„Wie ist es bei den Elfen gelaufen?" Mit diesen Worten empfing Murtagh, Karis und Sereth, kaum, dass der weiße Drache zur Landung aufgesetzt hatte. Etwas perplex, beobachtete der Schattenläufer zuerst den jüngeren Drachenreiter, dann fiel sein Blick auf die gelösten silbergrauen Ketten, die neben dem Lagerfeuer lagen. Erfreut hob er eine Augenbraue. „Es hat funktioniert." „Ja", aufgeregt wie ein junger Hund sprang Dorn auf und ab. Die Erleichterung und die Freude über ihre Freiheit, sprudelten förmlich aus dem Geist des jungen Drachen und fluteten die Gedanken aller Anwesenden. Sereth stieß ein lautes Brüllen aus.
Aber der Ton hatte nichts Drohendes. Er war erfüllt von einem grenzenlosen Hochgefühl, das den Empfindungen seines roten Artgenossen Antwort gab. „Das freut mich sehr für euch.", sagte sein Reiter, nachdem der donnernde Laut verhallt war und nahm am erloschenen Lagerfeuer Platz. Mit einer stummen Geste bedeutete er dem jüngeren Reiter es ihm gleichzutun. „Diese Erfahrung war bestimmt außergewöhnlich." Dorn nickte heftig. Der junge Drache war so aufgedreht, dass er bei der Bewegung fast sein Kinn gegen den Erdboden gestoßen hätte.
Murtagh versuchte dem Schattenläufer seine Erfahrung zu beschreiben, nachdem er Platz genommen hatte, aber er fand einfach keine Worte für das was er erlebt hatte. Immer wieder beschrieb er die Bilder, die er gesehen hatte, aber immer wenn er versuchte, die Erfahrungen, die die Verschmelzung mit den Geistern mit sich gebracht hatte, zu erläutern, schien es ihm, als würde seine Worte auf seiner Zunge zerbrechen, wie Glas.
Nach seinem dritten Versuch, unterbrach Sereths Reiter ihn schließlich. „Versuch nicht etwas in Worte zu fassen, für das es keine Worte gibt.", riet er ihm. Der jüngere Drachenreiter nickte. „Du hast Recht, es war wirklich außergewöhnlich. Es war anders als alles was ich jemals erlebt habe." „Kann ich mir vorstellen.", stimmte Karis ihm zu, „Ich habe das gleiche auch schon einmal gemacht. Vor knapp 60 Jahren." Ein Lächeln glitt über Karis Gesicht. Ein seltener Anblick, wenn er über seine Vergangenheit sprach.
„Wolltest du damals auch deinen wahren Namen ändern?", wollte Dorn wissen. „Nein", entgegnete Sereth für seinen Reiter, „einige der Geister, die von Ecros in tote Körper gezwungen wurden um ihm zu dienen, haben ihn dieser Prozedur unterzogen, nachdem wir ihre fleischlichen Hüllen zerstört hatten. Für gewöhnlich nehmen diese Wesen keinen Einfluss auf die Ereignisse der körperlichen Welt, aber diese waren sehr zornig auf Ecros und wollten alles in ihrer Macht stehende tun, um Karis zu helfen gegen den Schattenelfen zu kämpfen."
„Was hast du damals gesehen?", fragte Murtagh. „Hast du auch die Energiebahnen gesehen, die ganz Alagaesia durchstreifen und auf denen die Geister sich bewegen." Der ältere Reiter schüttelte den Kopf. „Nein", entgegnete er gelassen, „Das was ich gesehen habe, war etwas ganz anderes. Die Informationen, die sie mit uns Existenziellen teilen, sind sehr bruchstückhaft, denn ihr ganzes Wissen würde unseren Verstand komplett überfordern. Daher ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Informationen, die sie mit mir geteilt haben anders waren, als die die du erhalten hast."
„Was haben sie dir gezeigt?" „Sie haben mir gezeigt, wie sie unsere Welt wahrnehmen.", entgegnete der Schattenläufer schlicht. Mit der rechten Hand hob er ein Samenkorn auf, das neben ihm lag und mit der Linken einen kleinen Kiesel. „Für diese Energiewesen, gibt es zwischen lebendem Material wie Pflanzen, Tieren oder Menschen und Totem, wie zum Beispiel diesem Stein hier keinen Unterschied. Sie sind in der Lage sowohl einen Stein, als auch ein Samenkorn mühelos mit dem Geist zu erforschen. Ich habe diese Form der Wahrnehmung auch erlernt und dadurch die Astrallevitation entwickelt." „Was ist die Astrallevitation?", fragte Dorn verwirrt. „Das ist die Fähigkeit, sowohl leblose Gegenstände, als auch organische Gegenstände mühelos mit meinem Geist zu steuern. Und das ohne auf die alte Sprache zurückgreifen zu müssen." Zur Veranschaulichung sandte er seinen Geist aus und ließ zeitgleich das Samenkorn und den Kieselstein leicht in die Höhe steigen und Kreise um seine Handflächen drehen.
Ungläubig riss Murtagh die Augen auf und auch Dorn schnaubte erstaunt. „Wie ist das möglich? Ich dachte, die alte Sprache wäre der einzige Weg um andere Gegenstände derart kontrollieren zu können." „Das denkt Galbatorix auch.", entgegnete Karis trocken, während er die schwebenden Gegenstände langsam zu Boden gleiten ließ. „Das ist einer seiner größten Fehler. Er hält sich für allwissend, weil er auf die Erfahrungen der alten Drachen zurückgreifen kann. Er nimmt nicht einmal im Traum an, dass es Bereiche der Magie gibt, in die er noch nicht vorgedrungen ist."
„Wie genau funktioniert das?", wollte der jüngere Drachenreiter aufgeregt wissen. Gelassen erwiderte Karis: „Wie es scheint ist mit deiner Freiheit auch deine Neugierde zurückgekehrt." Dorns Reiter zuckte mit den Schultern und wartete ohne etwas zu erwidern auf eine Antwort. Der Schattenläufer schenkte ihm ein schiefes Grinsen.
„Na gut. Es könnte sein, dass du auch in der Lage bist die Astrallevitation zu erlernen, aber sicher kann ich das nicht sagen. Es hängt davon ab, inwieweit die Geister dein Bewusstsein erweitert haben."
„Was genau meinst du eigentlich mit erweitert?", erkundigte Murtagh sich misstrauisch geworden. „Als du das vor der Beschwörung erwähnt hast, bin ich nicht näher darauf eingegangen, weil die Änderung meines Namens dabei Vorrang hatte, aber jetzt bin ich schon neugierig, was es damit genau auf sich hat." „Das ist nur zu verständlich", entgegnete Karis. „Aber das Ganze ist schwierig zu erklären." Nachdenklich fuhr sich Sereths Reiter durch seine grauen Haare. „Versuchen wir es so", begann er, „zum einen ist deine Verbindung zu dem Strom der Magie, der in dir, durch den starken Kontakt zu den Energiewesen, deutlich vertieft worden. Dadurch sollte es dir inzwischen einfacher fallen, deine Energiereserven wieder aufzufüllen und deine magischen Kräfte sollten auch ansteigen." Stirnrunzelnd ob dieser Eröffnung schloss Murtagh die Augen.
Karis konnte am angestrengten Gesichtsausdruck seines Gegenübers erkennen, dass dieser gerade versuchte auf den Energiestrom in seinem Inneren zuzugreifen, nur um kurz darauf überrascht die Augen aufzureißen. „Das ist unglaublich. Diese pulsierende Energie. Ich weiß gar nicht, wo die auf einmal hergekommen ist." Mit einem milden Lächeln, antwortete Karis: „Diese Energie war schon die ganze Zeit in dir. Es fällt den meisten Menschen jedoch sehr schwer, darauf zuzugreifen. Wohingegen Energiewesen, wie Schatten oder Geister, die von Natur aus einen sehr starken Kontakt zur den magischen Energien ihrer Umgebung haben, diesen Kraftstrom für gewöhnlich vom Augenblick ihrer Entstehung an, in vollem Umfang nutzen können."
Immer noch überwältigt blickte Murtagh auf seine Hände. „Das ist Wahnsinn. All diese Kraft." „Überschätz dich nicht.", riss ihn die scharfe Stimme des Schattenläufers aus seinen Gedanken. Überrascht hob er den Kopf und bemerkte, wie ihn sein Gegenüber streng musterte. „Diese magische Kraft ist zwar groß, aber im Vergleich zu der Kraft, aus den Eldunari, die dir Galbatorix gegeben hat, ist sie immer noch sehr gering. Sie entspricht in etwa den Energiemengen, über die ein ausgeruhter Elfenkrieger verfügt. Allerdings erhöht sie im Gegensatz zu den Energiemengen, die der Drachenmörder dir gegeben hat, in keinster Weise deine Schnelligkeit oder Kraft. Lediglich deine Ausdauer und deine Fähigkeit Zauber zu wirken, werden von den dir gerade erschlossenen Energiereserven profitieren."
Von dieser Nachricht ernüchtert, blickte der jüngere Reiter zu Boden, worauf Karis Tonfall wieder etwas milder wurde.
„Ich nehme an, dir ist klar, was ich damit sagen will." Murtagh nickte. „Das bedeutet, in einem Kampf mit einem Elfen, oder einem anderen Gegner, dem die magische Kraft durch die Adern fließt, werde ich dennoch alt aussehen." Jetzt schwand die Strenge ganz von den Zügen von Sereths Reiter und fast so etwas wie Anerkennung schlich sich in seinen Blick. Anscheinend war der jüngere Reiter durchaus in der Lage seine Grenzen zu erkennen. Karis größte Befürchtung, nach der Möglichkeit, dass der wahre Name seines neuen Verbündeten sich nicht ändern würde, war die Tatsache, dass Murtagh und Dorn aufgrund ihrer neuen Fähigkeiten ein ungesundes Selbstbewusstsein entwickeln würden.
Aber zum Glück schien die ihm eigene Disziplin, diese Gefahr bei Morzans Sohn auszugleichen.
„Das wäre der Fall, es sein denn, du lernst mit deinen Fähigkeiten, angemessen umzugehen." Überrascht hob Murtagh den Kopf, als Karis fortfuhr: „ Es stimmt zwar, dass dir die körperlichen Vorrausetzungen fehlen, um einem Elfen oder Schatten in einem direkten Zweikampf ebenbürtig zu sein, aber es gibt gewisse Möglichkeiten diesen Nachteil auszugleichen. Die alten menschlichen Drachenreiter haben zum Beispiel die Möglichkeit entwickelt, gespeicherte Energie, die sie für gewöhnlich für ihre Zauber verwenden, stattdessen in ihre eigenen Körper fließen zu lassen. Auf diese Weise haben sie künstlich den Zustand erschaffen, in dem sich die Körper der Elfen von Natur aus befinden." Murtagh nickte.
„Diese Technik kenne ich. Galbatorix hat mir gezeigt, wie ich die Kraft der Eldunari nutzen kann, um meine eigene Körperkraft um ein Vielfaches zu steigern. Aber jetzt, wo ich nicht mehr über diese Energiereserven verfüge, wäre diese Technik doch viel zu riskant" Bei den letzten Worten hatte die Stimme des Dunkelhaarigen beinahe bedauernd geklungen und Dorn hatte seinen Reiter warnend mit dem Kinn angestoßen.
Als ihm daraufhin klar wurde, was er gerade gesagt hatte, blickte er den Schattenläufer erschrocken an. „Versteh mich nicht falsch. Ich weiß, dass es nicht richtig ist, die Seelenhorte der Drachen für diesen Zweck zu verwenden, wie gewöhnliche Energiespeicher, aber seit ich nicht mehr über ihre Macht verfüge, fühle ich mich schon ein wenig angreifbar." Verständnisvoll nickte Karis. „Ich verstehe dich. Ich nehme an, Galbatorix hat dir nur das nötigste beigebracht und bei allem, wofür du kompliziertere Formeln in der alten Sprache gebraucht hättest, solltest du dich auf die Eldunari verlassen, damit deine Kraft schön von ihm abhängig bleibt."
Niedergeschlagen stimmte Murtagh ihm zu.
„Allerdings ließe sich das ändern." Die Stimme des Schattenläufers, ließ Dorns Reiter überrascht den Kopf heben. „Wenn du und Dorn, euch von mir ausbilden lasst, könnte ich euch beibringen, wie ihr mit euren neuen Fähigkeiten umgeht. Und insbesondere dir Murtagh könnte ich zeigen, wie du deine Nachteile einem körperlich stärkeren Gegner gegenüber ausgleichen kannst." Der rote Drache stieß ein überraschtes Schnauben aus: „Wieso denn mir auch?", wollte er wissen.
„Murtagh ist doch derjenige, der eine tiefgreifende Veränderung durchgemacht hat. Auch wenn sich mein wahrer Name durch unsere Verbindung geändert hat, glaube ich nicht, dass ich dadurch auch von den Geistern verändert wurde." Verwirrt registrierte der junge Drache, dass eine Welle der Erheiterung seinen größeren Artgenossen, als Reaktion auf seine Worte, durchströmte. „Was?", fragte er etwas eingeschnappt. Doch es war der Reiter des weißen Drachen, der ihm antwortete. Mit amüsierter Stimme, fragte er: „Eine so grundlegende Veränderung, wie die deines Seelengefährten kann nicht spurlos an dir vorbeigegangen sein. Ebenso wenig, wie das damals bei Sereth der Fall war."
Der weiße Drache stieß ein bestätigendes Schnauben aus. „Ich habe lediglich, ein wenig länger als mein Reiter gebraucht, um die Veränderungen in meinem Inneren zu begreifen."
Mit konzentrierter Miene richtete er seinen Blick auf das Samenkorn und den Kieselstein, die sein Reiter vor kurzem zur Veranschaulichung hatte schweben lassen. Erst ging nur ein leichtes Zucken durch die Gegenstände, wie wenn sie von einem leichten Windhauch erfasst worden wären. Doch dann schossen sie beinahe senkrecht in die Höhe. Überrascht folgte Dorn der Bewegung mit den Augen, bevor er seinen Blick wieder auf seinen Artgenossen richtete.
„Du warst das?", wollte er verwundert wissen. „Ich dachte, wir Drachen haben nur in den seltensten Fällen Kontrolle über unsere Magie." „Unter normalen Umständen wäre das auch so. Und auch jetzt kann ich nicht wie mein Reiter plötzlich anfangen Zauber in der alten Sprache wirken. Aber ich verfüge über dieselbe Gabe, die auch er durch die Verbindung mit den Geistern erhalten hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es in deinem Fall genauso ist."
Diese Neuigkeiten musste der rote Drache erst einmal verdauen. Er sank wieder hinter seinem Reiter auf den Boden und legte den Kopf auf den Vorderpfoten ab. Die Idee, dass er auch in der Lage sein würde Magie anzuwenden faszinierte ihn, aber gleichzeitig verwirrte der Gedanke ihn auch. Er war ein Drache. Es war nicht normal, dass er magische Kräfte einsetzte. Ein Sohn des Himmels und Feuers wie er löste seine Konflikte normalerweise mit Zähnen, Klauen und der Glut in seinem Inneren. Magie zu benutzen kam ihm unehrenhaft vor, fast wie eine Beleidigung seiner Art.
„Ich kann dich verstehen.", hallte auf einmal die Stimme seines größeren Artgenossen verständnisvoll, durch sein Bewusstsein. „Als ich diese Fähigkeit erlangt habe, habe ich anfangs genauso gedacht." „Und was hat sich geändert?" Neugierig blickte Dorn Sereth an. Der weiße Drache schnaubte. „Die Entscheidung, dass ich jede Fähigkeit, die sich mir bietet, erlernen will, um meinen kleinen Schatten zu beschützen." Verstehend nickte der kleinere rote Drache. Das war eine Entscheidung, die er durchaus nachvollziehen konnte. Kurz richtete er seinen nachdenklichen Blick auf seinen Reiter. Murtagh war gerade in Gedanken versunken, doch Dorn wusste bereits, wie die Entscheidung seines Reiters aussehen würde. Der Schwarzhaarige war von dem Angebot des Schattenläufers sehr angetan gewesen. Aus verschiedenen Gründen.
Zum einen wollte er nie wieder so hilflos sein, wie sie sich gefühlt hatten, als Galbatorix ihnen ihre wahren Namen geraubt hatte. Der andere Grund war Rache. Das war zwar kein sehr edles Motiv, aber das war den beiden egal. Der König würde dafür bluten, was er sie gezwungen hatte, zu tun. Kurz trafen sich die Blicke der beiden Seelengefährten. Als er sah, wie sich seine Entschlossenheit in den rubinfarbenen Augen seines Drachen spiegelte, da wusste er, dass Dorn derselben Meinung war, wie er.
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Der Weiße Schatten
FanfictionEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...