Ohne dem zu Asche verbrannten Mann, der für wenige Sekunden in sein Innerstes geblickt hatte, noch eines Blickes zu würdigen, zog Karis sein Schwert Zwielicht aus dem geborstenen Kristall, in das er es geschleudert hatte. Ein grimmiges Lächeln umspielte dabei seine Lippen. Der zungenlose Anführer der Razac-Anbeter hatte angenommen, dass sein Angriff mit dem Schwert ihm gegolten hatte, doch in Wirklichkeit hatte der Schattenläufer von vornherein auf den Kristall gezielt. Schon als er den Raum betreten hatte, hatte er bemerkt, dass in dem kürbisgroßen Juwel eine enorme Menge Energie gespeichert war. Zu wenig um der Ursprung der Schutzzauber der geflügelten Ratten zu sein, aber doch mehr, als ein gewöhnlicher Magier auf normalem Wege selbst in 100 Jahren anzulegen, in der Lage war.
Daraus und aufgrund der magischen, nur für ihn sichtbaren Bindfäden, die leicht an ihm vorbei zu dem gefangenen Drachenmädchen geströmt waren, hatte er geschlossen, dass er den Ursprung der magischen Sicherheitsvorkehrungen des Gebäudes vor sich hatte. Sein Angriff hatte das Ziel gehabt, das junge Drachenmädchen zu befreien und dann den Hohepriester so lange zu beschäftigen, dass er die neue Gefahr nicht bemerken würde. Und sein Plan war voll und ganz aufgegangen. Auch wenn Illeanis Feueratem ihn überrascht hatte. Er steckte seine Waffe zurück in seine Schwertscheide und warf dem Drachenmädchen, das sich gerade den Staub der durchbrochenen Mauer von den Schuppen schüttelte, einen anerkennenden Blick zu.
„Nicht schlecht, meine Kleine.“ Stolz warf die junge Drachendame dem Häuflein Asche neben sich einen Blick zu. „Jetzt habe ich dich schon zum zweiten Mal gerettet.“; erklärte sie aufgeregt. „Und jetzt wo mein Feuer erwacht ist, kann niemand mehr sagen, dass ich nicht in die Schlacht ziehen soll. Warte nur, bis Mutter das sieht.“ Der Schattenläufer nickte stumm, doch seine Aufmerksamkeit war bereits weiter gewandert. Er wandte sich von Illeani ab und blickte zu den vier Priestern, von denen jeder in einer der Ecken des Raumes stand.
Obwohl er an ihren Gesichtern deutlich erkennen konnte, dass der Tod ihres Oberhauptes sie erschüttert hatte, hielten sie in ihren Beschwörungen nicht inne.
Während sie unentwegt sinnlose Verse aus ihrer Glaubensschrift murmelten, nahmen sie Unmengen an Energie aus den Kristallen in sich auf und sandten sie weiter an ihre Ordensbrüder, die mit ihren geflügelten Göttern am Himmel kämpften.
Aber damit war jetzt Schluss. Kurzentschlossen trat Karis auf einen von ihnen zu. Die Augen des Mannes weiteten sich, als der Halbschatten vor ihm stehenblieb und ihn aus kalten Augen musterte. Seine tiefschwarzen Pupillen brannten sich förmlich in das Gesicht des Mannes und ließen ihn erblassen, aber dennoch hielt der Mann weder in seiner Rezitation, noch im Aussenden von magischer Kraft inne. Dann schlug der Reiter plötzlich zu. Sein Panzerhandschuh, der zur Faust geballt, dornige Aufsätze auf der Rückseite seiner Finger bildete, drosch ohne Vorwarnung mit einer Wucht auf das Gesicht des Mannes ein, die selbst einen ausgewachsenen Kull bewusstlos geschlagen hätte. Doch bevor sie Kontakt damit machen konnten, prallten sie an einer unsichtbaren Schutzschicht ab.
Der Mund des Hohepriesters, dem wie Karis jetzt erkannte ein Stück Wangenknochen fehlte, verzog sich zu einem herablassenden Lächeln und jetzt sicher, dass der Reiter ihm kein Haar krümmen konnte, murmelte er mit neuem Elan seine Litanei. Doch Sereths Seelengefährte war keineswegs enttäuscht von dem Fehlschlag seines Angriffs. Er hatte nur seine Annahme bestätigt. Ohne mit der Wimper zu zucken, trat er zurück in die Mitte des Raumes und hielt Illeani davon ab, sich auf einen anderen der Priester zu stürzen. „Das bringt nichts.“, meinte er gelassen. „Ihre Schutzzauber speisen sich aus derselben Quelle wie die ihrer Götter.“
„Aber irgendetwas müssen wir doch tun können.“,fauchte das Drachenmädchen frustriert. „Sonst stehen wir doch wieder am selben Punkt wie die ganzen letzten Tage.“ Noch immer blieb der Schattenläufer völlig ruhig. „Nein, tun wir nicht meine Kleine.“ Gelassen zog er eine weißschimmernde Kugel, etwa so groß wie seine Faust aus seiner Tasche hervor. „Ich werde das ganze hier und jetzt beenden.“ Doch bevor er erklären konnte, was er vorhatte, ertönte von außerhalb des Gebäudes plötzlich ein misstönendes Kreischen. Abrupt wirbelte Karis herum. Ein derber Fluch glitt über seine Lippen, als er das Lethrblaka erblickte, welches gerade außerhalb der von Illeani niedergerissenen Mauer gelandet war.
Mit einem finsteren Keckern, schob es sich ins Gebäude, wobei es die scharfen Kanten, die Illeanis Ansturm in dem Gestein hinterlassen hatte, einfach ignorierte. Die Felsspitzen kratzten funkensprühend über die lila-leuchtenden Schutzzauber des Ungetüms, während es mit boshaft funkelnden Augen näher kam. Der Jünger des Helgrinds auf seinem Rücken riss drohend die Hand empor und deutete auf den Schattenläufer. „Ihr wagt es?“, stieß er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, während er die Leiche des Hohepriesters begutachtete. Seine Augen glommen vor Wahn und Schmerz und als er erneut das Wort ergriff, zischte seine Stimme vor Verachtung und Abscheu. „Ihr kommt an diesen heiligen Ort, an dem die Kraft der Gläubigen in die Körper der Götter fließt und wagt es unser Oberhaupt zu ermorden? Der Tod ist nicht ausreichend als Strafe für die Sünden, die ihr an diesem Tag begangen habt, Ungläubiger.“
Das Lethrblaka unter ihm stieß ein zustimmendes Keckern aus. Wobei ihm allerdings weniger der Tod des Hohepriesters, als vielmehr die Gefährdung seiner Schutzzauber zu interessieren schien. Blitzschnell ging der Reiter in Gedanken ihre Möglichkeiten durch. Das geflügelte Scheusal war ein wenig größer als Illeani. Zwar war es etwas ungelenk in dem engen Raum, in dem sie sich gerade alle befanden, aber machte das mittels seines flexiblen Körperbaus wett. Dessen ungeachtet, fauchte Saphiras Tochter herausfordernd und schob sich schützend vor Karis. Das war zwar mutig, aber der Schattenläufer rechnete ihr keine große Chance gegen das Ungetüm aus. In einem fairen Kampf hätte das junge Drachenmädchen zwar sicher gewonnen, aber aufgrund der Schutzzauber, die ihren Gegner noch immer umhüllten, war ein direkter Angriff aussichtslos.
Zum Glück war das von vornherein nie sein Plan gewesen.
„Illeani, jetzt!“, schrie der Reiter gleichzeitig mit Körper und Geist und noch während die Jünger des Helgrinds und das Lethrblaka verwirrt zu ihm herumfuhren, spreizte das junge Drachenmädchen überraschend die Flügel, was aufgrund des engen Raumes alles andere als leicht war und verbarg ihren Kopf darunter.
Karis schleuderte die Perle, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, mit geschlossenen Augen zu Boden. Das weiße Material zerschellte auf dem harten Marmor und ein blendend weißes Licht flutete zusammen mit einem durchdringenden Kreischen das gesamte Gebäude.
Es war hell und strahlend wie ein Blick in dutzend Sonnen auf einmal.
Das schwarze Scheusal schrie gequält auf und taumelte zurück. In dem verzweifelten Versuch sich vor dem Glanz zu schützen, versuchte es den Kopf unter den Flügeln zu verstecken wie Illeani, verlor dabei jedoch das Gleichgewicht und taumelte zu Boden.
Der Priester auf seinem Rücken hielt sich die Ohren zu, während das geisterhafte Heulen an seinem Verstand zerrte. Das Geräusch war so durchdringend, als ob man ihm glühende Nadeln durch den Gehörgang ziehen würde. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren, seine Gedanken zerrieben wie stumpfes Glas und alles was er denken konnte, war: „Bitte mach das es aufhört!“ Seinen Kameraden an den Säulen ging es nicht anders. Alle Gedanken an das Übertragen der Energie an ihre Götter war aus ihren Köpfen verschwunden. Mit schmerzverzerrten Gesichtern hielten sie sich die Ohren zu und beteten um ein Ende der Schmerzen. Einer war bereits auf die Knie gesunken, so durchdringend war das pfeifende Geräusch in seine Ohren.
Karis und Illeani, die noch immer direkt neben der Quelle des Lichts und des Klangs standen waren die einzigen, die davon nicht betroffen waren. Doch das lag nur daran, dass Karis vor Beginn der Schlacht von jedem Reiter, Drachen und auch dem Wolfkatzenelf Bloedhgarm verlangt hatte sich mit einem bestimmten Schutzzauber zu umgeben, den er selbst entwickelt hatte. Die anderen Zweibeiner waren von seiner vehementen Forderung zwar etwas verwirrt gewesen, denn auf den ersten Blick handelte es sich bei dem Zauber nur um eine abgewandelte Form eines Zaubers, der das Gehör eines Magiers blockierte, doch nachdem der Schattenläufer ihnen erklärt hatte, was für ein Artefakt er zu benutzen gedachte, hatte sie ihn gar nicht schnell genug lernen können. Denn dieser Zauber war der einzige Schutz gegen Karis Drachenperle.
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Der Weiße Schatten
FanfictionEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...