16. Scharfes Schwert, versteckte Klinge

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Die beiden Schwerter klirrten laut als Zwielicht auf Eragons Krummschwert traf. Mit einer geschmeidigen Bewegung, winkelte Karis seinen Arm ab und ließ den Schlag seines Gegners seitlich abgleiten, bevor er herumwirbelte und sein Schwert gegen die Kehle des Schattentöters schwang. Kurz bevor die mit einer magischen Schutzschicht abgestumpfte Schneide den Hals berührte, bremste er jedoch ab und meinte mit schiefem Grinsen: „Ich schätze, ich habe gewonnen."
Eragon erwiderte das Grinsen mit einer säuerlichen Grimasse, doch der ältere Reiter sah ihm an, dass er nicht wirklich verstimmt war. Karis und Sereth waren jetzt seit ungefähr drei Tagen bei den Varden und glücklicherweise schien die Neugierde der verschieden Völker ihnen gegenüber langsam nachzulassen. Die Menschenmenge, die sie die letzten Tage jedes Mal angegafft hatte, wenn Karis sein Zelt verlassen hatte, war immer kleiner geworden. Und auch König Orrin hatte sich nach der denkwürdigen Versammlung noch nicht bei ihm gemeldet. Doch heute schienen wieder genauso viele Krieger am Rand des Übungsplatzes auf dem die beiden Reiter die Klingen gekreuzt hatten, zuzusehen wie an dem Tag als Karis seine Existenz den freien Völkern offenbart hatte.
Sereths Reiter konnte es ihnen nicht verdenken. Immerhin hatte Nasuada am gestrigen Abend entschieden, dass sowohl Eragon als auch Karis sich inzwischen genug von dem Kampf am Helgrind erholt hatten und nachdem der Schattenläufer sich bereit erklärt hatte, sich im Austausch für ihre Akzeptanz seiner Verschwiegenheit, einem Test seiner Fähigkeiten zu unterziehen, hatte sie dem Schattentöter befohlen die Prüfung am heutigen Tag durchzuführen.
Seit die Drachenreiter am frühen Morgen getroffen hatten, um sich für den Übungskampf vorzubereiten, war die Anzahl der Zuschauer stetig gewachsen. Und nachdem Karis gewonnen hatte war die Menge in laute Begeisterungsrufe ausgebrochen. Doch auch wenn sich Sereths Reiter über die Anerkennung des Publikums freute, musste zugeben, dass es kein fairer Kampf gewesen war.
Die neue Waffe, die der Schattentöter seit kurzem trug hatte ihn erheblich beeinträchtigt. Die leichte Unsicherheit bei der Verteidigung und das kurze Zögern, bevor er zum Schlag ansetzte, verrieten Karis eindeutig, dass Eragons Kampfkünste durch die ungewohnte Waffe Grenzen gesetzt waren. „Ich hätte gerne eine Wiederholung."
Die Worte des Schattenläufers brachten Eragon, der immer noch leicht verstimmt aussah, dazu überrascht aufzublicken. Auch die Menge die eben noch Laute der Begeisterung ausgestoßen hatte, hielt verblüfft inne. „Wieso das denn?", fragte Eragon verwundert, „Ich konnte eine gute Einschätzung deiner Fähigkeiten vornehmen. Es besteht kein Grund den Kampf fortzuführen." „Das sehe ich anders:", entgegnete Karis entschlossen. „Du hast keinerlei Erfahrung im Umgang mit deiner neuen Waffe, sonst hätte ich nie so leicht gewonnen. Daher bezweifele ich, dass du eine korrekte Beurteilung meiner Fähigkeiten durchführen konntest."
Peinlich berührt kratzte sich Eragon am Kopf und dachte nach. Ihm war bewusst, dass der Schattenläufer Recht hatte, aber da Nasuada ihm befohlen hatte persönlich die Fähigkeiten des neuen Reiters zu beurteilen, hatte er es für seine Pflicht gehalten, selbst gegen ihn zu kämpfen. Noch ehe er zu einem Entschluss bezüglich der Situation kommen konnte erklang auf einmal eine Stimme die ihm einen wohligen Schauer über den Rücken laufen ließ. „Vielleicht kannst du seine Fähigkeiten besser beurteilen, wenn du von außerhalb siehst, wie er kämpft." Eragon wandte sich um und erblickte Arya, die mit einer leichten elfischen Rüstung bekleidet ein paar Schritte hinter ihm stand. Ihr gerades Schwert hing in einer Scheide an ihrer Seite.
„Da ich bei deiner Ankunft bei den Varden auch deine Fähigkeiten im Schwertkampf überprüft habe, wäre ich bereit dir bei der Beurteilung der Fertigkeiten des neuen Reiters zu helfen." Eragon nickte. Der Vorschlag der Elfenprinzessin klang vernünftig und nachdem ihm Karis mit einem Nicken signalisierte, dass er keine Einwände hatte, gab er seine Zustimmung und trat einige Schritte zurück um den Kontrahenten genug Platz zu lassen.

Karis musterte die Elfe, die vor ihm stand, aus zusammengekniffenen Augen.
Sie war recht schlank, ihre Haltung strahlte Selbstbeherrschung und Konzentration aus, während sie ihr gerades Schwert mit der schlanken Klinge in der rechten Hand hielt. Ihm war klar, dass dieser Kampf deutlich schwerer werden würde, als der Kampf mit dem jüngeren Reiter. Vor allem, da die Elfe seinen Kampf mit Eragon sicher beobachtet hatte und daher zumindest eine grobe Vorstellung von seinem Kampfstil haben würde, während der ihre Karis völlig unbekannt war. Daher wechselte er kurzentschlossen die Strategie und änderte er seine Haltung.
Er hielt die linke Hand zur Faust geballt vor seine Brust und ging leicht in die Hocke, während er sein Schwert so drehte, dass er es mit der rechten Rückhand führte. Die Elfe ließ sich nicht anmerken ob sie durch seinen plötzlichen Haltungswechsel verunsichert war. Ohne einander aus den Augen zu lassen begannen Karis und Arya sich zu umkreisen, bis die Elfenprinzessin plötzlich zuschlug. Mit zwei schnellen Schritten überbrückte sie die Distanz zwischen ihnen und schlug nach Karis linker Seite. Geschmeidig wich Karis mit einem Schritt zur Seite aus, wodurch der Schlag der Elfe ins Leere ging. Ohne sein Schwert zu benutzen, trat er einen Schritt nach vorn und bevor seine überraschte Gegnerin zurückweichen konnte, holte er aus und versetzte ihr mit der Faust einen Schlag in den Magen.
Dieser Kampfstil hatte sich schon häufig als erfolgreich erwiesen. Da die meisten seiner Gegner im Zweikampf nur auf sein Schwert geachtet hatten, war es ihm schon oft möglich gewesen, einen überraschenden Treffer mit seinen Händen, die durch ihre
rasiermesserscharfen Fingernägel fast ebenso gefährlich waren wie Zwielicht, oder anderen versteckten Waffen zu landen. So war es auch dieses Mal. Er hatte sich zwar zurückgehalten, dass keine ernsthaften Verletzungen entstehen würden, dennoch taumelte Arya einige Schritte zurück, das Gesicht vor Überraschung und Schmerz verzerrt. Doch als Eragon sich besorgt erkundigte, ob alles in Ordnung war winkte sie nur ab und ging, ohne ihren Gegner aus den Augen zu lassen, wieder in Kampfposition.
Dieses Mal war es Karis der zuerst angriff. Mit einer schnellen Bewegung trat er nach vorn und drehte das Schwert in seiner rechten Hand, bis es auf seiner Vorderhand lag und schlug nach der Elfenprinzessin. Gewandt parierte Arya seinen Schlag und ging zum Gegenangriff über. Doch dieses Mal war sie vorsichtiger. Hatte sie anfangs hauptsächlich auf Karis Schwert geachtet, so war sie durch seinen ersten Überraschungsangriff klüger geworden. Jetzt behielt sie auch Karis freie Hand, sowie seine Beinarbeit im Blick, was ihr deutlich zugutekam, denn es gelang ihr die Angriffe, die Karis simultan zu seinem Schwert mit Händen und Füßen gegen sie führte zu parieren.
Doch umgekehrt war es ähnlich. Obwohl Karis noch nie gegen die Elfe gekämpft hatte, hatte er doch schon mit genügend Vertretern des schönen Volkes die Klingen gekreuzt um gewisse Gemeinsamkeiten in der Kampftechnik ihres Volkes entdeckt zu haben. Zwar variierte der Kampfstil von Person zu Person ein wenig, doch gab es innerhalb des Elfenvolks doch genug Ähnlichkeiten, dass Karis einige der Angriffe seiner Gegnerin vorhersehen konnte.
So scheuchten der Reiter und die Elfe sich eine längere Zeit hin und her, ohne dass einer von ihnen in der Lage gewesen wäre sich einen Vorteil zu verschaffen. Bis Karis die Taktik änderte. Mit einem schnellen Schritt trat er auf Arya zu und täuschte mit seiner freien Hand einen Schlag an. Die Elfe die ein solches Manöver schon von seinen vorherigen Versuchen kannte, machte sich nicht die Mühe auszuweichen und konterte stattdessen mit einem schnellen Schlag gegen Karis rechte Seite, was Sereths Reiter zwang seinen Angriff abzubrechen um ihren Angriff mit dem Schwert zu parieren. Doch gerade als ihre Klingen aufeinander trafen machte Karis etwas Unerwartetes.
Anstatt gegen ihre Klinge zu drücken, ließ er es zu, dass sie ihn einige Schritte zurückdrängte und nutzte ihren Schwung um schnell noch einige Schritte zurück zu machen und etwas Abstand zwischen sie zu bringen. Argwöhnisch musterte Arya ihren Gegner, der vollkommen gelassen einige Schritte von ihr entfernt stand.
Einen Moment besann Karis sich und bemühte sich seinen vom Kampf erhitzten Geist zu beruhigen. Er atmete tief ein und spürte wie ihn eine klärende Kälte durchströmte, bevor er begann mit langsamen fließenden Bewegungen auf die Elfe zuzutreten, wobei er Zwielicht locker in seiner rechten Hand hielt. Seine ganze Haltung strahlte Unbekümmertheit und Sorglosigkeit aus, während er sich Arya näherte, doch sein Geist war auf das äußerste gespannt. Während er sich der Elfenprinzessin näherte, nahm er wahr wie sie misstrauisch ein paar Schritte zurücktrat, wobei sie sein Schwert nicht aus den Augen ließ. Dennoch schritt Karis weiter auf sie zu. Wohl wissend, dass seine Bewegungen auf alle Beteiligten hypnotisch wirkten.
Als er schließlich kurz bevor er Arya erreicht hatte die rechte Hand mit dem Schwert in einer offensichtlichen Geste hob, konnte er sich sicher sein das die Augen aller Zuschauer auf der Klinge lagen, die er langsam anhob. Je näher er damit der Elfe kam desto größer wurde die Spannung die in der Luft lag und als er schließlich in der Reichweite seiner Gegnerin war meinte er schon sie auf der Haut zu spüren. In diesem Moment hob er die rechte Hand mit dem Schwert ein bisschen mehr. Die Augen der Elfenprinzessin folgten wie festgewachsen der Klinge, bis er plötzlich losließ.
Danach geschah alles ganz schnell. Die Augen seiner Gegnerin weiteten sich überrascht und ihr Blick hing wie festgefroren an dem fallenden Schwert. Im selben Moment zog Karis mit einer schnellen aber unauffälligen Bewegung eines seiner Messer aus seinem linken Ärmel und trat nach vorn. Bevor seine überrumpelte Gegnerin reagieren konnte, hielt er ihr die schmale Klinge an die Kehle. „Ich gewinne, denke ich."

Fassungslose Stille bereitete sich über den Übungsplatz aus. Alle Anwesenden, die Elfen eingeschlossen hatte wie gebannt den Fall des Schwertes verfolgt und brauchten einen Moment um zu begreifen was gerade geschehen war.
Dann brach der Jubel los. Die Zuschauer, bestehend aus Menschen, Zwergen und Urgals waren begeistert von dem Kampf, während die Elfen sich wie gewohnt nicht anmerken ließen, was sie dachten, aber Sereths Reiter entging nicht, dass sie sowohl von seinem Kampfstil als auch vom Ergebnis der Prüfung überrascht waren. Karis schmunzelte, als er bemerkte, wie unter den Zuschauern einige Münzen die Besitzer wechselten. Ganz offensichtlich hatten einige der Varden Wetten, ob dieses Kampfes abgeschlossen und wie der Schattenläufer amüsiert aus den bedrückten Mienen der meisten Wettenden schließen konnte, hatten diese gegen ihn gewettet.
Er hatte die Zuschauer so aufmerksam beobachtet, dass er gar nicht bemerkt hatte wie Eragon neben ihn getreten war und zuckte zusammen als der andere Reiter ihn ansprach: „Das war unglaublich. Ich habe gar nicht mitbekommen, wie du dein Messer gezogen hast." Karis schenkte dem jüngeren Reiter ein Grinsen, während er sich bückte um sein Schwert aufzuheben. „Das ist auch der Sinn der Sache.", erklärte er während er sein Schwert zurück in die Scheide steckte. „Diese Technik funktioniert nur, wenn man über zwei Waffen verfügt, von denen die eine deutlich auffälliger ist als die andere." „In einem echten Kampf wärt ihr mit dieser Technik aber ein großes Risiko eingegangen." Bemerkte die Elfe Arya, die unbemerkt zu den beiden Reitern getreten war.
Karis nickte. „Ihr habt Recht. In einer größeren Schlacht wäre es ein Fehler, seine wertvollste Waffe fallen zu lassen. In so einer Situation würde ich diesen Trick auch nicht anwenden." Eine Weile unterhielten die beiden Reiter und die Elfe sich noch über das Für und wider, bevor Eragon entschied, dass er genug von Karis Fähigkeiten im Schwertkampf gesehen hatte um Nasuada einen ausführlichen Bericht liefern zu können.
Danach stellte er dem Schattenläufer die Frage ob er sich auch mit dem Bogen auskennen würde. „Eigentlich nicht.", antwortete Karis verlegen. „Ich bevorzuge eine etwas primitivere Variante des Fernkampfs." Verwirrt blickte Eragon zu Arya, doch auch die Elfenprinzessin konnte ihm nicht erklären, was Sereths Reiter mit seiner Aussage meinte. Doch bevor einer der beiden noch eine Frage stellen konnte, griff Karis an seinen Gürtel. Unter den überraschten Blicken der Elfe und des jüngeren Reiters, begann er mit geübten Griffen eine kleine Tasche, von seinem Gürtel zu lösen und das Seil an dem die Tasche befestigt war abzuwickeln, bis er eine kleine Schleuder in der Hand hielt.
Während Eragon eher neugierig auf die Waffe in Karis Händen blickte, schenkte die Elfenprinzessin dem primitiven Gerät einen ungläubigen Blick, der fast schon an Verachtung grenzte. „Eine Steinschleuder? Damit wollt ihr kämpfen?"
„Natürlich."; antwortete Karis gelassen auf ihre erstaunte Frage. „Sie hat mir in der Vergangenheit gute Dienste geleistet." „ Bei allem Respekt, aber ich bezweifele, dass eure Schleuder eine effektive Waffe, für den Kampf gegen auf Galbatorix Soldaten ist." „Das kommt ganz darauf an, womit ich sie lade, Arya Svit-kona:", entgegnete Karis gut gelaunt. Mit einer geübten Bewegung griff er nach einem der walnussgroßen gläsernen Artefakte, die an seinem Gürtel in einer versteckten Tasche verborgen warenwaren und legte es in seine Schleuder, bevor er begann den Riemen über seinem Kopf kreisen zu lassen.
Überrascht traten Eragon und Arya einige Schritte von ihm zurück, als er mit einer schwungvollen Bewegung die Schleuder nach vorn schlug und die gläserne Kugel in Richtung einer der Holzscheiben katapultierte, die die Varden als Ziel für das Bogenschießen verwendeten. Angespannt verfolgten alle Anwesenden die Flugbahn des geschleuderten Objekts, selbst die Zuschauer, die sich nach dem Schwertkampf zum Gehen gewandt hatten, drehten sich noch einmal um als das Artefakt mit lautem Klirren gegen die Holzscheibe schlug und zersprang.
Ein schwaches blassviolettes Leuchten glomm für einen Moment an der Stelle auf, an der das Artefakt auf die Zielscheibe aufgetroffen war. Innerhalb eines Augenblicks wurde das Licht immer heller und als es seinen Höhepunkt erreicht hatte, ertönte ein splitterndes Geräusch. Mit einem lauten Krachen zerbarst die Scheibe in tausend Splitter. Während einige der Zuschauer aus der Menge, die ein wenig zu nahe an den Wurfscheiben gestanden hatten, überrascht einen Schritt zurück machten, wandte Karis sich mit einem Grinsen wieder an seine Gesprächspartner, die dem Geschehen überrascht zugesehen hatten. „Ich denke, dass diese Waffe durchaus eine effektive Wirkung auf die Soldaten des Imperiums haben dürfte."

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt