Von glühendem Zorn erfüllt schoss Sereth durch den Himmel. Seine Flügelschläge waren so wutgeladen, dass sein jüngerer Artgenosse Mühe hatte, mit ihm mitzuhalten. Zwar verspürte er Mitgefühl mit dem kleineren roten Drachen, doch er konnte nicht anders. Der Gedanke an seine entführten Küken trieb den weißen Riesen vorwärts. Vor zwei Tagen hatten sie die Elfen verlassen und überflogen gerade den Leona See. Ihr Ziel war eine Senke am Ufer des Gewässers, in der Nähe der Stadt Belatona.
Sein Reiter hatte die Idee gehabt, dass wenn ein Diener des Königs es vermocht hatte seine Küken zu rauben, dass er dann sicher in der nächstgelegenen Stadt Verstärkung angefordert hätte, um mit seiner Beute sicher nach Uru baen zu gelangen. „Aber warum sollte er das tun?", drang auf einmal die angestrengte die Stimme Dorns, durch seine Gedanken. Obwohl der junge Drache deutlich Mühe hatte mit ihm mitzuhalten, war seine Stimme ebenso melodisch wie immer. „Weshalb sollte ein Dieb mit einer so wichtigen Beute hier her kommen und sie nicht direkt zu dem Eischänder schicken?" „Ganz einfach.", erwiderte Karis und drehte sich zu dem roten Drachen und seinem Seelengefährten um, die knapp hinter ihnen flogen. „Galbatorix hat Vorkehrungen getroffen, damit niemand Gegenstände oder Personen auf magischem Weg in Uru baen hinein oder hinaus befördern kann. Und die Umgebung der Stadt ist zu unwirtlich um bei einem Transport dorthin sicher sein zu können, einen verabredeten Treffpunkt zu erreichen. Daher war die einzige Möglichkeit des Diebes oder der Diebe, sich selbst und ihre Beute in die Nähe einer anderen Stadt des Imperiums zu transportieren." Verwirrung breitete sich auf Murtaghs Gesicht aus, während er den Worten des Schattenläufers lauschte.
„Aber weshalb sollten sie sich nach Belatona und nicht nach Dras Leona transportieren? Das wäre doch einfacher und dort wären sie nicht mehr so dicht an den Varden." „Damit hast du nicht Unrecht.", gab Karis zu, während unter den beiden Drachen die spiegelglatte Oberfläche des Leona Sees dahinglitt. Im funkelnden Licht der Sonne sah es so aus, als ob das Gewässer aus flüssigem Silber bestehen würde. „Dras Leona wäre auf jeden Fall sicherer. Aber diese Sicherheit ist ein zweischneidiges Schwert. Ebenso wie Uru baen haben die Priester des Helgrinds die Heimat ihrer Götter mit zahlreichen Zaubern belegt." „Hat ihnen gegen Eragon aber nicht viel genützt.", bemerkte Murtagh trocken. Karis nickte. „Sie haben vermutlich nicht damit gerechnet, dass jemand ihre Götter direkt herausfordern würde. Aber seit seinem kleinen Besuch in ihrer Stadt haben sie ihre Schutzwälle noch verstärkt." „Woher weißt du das?", erkundigte sich Dorn neugierig. Der rote Drache kam etwas näher geflogen, auch wenn er aufgrund der schieren Größe seines Artgenossen einen gewissen Sicherheitsabstand halten musste um nicht von den Luftströmungen die dieser verursachte erfasst zu werden.
„Gleich nachdem ich euch gefangengenommen habe, habe ich Donner und Asche losgeschickt um die nächsten Städte auf dem Weg der Varden auszuspionieren.", ein Hauch von Sorge schlich sich auf das Gesicht des älteren Reiters. „Gestern während unserer kleinen Rast habe ich versucht die beiden zu kontaktieren. Dabei hat Donner mir berichtet, dass sich die Verteidigungsmaßnahmen um Dras Leona deutlich erhöht haben." „Und was ist mit Asche.", erkundigte sich Murtagh vorsichtig.
Weder ihm noch seinem Drachen waren die Schatten im Gesicht ihres Lehrmeisters entgangen, die sich bei der Erwähnung der Citharki darin gebildet hatten. Sereths Reiter atmete einmal tief durch, bevor er antwortete. „Ich konnte zu ihm keinen Kontakt herstellen." Von dieser Neuigkeit überrumpelt gerieten Dorns Flügelschläge kurz aus dem Takt, worauf er einige Meter absank und sich anstrengen musste um wieder zu seinem Artgenossen aufzuschließen.
Karis wartete, bis sie wieder neben ihnen flogen, bevor er fortfuhr: „Das ist der zweite Hinweis, der mich auf die Idee gebracht hat, nach Belatona zu fliegen." „Glaubst du, ihm ist etwas zugestoßen?", hakte Murtagh nach. Doch zu seiner Überraschung war es Sereth, der ihm dieses Mal antwortete. Der weiße Riese hatte sich während der meisten Zeit auf diesem Flug von der Gruppe abgekapselt und hatte stillschweigend vor sich hingebrütet. Dass er jetzt das Wort ergriff war unerwartet. Dennoch lauschten die anderen ihm interessiert, als der Drache bemerkte: „Wahrscheinlich. Die Citharki sind sehr loyal. So viel konnte ich, während sie sich im Lager der Varden aufhielten über sie herausfinden. Sie haben Karis als ihren Alpha anerkannt, daher ist es sicher, dass sich Asche melden würde, wenn er könnte."
„Aber wer könnte ihn erwischt haben?", dachte Murtagh laut nach.
„Die Citharki sind nicht gerade leichte Gegner und in Galbatorix Diensten gibt es sicher nicht viele Soldaten, die es mit geflügelten Pferden mit dolchartigen Krallen aufnehmen können. Oder glaubst du, dass ihn ein Magier erwischt hat?" Karis schüttelte verneinend den Kopf. „Selbst ein Magier dürfte es schwer haben einen Citharki zu erlegen. Als Ecros sie damals in das Lager der Varden gesandt hat, hat er sie mit zahlreichen Schutzzaubern versehen, die Kraft aus ihrer eigenen Stärke beziehen. Diese Zauber blieben auch nach ihrer Befreiung aktiv. Daher wäre es selbst für einen imperialen Magier mehr als schwierig einen Citharki gefangen zunehmen. Daraus schließe ich, dass was auch immer Asche in Belatona erwartet hat, alles andere als gewöhnlich ist."
„Du glaubst, dass wer auch immer mächtig genug ist um einen deiner Citharki zu töten oder gefangen zunehmen, dann ist derjenige sicher auch entweder für die Entführung der Eier verantwortlich, oder weiß zumindest etwas, das uns bei der Suche weiterhilft.", schloss Murtagh scharfsinnig aus dem Gedankengang des älteren Reiters. Der Schattenläufer nickte ihm anerkennend zu. „Stimmt. Wer auch immer Saphira angegriffen hat, kann kein gewöhnlicher Magier gewesen sein, denn ein solcher wäre bereits an der Elfengarde gescheitert. Aber nachdem was ich erfahren habe, hat sich dieser Angreifer sowohl gegen die Elfengarde, als auch gegen Eragon und Saphira durchgesetzt. Zwar hat er sie überrumpelt, aber die bloße Tatsache, dass jemand in der Lage war sich so nahe an sie heranzuschleichen, lässt auf ein beunruhigendes Machtpotenzial schließen." Dorns Reiter nickte daraufhin nur stumm und in einträchtigem Schweigen schossen die Drachen durch den Himmel. Als es schließlich Abend wurde, konnten sie die Umrisse der Stadt am Horizont immer deutlicher erkennen.
Schließlich waren sie so nahe, dass die beiden Drachen, die bessere Augen als ihre Reiter hatten, bereits Umrisse erkennen konnten. Doch gerade, als Karis seinen Seelengefährten bitten wollte, den Tarnzauber zu wirken, der in einem der Ringe auf seinen Hörnern schlummerte, hielt der weiße Riese abrupt inne. Der Halt kam so plötzlich, dass Karis ohne seine Beinriemen aus dem Sattel geschleudert worden wäre.
Auch Dorn hatte mit einem Mal ruckartig die Flügel nach vorne geschlagen um seinen Flug abzubremsen und schwebte jetzt ebenso wie Sereth in der Luft und sog argwöhnisch mit aufgeblähten Nüstern die Luft ein.
Der Schattenläufer warf dem Reiter auf dem Rücken des kleineren Drachen einen fragenden Gedanken zu, doch auch dieser wusste nicht, was geschehen war. Bis Karis plötzlich einen zarten Hauch an seinem äußeren Schutzwall spürte. Ohne zu zögern, da er die geistige Gegenwart seines Seelengefährten sofort erkannt hatte, senkte er seinen Schutzwall und ließ es zu, dass sein Drache ihn aus seinem Körper zog. Kurz spürte er die Desorientierung, die ihn bei diesem Vorgang immer für kurze Zeit befiel, ebenso wie die Wut, die immer noch unterschwellig in dem weißen Drachen brodelte, aber jetzt von Sorge überschattet wurde. Und als Sereth ein weiteres Mal tief die Luft durch seine Nüstern einsog wurde Karis auch klar, warum.
Ein beißender Geruch nach Blut, Schmerz und Elend schwängerte die Luft. Unwillkürlich rief es die Erinnerung an blutenden Kadaver und zerschmetterte Glieder in ihm hervor. Und darüber hing der unverwechselbare Geruch der Chimären. Eine leicht verwesender Gestank, ähnlich dem der die Lethrblaka umgab, lediglich unterbrochen von einem scharfen Beigeschmack. Karis wurde blass als ihn die Sinneseindrücke seines Seelengefährten erreichten. Murtagh ging es nicht anders. Auch der rote Drache hatte den Geruch in seiner Nase erkannt und seine Erkenntnis mit seinem Reiter geteilt. Daraufhin hatten die beiden Drachen ruckartig innegehalten und schwebten jetzt über der schillernden Oberfläche des Leona-Sees.
Sereths Reiter fand als erster seine Stimme wieder. „Ecros Chimären? Hier?" Der weiße Riese knurrte dunkel. „Und wenn man bedenkt, dass wir sie aus dieser Entfernung bereits riechen können, dann sind das bestimmt nicht wenige." Sein roter Artgenosse stimmte in das Knurren ein. „Was machen wir jetzt? Sollen wir trotzdem weiter nach Belatona fliegen?" Kurz blickte Karis nachdenklich an der Flanke seines Seelengefährten entlang, bis sein Blick zu dem stillen Gewässer unter ihnen glitt. Für einen Moment schien es ihm, als könnte er in dem inzwischen in dem Licht der untergehenden Sonne, blutroten See eine Vision seiner Zukunft erkennen.
Doch schnell schob er diesen Gedanken beiseite. Möglichst ruhig entgegnete er: „Wir sollten uns die Angelegenheit einmal näher ansehen. Schließlich dient der Schattenelf Galbatorix nicht mehr. Daher hatte ich eigentlich angenommen, dass er sich wieder eine gewisse Zeit verkriechen würde. Mich würde interessieren, was er im Schilde führt." Murtagh nickte. Und nur wenige Augenblicke später flogen die beiden Drachen in Richtung der Stadt weiter, auch wenn sie jetzt deutlich vorsichtiger waren.
Sowohl Karis als auch sein Schüler hatten begonnen die Schutzzauber, die sie ohnehin um ihre Seelengefährten gesponnen hatten, noch zu verstärken und zusätzliche Magie zu wirken, deren Ziel es war, die Anwesenheit der beiden Drachen im Luftraum über der Stadt zu verschleiern. Als sie die Stadt schließlich fast erreicht hatten, merkte der Reiter des roten Drachen plötzlich an: „Könnte es eigentlich nicht sein, dass Ecros für die Entführung der beiden Dracheneier verantwortlich ist? Er ist doch sicherlich mächtig genug um etwas Derartiges zu vollbringen."
Sereth stieß ein zorniges Knurren aus. Ohne etwas zu sagen flutete auf einmal ein heißer alles verzehrender Hass die Köpfe aller Anwesenden. Auch ohne Worte war klar, was der weiße Riese sagen wollte. Murtagh schluckte bei dem Bild, das dabei unwillkürlich in seinem Kopf auftauchte.
Doch er kam nicht mehr dazu, sich zu dem Thema zu äußern, denn inzwischen hatten sie die Stadt am Ufer des Leona-Sees erreicht.
Sowohl den Reitern als auch ihren Drachen stockte der Atem. Alle vier hatten in ihrem Leben schon viel Grausamkeit gesehen. Keinem von ihnen war der Anblick von Tod und Verzweiflung unbekannt und auch das Grauen, dass der Anblick von Schlachtfeldern mit sich brachte, vermochte keinen von ihnen mehr zu schocken, doch als sie unter sich die Überreste der einstigen Stadt des Imperiums erblickten, stockte ihnen der Atem. Die Häuser waren zu Ruinen degradiert worden. Große Stücke der Behausungen waren mit roher Gewalt herausgebrochen worden. Ganze Dächer waren abgedeckt und riesige Löcher klafften wie ausgetrocknete Wunden in dem Gestein. Doch am meisten schockierte die beiden Reiter der Anblick der Bewohner der Stadt.
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Der Weiße Schatten
FanfictionEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...