44. Die Geschichte des weißen Schattens 3

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Stille breitete sich über den Lagerplatz aus, an dem die drei Drachenreiter und ihre Seelengefährten saßen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Der alte Elf war in Gedanken versunken, die sich hauptsächlich darum drehten wie ein Vater sein eigenes Kind verstoßen konnte, während der jüngere schwarzhaarige Reiter von tiefem Verständnis erfüllt war.
Er hatte eine ähnlich schlimme Erfahrung mit seinem Vater gehabt, wie sie der Schattenläufer erlebt hatte. Zwar hatte sein Vater ihn mehr körperlich verstümmelt, aber wenn er in die Augen des Reiters des weißen Drachen blickte, konnte er erkennen, das diesen die seelische Verletzung, die sein Erzeuger ihm zugefügt hatte, ebenso schmerzte.
Schließlich war es Dorn, der die nachdenkliche Stille durchbrach. „Und wie ist es dann weitergegangen?" Zwar war seiner Stimme deutlich die Neugierde anzuhören, die einem so jungen Drachen nun mal zu eigen war, doch auch ein der Situation angemessener respektvoller Unterton klang darin mit. Anscheinend war sich selbst der jüngste Drache in der Runde bewusst, wie schwer es Karis fiel über diese Erlebnisse zu sprechen.
Kurz blickte Sereths Reiter zu Dorn.
Ein schelmisches Funkeln lag in seinem Blick. „Du bist ziemlich neugierig, was?" Noch bevor sich der rote Drache über diese einfach festgestellte Tatsache ereifern konnte, fuhr Karis mit seiner Geschichte fort. „Ihr wundert euch vermutlich, warum ich damals einfach mit ihm mitgegangen bin. Naja, das ist ein wenig schwierig zu erklären. Ich habe mich damals einfach allein gefühlt und wie ihr anhand des Wunschbildes, das ich euch vorhin gezeigt habe, sehen könnt, war ich völlig apathisch. Ich habe nichts von meiner Umgebung mehr wahrgenommen. Das Leben ist einfach an mir vorbeigezogen. Ich habe nicht mal eine Ahnung, wie ich die Tage auf der Straße überlebt, was ich gegessen oder wo ich geschlafen habe. Erst mit dem Auftauchen, meines ehemaligen Meisters, habe ich wieder Interesse an der Welt bekommen. Seine ganze Erscheinung war so ungewöhnlich, dass sie mich für kurze Zeit aus dem Strudel des Desinteresses und der Teilnahmslosigkeit gezogen hat. Er hat mir die Hand gereicht und ohne auch nur zu fragen, wohin es geht oder was er von mir wollte, bin ich mit ihm mitgegangen."
„Aber wieso?", wollte Murtagh wissen, „Auch wenn du geistig völlig abwesend warst, so hast du doch gesehen, was er ist, oder? Wieso um alles in der Welt bist du mit ihm mitgegangen?" Karis schnaubte bitter. „Um dir die Wahrheit zu sagen, es war mir egal. Ich war damals so geistig abwesend, dass ich einfach nur nicht mehr allein sein wollte und bereitwillig alles tun würde, um wieder so etwas wie zwischenmenschliche Wärme zu erleben."
Mit einem grimmigen Lächeln blickte er zuerst Oromis, dann Murtagh in die Augen. „Aber wie ihr euch sicher denken könnt, war ich mit diesem Bedürfnis, bei Ecros an den Falschen geraten."
Sein grimmiges Lächeln, wurde noch eine Spur dunkler und Murtagh konnte sehen, wie der ältere Reiter mit der rechten Hand den Griff seines Schwertes umklammerte. Dorns Reiter kannte diese Geste. Auch er ergriff manchmal seine Waffe, wenn er eine schmerzhafte Erinnerung erneut durchlebte. Das Gefühl von kaltem Stahl in der Hand, gab einem manchmal den Halt den man benötigte um den Erinnerungen, in denen man hilflos gewesen war, gegenüberzutreten. „Vom ersten Augenblick meiner Ausbildung an, war mir klar, was für einem Monster ich da gefolgt war.", fuhr Sereths Reiter fort.
„Sobald wir die Stadt verlassen hatten, beförderte er uns mittels Magie zu seinem Versteck. Eine verlassene Ruine, am Rand des westlichen Teils von Alagaesia. Zwischen den Hängen des Buckels und dem Woadark-See. Dort angekommen hat er mich erst mal in eine kleine Kammer eingesperrt. Ohne mir ein Wort der Erklärung oder wenigstens eine Kerze zu geben, hat er mich dort einen Tag lang in der Dunkelheit alleingelassen. Als ich dann wieder hinaus durfte, hat er mit meiner Ausbildung begonnen. Er hatte von den Leuten aus Asvaron, von meiner Geschichte gehört, auch weswegen mein Vater mich verstoßen hat, daher war er sich sicher, dass ich der perfekte Kandidat für ihn wäre."
Karis holte noch einmal tief Luft. Als er weitererzählte, blickte er den Reiter des alten Ordens direkt an. „Ecros ist sehr ehrgeizig und machthungrig. Aber er ist auch sehr intelligent. Er hatte mehrmals miterlebt, wie Mitglieder des alten Ordens magische Werke vollbracht hatten, die selbst mittels in Juwelen gespeicherter Energie, nahezu unmöglich waren. Deshalb hat er einen Reiter gefangen genommen und ihn gefoltert, bis er ihm alle Informationen entlockt hatte, die er aus seinem Verstand gewinnen konnte. Dadurch wusste er von den Eldunari. Er hatte es satt, sich vor den Reitern des alten Ordens zu verstecken, aber ihm war auch klar, dass er es nicht allein mit euch aufnehmen konnte.
Wenn die vereinte Macht der Drachen hinter dem alten Orden stand, dann wäre es egal, wie viele Chimären er erschaffen würde um euch anzugreifen, sie würden so oder so verlieren. Deshalb hat er beschlossen euch auf anderem Weg zu bekämpfen. Er wollte ein Heer aufstellen, von Dienern mit magischen Kräften. Da es ihm aber unmöglich war Chimären zu erschaffen, die über die Möglichkeiten verfügen, Zauber zu wirken, hat er nach jungen Menschen gesucht, die über diese Fähigkeiten verfügen und die er nach seinem Bild formen kann. Ich war nur zufällig sein erstes Versuchskaninchen. Wäre ich ein Erfolg geworden, hätte er versucht mehrere wie mich zu erschaffen."
Glaedr schnaubte überrascht auf. „Wie meint ihr das, er hätte versucht mehrere von euch zu erschaffen? Ihr sagtet doch, dass es ihm unmöglich wäre magiefähige Menschen zu kreiren?" Karis Stimme bekam einen spöttischen Unterton, als er dem alten goldenen Drachen antwortete.
„Was glaubt ihr denn? Ich habe euch gerade erzählt, dass ich vor guten 100 Jahren, als Mensch geboren wurde. Selbst wenn man die Veränderungen, die eine solange Verbindung mit einem Drachen mit sich bringt berücksichtigt, sehe ich in euren Augen etwa noch wie ein Mensch aus?" Jetzt stand offene Verwirrung in den Gesichtern, der anderen beiden Reiter, als sowohl Murtagh als auch Oromis diese Frage verneinen mussten.
„Aber wenn du ein Mensch bist, weshalb siehst du dann so aus?", stellte Dorns Reiter, schließlich die naheliegende Frage und auch der Reiter des goldenen Drachen, blickte ihn interessiert an. Karis musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Was jetzt kommen würde, würde ihm Spaß machen. Durch die Verbindung mit seinem Seelengefährten spürte er zwar, dass Sereth seine Idee nicht vollkommen gut hieß, da er etwas besorgt war, wegen der Reaktion des alten Reiters, aber unterschwellig nahm er auch bei seinem weißen Drachen, die diebische Vorfreude auf den Gesichtsausdruck des alten Reiters war. „Nun ja, das könnte daran liegen, dass ich nach meiner eigenen Meinung, inzwischen so etwas wie ein Halbschatten bin."

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt