach vollkommen seiner Natur. Sein Reiter versuchte mehrere Stunden lang erfolglos ihm diese Gedankengänge zu erklären, doch es brachte nichts. 
Schließlich akzeptierte sein Seelengefährte sie einfach als eine charakterliche Eigenschaft der Zweibeiner. Mit rauschenden Flügelschlägen, glitt Sereth aus der Wolkenschicht und flog wieder an die Seite des älteren goldenen Drachen. Immerhin waren alle Schuppenlosen komisch. Ganz egal, ob Rundohr, Spitzohr, Gehörnt oder kurz, kein Drache war in der Lage einen Zweibeiner komplett zu verstehen. Noch nicht einmal die Gefährten-ihres-Herzens-und-Geistes.
Kurzum beschloss er sich wieder der Aufgabe zu widmen, der er und sein Reiter hier am Himmel nachgehen wollten. Über das sonderbare Verhalten seines Seelengefährten zu grübeln brachte nichts.„Habt ihr Soldaten oder Spione des Imperiums entdeckt Glaedr – Elda?“ „Nein.“, entgegnete sein älterer Artgenosse. „Ich glaube auch nicht, dass wir noch welche entdecken werden. Der König weiß, dass er mit herkömmlichen Spionen keine Möglichkeit hat Informationen über die Pläne, die Truppenbewegungen oder die Anführer des Elfenheeres zu bekommen.“ Sereth kam nicht umhin ihm zuzustimmen. 
Es war in der Tat schwierig sich in das Heerlager einzuschleichen. Zahlreiche Schutzzauber wurden jedes Mal gewoben, wenn das Heer des schönen Volkes sich entschied ein Lager aufzubauen. Das, zusammengenommen mit den wachsamen Augen der Wachen, die auf ihren Elfenrössern ritten, machte es nahezu unmöglich sich dem Heer unbemerkt zu nähern. Der einzige Grund aus dem es Karis gelungen war, sich unbemerkt in das Lager zu schleichen, war sein Astralauge. Dadurch war er in der Lage gewesen jeden Zauber aufzuspüren, den das schöne Volk verwendet hatte um sich abzusichern und sie in mühevoller Kleinstarbeit zu umgehen. Doch trotz seiner Fähigkeiten hatte es ihn fast einen ganzen Tag gekostet einen Weg hinein zu finden. Ein gewöhnlicher Magier, der die Schutzzauber auf die herkömmliche Weise würde studieren müssen,  benötigte dafür nicht weniger als eine Woche. Ein Unterfangen, das durch die unregelmäßigen Schlafenszeiten und die Geschwindigkeit mit der sich das Elfenheer fortbewegte noch zusätzlich erschwert wurde. 
Anders als die Menschen, benötigten die Elfen nicht jede Nacht eine Rast und rannten oftmals eine Nacht und einen Tag hindurch, bevor sie sich entschlossen eine Pause einzulegen. Sie könnten zwar theoretisch ca. 2 Tage am Stück durchlaufen, aber danach wären sie ziemlich erschöpft. Sollten sie in einem solchen Zustand unerwartet auf einen Feind treffen, könnte das selbst für  das sonst so starke Heer des schönen Volkes zu einem Problem werden. 
Und das war ein Risiko, dass die Elfenkönigin nicht einzugehen bereit war. Nicht mit einem Gegner wie Galbatorix, der im Besitz von gut 1000 Drachenseelen war, die ihm Macht verliehen. Eine Entscheidung, die Karis und Oromis, ebenso wie ihre Drachen aus vollsten Herzen befürwortet hatten. Sie hatten beide bereits aus nächster Näher erlebt, welch enorme Kräfte bereits eine Handvoll Eldunari einem magisch begabten Gegner verliehen. Einem Feind wie dem Verräterkönig, der über die Macht aller Eldunari verfügte, die damals auf Vroengard zu Hause waren, mit einem erschöpften Heer gegenüberzutreten, wäre eine unentschuldbare Torheit.
Mit gleichmäßigen Flügelschlägen, flogen die beiden Drachen  über das Heer hinweg. Immer wieder schwenkte einer von ihnen aus um sich in einem Umkreis von einigen Kilometern etwas genauer umzusehen. Für den Fall, dass sich ein Spion des Königs dort verbarg um das Heer aus sicherer Entfernung auszuspionieren. Auch die Königin war sich dieser Gefahr bewusst. Häufig sandte sie kleinere Gruppen von Spähern aus die die Umgebung zu Fuß erforschten. Vor allem  wenn Bäume oder kleinere Wälder eine Aufklärung aus der Luft unmöglich machten, sollten diese die Krieger sorgfältig die Gegend erkunden. So vergingen zwei Tage, bis schließlich am Abend des zweiten Tages die Heerführer des schönen Volkes die Armee zum Halten brachten. 
Auch die Drachen setzten in einiger Entfernung zu dem Lager zur Landung an. Doch während der jüngere der beiden Reiter sofort abstieg um seinem Seelengefährten Sattel und Rüstung abzunehmen, blieb Oromis auf dem Rücken seines Seelengefährten sitzen und nach einem kurzen Austausch der Eindrücke, die die beiden Reiter und ihre Drachen den Tag über gesammelt hatten, stieg Glaedr wieder in den Himmel auf um Islanzadi und dem Kronrat den abendlichen Report zu überbringen. Sie waren übereingekommen, dass es besser wäre wenn das ältere Drache–Reiter-Gespann sich darum kümmern würde, da er ohnehin im Heerlager der Elfen nächtigte, wohingegen es Karis auch nach zwei Monaten immer noch vorzog etwas außerhalb der Grenzen ihres Lagers zu bleiben. 
Zwar war er mit den Spitzohren inzwischen etwas wärmer geworden, aber es war ihm einfach immer noch ein wenig unwohl bei dem Gedanken zwischen einer ganzen Horde von ihnen einzuschlafen. Außerdem war das von Vorteil, wenn er sich heimlich mit Brionna traf. Und es hielt die Elfen nicht davon ab seinen kleinen, etwas abseits liegenden Rastplatz dennoch mit in ihre magischen Gesänge einzuweben. Auch heute konnten die beiden Seelengefährten, nachdem Karis Rüstung und Sattel seines Drachen in seinem nachtblauen Zelt verstaut hatte, beobachten, wie sich unter zauberhaften Klängen ein goldenen Schleier über das gesamte Heerlager ausbreitete. 
„ Wirklich ein beeindruckender Anblick.“ „Ja, es ist fast schade, dass ein Volk das einen solchen Wert auf das äußere Erscheinungsbild legt nicht sehen kann, welchen Zauber sie ohne es mitzubekommen auf die Welt werfen.“ Karis lächelte ironisch. „Vielleicht ist es auch besser so. Das würde die Selbstüberschätzung einiger gewisser Individuen nur noch vergrößern.“Sereth brummte unzufrieden. Damit hatte sein Reiter bedauerlicherweise nicht Unrecht. 
Während der letzten zwei Monate waren die beiden Seelengefährten auch mit den einzelnen Kriegern der Elfen vermehrt in Kontakt gekommen.  Zu ihrer Enttäuschung hatten sie dabei festgestellt, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil von ihnen sich als überlegen ansah. Sie begegneten den Menschen zwar im Gegensatz zu den Adligen nicht wirklich mit Verachtung, aber sie schienen der Meinung zu sein, dass die Krieger des Imperiums ihnen in keiner Weise gefährlich werden könnten. Diese Einstellung kam zwar nicht wirklich überraschend, da sie in den letzten beiden Städten die sie erobert hatten, nicht wirklich auf ernst zu nehmenden Widerstand gestoßen waren und ihre Verluste sich auf weniger als 40 Mann beliefen, doch ihre Sorglosigkeit bereitete sowohl Karis und Sereth als auch Oromis und Glaedr, Sorgen. Die beiden Reiter und ihre Drachen hatten gehofft, dass die allgemeine Stimmung unter den Spitzohren nicht so unbeschwert wäre. 
Zwar war es gut mit einem gesunden Selbstbewusstsein in die Schlacht zu ziehen, aber zwischen Selbstvertrauen und gefährlicher Selbstüberschätzung lag in diesen Zeiten ein schmaler Grat. Nachdem Karis Holz gesammelt und ein Lagerfeuer entzündet hatte, das in fließender Schwärze vor sich hin züngelte, lehnte er sich an den gewaltigen Körper seines Seelengefährten und blickte in den Nachthimmel hinauf. Jenseits der zahlreichen Lagerfeuer des Elfenheeres funkelten vereinzelt Sterne durch die dichte Wolkendecke und spiegelten sich verheißungsvoll in dem Fluss, an dessen Ufer sie lagerten. 
„Du denkst wieder an sie, nicht wahr?“ Der Schattenläufer konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sein Seelengefährte hatte seine Stimmung sofort erkannt. Der schimmernde Nachthimmel erinnerte ihn an Brionna. Ihre rabenschwarzen Haare, in deren Tiefe silberne Sterne funkelten, waren das Erste an gewesen, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Nicht das er ihr das jemals sagen würde. So ein romantisches Gewäsch, käme ihm nie über die Lippen. 
Vor seinem Seelengefährten konnte er diese Gedanken jedoch nicht verbergen. Und seit er sie kennengelernt hatte, zog dieser ihn damit ebenso gründlich auf, wie er ihn mit seiner plötzlichen Vorliebe für saphirblaue Schuppen. Dieses Mal jedoch ignorierte Karis den unterschwellig amüsierten Tonfall des großen Drachen und erwiderte schlicht: „Ja.“   Sereth knurrte versonnen. „Es freut mich, dass du nach den damaligen Ereignissen tatsächlich noch mal jemanden gefunden hast, dem du dein Herz schenken kannst. Ich hatte eine Zeit lang wirklich Angst, dass es für immer verschlossen wäre.“ 
Überrascht blickte der Halbschatten zu dem weißschuppigen Reptil auf, an dessen Flanke er lag. Seine damaligen Treffen mit Nyria waren ein Punkt in ihrer Vergangenheit, den sie beide mieden. Sereth, da er das Gefühl hatte, das er seinen Reiter damals hätte besser beschützen müssen und der deswegen immer unter schlimmen Schuldgefühlen litt, wann immer das Gespräch darauf fiel und Karis auf Grund des tiefen Schmerzes, den der Verrat der bleichhaarigen Elfe damals mit sich gebracht hatte. Sowohl aus Eigenschutz als auch aus Rücksichtnahme auf den jeweils anderen, vermieden die beiden Seelengefährten es daher normalerweise dieses Ereignis zu erwähnen. 
Dass der weiße Drache von sich aus davon anfing war ungewöhnlich. „Nyria hat dich damals tief verletzt. Ihre Bosheit hat eine Finsternis in deiner Seele hinterlassen, ähnlich und doch tiefsitzender als das was Murtagh in Uru baen hat erleiden müssen. Eine Zeit lang dachte ich damals wirklich, dass diese Dunkelheit auch deine Seele vergiften würde. Und auch die letzten Jahre hinweg hatte ich manchmal Angst, dass sie dir auch alle anderen positiven Gefühle geraubt hätte.“ „Aber ich hab dir doch immer gezeigt, dass du mir wichtig bist, oder nicht?“ 
Von der erschreckenden Vorstellung erfüllt, dass sein bester Freund sich in all den Jahren nicht wirklich wertgeschätzt gefühlt hatte, setzte sich Karis auf und blickte in die violetten Augen seines Seelengefährten. Beruhigend senkte Sereth sein mächtiges Haupt zu seinem Reiter herab und blies ihm spielerisch einen sanften Schwall kalter Luft entgegen. „Natürlich hast du das. Das meinte ich auch nicht. Mir war immer klar wie wichtig ich dir bin, aber ich hatte die Sorge, dass du einen Hass auf die Welt entwickeln könntest, der gefährliche Wellen schlagen würde.“ Der Schattenläufer atmete einmal tief durch. 
Zugegeben, es hatte durchaus Zeiten gegeben in denen er kurz davor gewesen war sich seinem Zorn hinzugeben und einfach alle Kreaturen auf der Welt über einen Kamm zu scheren. Doch es hatte immer kleine Augenblicke gegeben, die ihn daran erinnert hatten, dass nicht alle so dachten, wie die Bastarde, die ihn zu dem gemacht hatten, was er war. Allen voran, sein Seelengefährte dessen unerschütterliche Zuneigung ihn immer daran erinnerte, dass es Dinge auf der Welt gab, die wertvoller waren als Hass und Zorn über vergangene Misshandlungen. Aber auch der ehemalige Reiter Brom hatte ihm ein wenig geholfen auf dem rechten Weg zu bleiben. Auch wenn der Schattenläufer das dem alten Mann gegenüber nie erwähnt hatte. 
Ein Schmunzeln glitt über Karis Gesicht als er sich an den Sturkopf erinnerte, dem er damals begegnet war. Brom hatte ihm nämlich, ca. 20 Jahre nach dem Untergang des alten Ordens, das Leben gerettet. Damals hatte es eine von Ecros Chimären, eine widerliche Kreatur mit dem Körper eines Shrrg und dem Schweif eines riesenhaften Skorpions, geschafft ihn zu vergiften. Da der Schattenelf es modifiziert hatte, war es in der Lage gewesen seine körpereigene Immunität zu überwinden und sich schleichend in seinem Körper auszubreiten.
Es hatte keinerlei Symptome oder Nebenwirkungen, wie Schmerzen oder Krämpfe, die darauf hinweisen würden, dass man vergiftet worden war. Stattdessen breitete es sich unbemerkt aus, drang in die inneren Organe ein und schwächte den Betroffenen ohne dass er etwas bemerkte. Wenn das Opfer dann anfing Schmerzen zu verspüren, war es meistens schon so geschwächt, dass es nicht mehr in der Lage war sich selbst zu heilen. Auch der Halbschatten hatte es damals zu spät bemerkt. Es war reiner Zufall gewesen, dass Brom damals vorbeigekommen war. 
Er hatte Sereth gesehen, der von den plötzlichen Schmerzen und der zunehmenden Schwäche seines Reiters außer sich gewesen war und war ihm zu der Lichtung gefolgt auf der sein Reiter halb tot gelegen hatte. Brom hatte natürlich die Geschichten über den weißen Schatten gehört und hatte dementsprechend vorsichtig die Lichtung betreten, aber noch bevor er etwas hatte sagen können, hatte der Drache ihn bemerkt. Später, nachdem er Karis mit Hilfe der körpereigenen Kraftreserven dessen Seelengefährten geheilt hatte, hatte er ihm erzählt, dass es der verzweifelte Blick in den amethystfarbenen Augen des Drachen gewesen war, der ihn überzeugt hatte. Genauso hatte seine Drachendame ihn damals angesehen, als sie ihr Leben gegeben hatte, um ihn zu schützen. 
Der Blick der Hälfte einer Seele, die alles dafür tun würde um ihrer anderen Hälfte beizustehen. Da hatte er gewusst, dass dieser Drache und dieser Reiter zusammengehörten. Dennoch hatte es nach der Heilung noch eine Weile gedauert, bis die beiden angefangen hatten einander zu vertrauen. Brom musste gewisse Gerüchte überwinden, die damals über ihn kursiert hatten und Karis hatte das Misstrauen ablegen müssen, welches ihn jedes Mal erfüllte, wenn er einem anderen Reiter begegnete. Doch danach waren sie ziemlich gut miteinander ausgekommen. 
Sereth schnaubte bestätigend. Auch der weiße Drache hatte den ehemaligen Reiter gemocht. Er war ein Mann der Tat gewesen. Jemand der sein Ziel nicht aus den Augen verlor und nicht lange palaverte, wie einige der Führungsmitglieder der Varden oder Elfen. „Die sollten sich ein Beispiel an den Großnars der Urgals nehmen. Immerhin palavern die auch nicht viel.“ Karis musste laut lachen. „Das solltest du ihnen vorschlagen. Davon werden sie sicher begeistert sein.“ 
Von dieser unangebrachten Bemerkung aufgelockert verging der restliche Abend entspannt, bis der weiße Drache, von den Patrouillenflügen ausgelaugt einschlief, während Karis neben ihm Wache hielt. Keiner der beiden bemerkte, die leichten Vibrationen, die in diesem Moment die Erde durchzogen und von einer Gefahr kündeten, die das Lager der Elfen in wenigen Augenblicken erschüttern würde

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Einen schönen ersten Weihnachtsfeiertag wünsche ich euch. Ich hoffe ihr habt Schöne Weihnachten gehabt und viiiiiiele Geschenke gekriegt.

Fine1911

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt