71. Verstecke im schwarzen Sand

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Ein Heulen voller Schmerz und Zorn durchströmte das, von seinen Bewohnern, verlassene Dorf. Der Schmerz in der Stimme echote zwischen den verlassenen Häusern und erfüllte die Luft mit einem gespenstischen Hall. Die Behausungen einst voller Leben und Kameradschaft, waren aufgrund der vorbeiziehenden Armee der Varden verlassen und einsam. Schon seit Tagen war das kleine Dorf, das nicht mal einen Namen vorzuweisen hatte, verlassen. 

Bis jetzt.

Ein Strudel aus Lichtfasern begann sich in der Mitte des Dorfes, wo früher der Marktplatz gewesen war und der jetzt voll von verrottetem Obst und zurückgelassenen Besitztümern war, zu drehen. Zunächst schien er farblos, bis er begann nach und nach den Glanz seiner Umgebung in sich aufzunehmen. Die farblosen Schlieren begannen zu schillern, zunächst in den helleren Farben ihrer Umgebung, als würde ein Regenbogen durch das farblose Wasser des Wirbels ziehen. Ein Anblick, der den Menschen, die diese Behausungen einst bewohnt hatten eine wahre Freude bereit hätten. Doch das was sich da unter tiefem Grollen ankündigte, war kein Anlass zur Freude. 
Für kein lebendes Wesen in Alagaesia. 
Die Windungen des Strudels wurden dunkler. Das Glitzern nahm ab und die ineinanderfließenden Strömungen nahmen das Braun verrotteter Äpfel, das Grau verlassener Häuser und die Wehmut einzelner zurückgelassener Tiere in sich auf, bis die schillernde Färbung durch eine mattschwarzes Äußeres ersetzt worden war.  Zeitgleich nahm auch das Heulen zu. Schierer Zorn, gefolgt von wahnsinnigem Kreischen erfüllte die Luft und veranlasste einzelne streunende Hunde dazu, mit lautem Bellen einzufallen. Doch anders als das Kreischen der körperlosen Stimme waren ihre Laute nicht von Zorn und Wahnsinn erfüllt. Stattdessen klang in ihnen Angst und Trauer mit. Ihre Stimmen bebten, die Klänge überschlugen sich und drängten sich beinahe aneinander bei dem Versuch lauter zu klingen als es ihnen möglich war. 
Es war als ob sie die ganze Schöpfung vor dem warnen wollten, was nicht sein sollte, aber sich nichts desto trotz dort ankündigte. Noch ein paar Mal drehte der inzwischen pechschwarze Strudel um sich selbst, bevor das Gebilde sich mit einem rauschenden Knall auflöste und seine Schatten über die kleine Ortschaft schleuderte. Die dunklen Fasern zerfielen schnell zwischen den verlassenen Gemäuern, doch die wenigen Tiere knurrten ihnen dennoch hinter her und warteten mit hochgezogenen Lefzen auf die Ankunft ihres Ursprungs. 
Dieser ließ nicht lange auf sich warten. Inmitten der sich auflösenden Schlieren, stand ein Mann. In der rechten Hand hielt er ein Schwert. Seine schulterlangen blutroten Haare wehten leicht in dem lauen Luftzug, der das Dorf durchfloss und das Licht das die Sonne auf sein fahles Antlitz warf, ließ sein Gesicht flackern, wie ein totes Antlitz auf dem Scheiterhaufen. 
Seine Züge waren noch immer verzerrt von den Schmerzen, die er erlitten hatte, als sein Leib sich neu zusammengesetzt hatte und seine Hände waren noch immer im, für ihn so flüchtigen, Todeskampf zusammengekrampft. 
Doch in seinen Augen brannte neuer Hass und seine Züge wechselten von Schmerz – zu hassverzerrter Grausamkeit. Endlich war er zurück. Es hatte zwei volle Tage gedauert, bis es ihm möglich gewesen war, seinen Körper wieder herzustellen. Der Angriff des jungen Reiters hatte nur knapp an sein Herzen verfehlt. Einige Zentimeter weiter links und die Schwertspitze hätte ihr Ziel durchbohrt. 
Eine Vorstellung, die Ecros vor Zorn kochen ließ. Er war verletzt worden und dann auch noch von einem jungen Reiter, der auch noch von seinem ehemaligen Schüler ausgebildet wurde. Eine unbeschreibliche Demütigung. Eine Ratte mit struppigem grauem Fell, die ihn aus einer kleinen Seitengasse heraus anfiepte, quiekte erschrocken auf, als sich plötzlich unsichtbare Hände um ihren Hals legten und die Laute erstickten. 
Das Winseln im Todeskampf der jungen Kreatur, wirkte wie Balsam auf die erregte Seele des Schattenelfen und gestattete ihm sich ein wenig zu entspannen. Sein Zorn war wie ein gewaltiger Waldbrand und die schmerzerfüllten Laute waren sanfte Wellen, die in seinen Geist strömten und es langsam erstickten. Ein wahrlich glorreiches Gefühl. Beinahe unbewusst, lockerte Ecros seinen geistigen Griff ein wenig um die Qualen seines Opfers in die Länge zu ziehen. 
Langsam und sorgfältig, löste er Glied um Glied von dem Geschöpf und genoss die schmerzerfüllten Laute, die wie süßeste Musik an seine Ohren drangen, während langsam aber sicher die tosende Glut in seiner Brust erlosch. 
Als er schließlich mit seiner Beschäftigung fertig war und die Ratte mit einem beinahe erleichterten Seufzen ihren letzten Atemzug ausstieß, hatte sich der Schattenelf wieder etwas beruhigt. Unbewusst ging er in die Knie, während seine Gedanken sich nach und nach klärten. Wie dunkle Eissplitter, rasten sie in seinem Kopf hin und her und formierten sich zu neuen Zielen und Plänen. Er würde sich an dem Reiter rächen, der es gewagt hatte, ihn aufzuspießen, ebenso wie an seinem ehemaligen Schüler, der seinen Angreifer überhaupt erst in die Lage versetzt hatte, eben dies zu tun. Noch einmal würde ihm eine solche Niederlage nicht widerfahren. Mit düsterer Genugtuung malte er sich in schillerndsten Farben aus, was er den beiden Reitern antun würde, sollten sie sich erneut über den Weg laufen.
Er war so in seinen Rachefantasien gefangen, dass er die sanften, fast lautlosen Schritte die sich ihm näherten beinahe überhörte. Erst als der Schatten einer Frau auf ihn fiel, blickte er auf. Vor ihm, in den schwarzen Mantel, seines ehemaligen Schülers gehüllt, stand Nyria. Der linke Ärmel flatterte lose im Wind, während ihre rechte Hand den Dauthdaert hielt, den er in Belatona erbeutet hatte. In ihren Augen flackerte nach wie vor der Wahnsinn, der schon zu ihrer Zeit in Ellesmera in ihr geschwellt hatte, bis er, nachdem der Schattenläufer ihr den Arm ausgerissen hatte, zutage getreten war. Zu Beginn hatte sie den Reiter lediglich aufgrund der Veränderungen verachtet, die Ecros ihm zugefügt hatte und hatte ihn als Beleidigung des edlen Geschlechts der Skulblaka gesehen. 
Sie hatte wie selbstverständlich angenommen, dass es ihre Pflicht sei, diesen Fehler zu korrigieren und hatte die Tatsache, dass sie den weißen Drachen, der diesen Mann als seinen Seelengefährten angenommen hatte, damit ebenfalls tötete einfach als notwendiges Opfer abgetan. 
In ihren Augen war der Skulblaka tot besser dran, wie als Gefährte einer solchen Unnatürlichkeit. 
Von Selbstüberschätzung erfüllt und voller Verachtung der Fähigkeiten ihres Gegners gegenüber, war sie damals auf ihn losgegangen. Und sie hatte schwer dafür gezahlt. Obwohl sie ihn hinterrücks angegriffen und überrumpelt hatte, war ihr Angriff gescheitert. Und es war sie teuer zu stehen gekommen. Ihr fehlgeschlagener Versuch, diesen Fehler in der Welt zu korrigieren, hatte sie ihren linken Arm, ihre Schönheit und ihre geistige Gesundheit gekostet. Als der Schattenelf sie gefunden hatte, hatte sie kaum noch geatmet und es hatte ihn große Anstrengung gekostet sie am Leben zu erhalten. Eine Anstrengung, die sich jedoch ausgezahlt hatte. 
Mit einem stolzen Gefühl in der Brust, kam Ecros auf die Beine. 
Sie war wahrlich seine größte Schöpfung. Erfüllt von rasender Wut und Zerstörungslust, die im krassen Kontrast zu der Tier – und Pflanzenliebenden Haltung ihrer Artgenossen stand, war sie sein nützlichstes Werkzeug. Sie war seine lautlose Mörderin, seine finstere Intrigantin und unsihctbare Spionin, die schon zahlreichen Lebewesen in Alagaesia auf sein Geheiß hin Tod und Verderben gebracht hatte. Er hatte sie sorgfältig auf den Tag vorbereitet, an dem sie dem Schattenläufer wieder gegenüberstehen würde. Und dessen Reaktion hatte Ecros nicht enttäuscht. Während er an der Seite seiner Sklavin auf die wartenden Lethrblaka – Chimären zuschritt, schoss ihm ein warmer Schauer durch den Körper, als er sich an den fassungslosen Schock in den Augen von Karis erinnerte, als er sie erblickt hatte. 
Die Schuldgefühle und der Hass, der in der Seele seines ehemaligen Schülers miteinander gerungen hatten waren so stark gewesen, dass er sie beinahe hatte schmecken können. In gespannter Erwartung leckte er sich über die Lippen. Er würde alles dafür geben, diesen Moment erneut zu erleben und die Verzweiflung in den Augen des Reiters zu sehen. Und dann, wenn es soweit war und der Schmerz am heftigsten loderte, würde er ihm das einzig kostbare nehmen, dass ihm noch geblieben war. 
Grausames Lachen erfüllte, die Luft, als die geflügelten Ungetüme sich aus den Trümmern des verlassenen Dorfes erhoben und heftig mit ihren Flügeln schlugen. Vorerst würden sie sich verstecken müssen, aber ihr Meister war noch nicht besiegt. Alles was er für seine Wiederauferstehung aus den Schatten benötigte, waren Geduld und ein guter Plan. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt