70. Kaltes Nachbeben

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Eine Zeitlang genossen die beiden Seelengefährten noch die traute Zweisamkeit, bevor die zunehmende Schwäche des weißen Drachen sie zur Landung zwang. Seine Flügelschläge hatten inzwischen in so einem beträchtlichen Maß an Stärke verloren, dass Karis bereits knapp, bevor sie die Varden erreicht hatten, dazu übergegangen war, Sereth Energie aus den Ringen an seinen Hörnern  zu übertragen. „Du hast es wirklich übertrieben.“, schimpfte Karis, während sie über das Feld aus gefrorenen Blumen dahinglitten, das die Wut des Drachen hervorgebracht hatte. 
„Mit diesem Zauber hättest du dich umbringen können! Verdammt noch mal, wenn du noch so jung wie Dorn wärst, hätte dich das umgebracht, du zu groß geratenes Wolkentaucher!“ Obwohl er sich bemühte streng zu klingen kam er nicht umhin auch eine gewisse Erleichterung ob der Tatsache zu verspüren, dass sein Seelengefährte sich wieder soweit beruhigt hatte um seinen Zustand zu bemerken. Es war nicht mehr als ein flüchtiger Unterton, dennoch entging er dem weißen Drachen nicht. Daher ging dieser auch nicht auf die Beleidigung ein. „Was werden wir jetzt wegen der Elfe unternehmen?" 
Grimmig richtete Karis seinen Blick auf die Schuppen direkt vor ihm. Die Kälte die von dem makellosen weißen Glanz auszugehen schien, reflektierte den eiskalten Klang seiner Stimme, als er antwortete: „Ich werde beenden, was ich damals begonnen habe.“ Sereth stieß ein zustimmendes Knurren aus, das jedoch abbrach, als er zwei Silhouetten gegen den blassblauen Himmel erblickte, die sich ihm schnell näherten. Eine rot, wie ein in Blut getauchter Rubin, die Andere blau, wie die Strömung sprudelnder Flüsse. Auch sein Reiter hatte die beiden Drachen bemerkt, die auf sie zuflogen und bemerkte trocken:„Anscheinend hat dein kleiner Ausbruch für mehr Aufregung gesorgt, als wir angenommen hatten.“ „Offensichtlich.“, brummte der Weiße nachdenklich. Das würde einiges an Erklärungen erfordern. 
Und tatsächlich. Kaum, dass Saphira und Dorn in Hörweite waren, spürten die beiden einen sanften Stoß an ihren geistigen Schutzwällen, den sie mühelos als die Geister der beiden Drachen erkennen konnten. Nachdem sie ihre mentale Verteidigung gesenkt hatten, fluteten sie die Bilder aus den Erinnerungen der beiden Jüngeren.  Zunächst ein ruhiger Morgen, an dem Saphira, umringt von der Elfengarde und den beiden Reitern, amüsiert beobachtet, wie ihre Tochter Dorn als Kletterfelsen benutzte. 
Es war ein friedvolles Bild, voll von liebevoller Wärme und Geborgenheit, das abrupt beendet wurde, als eine Welle von Emotionen die kleine Gruppe erreichte. Es war keine lange Verbindung, nur ein kurzer Stich, wie von einem spitzen Stachel, der sich in eine empfindliche Stelle ins Fleisch bohrte. Doch die kochende Wut und der bodenlose Zorn, der darin mitschwang war genug um alle Anwesenden zusammenzucken zu lassen. Illeani hatte erschrocken gefiept und war wie ein blauweißer Blitz von Dorns Rücken und unter die Flügel ihrer Mutter gesaust. 
Ihnen allen war sofort klar gewesen, wessen Gedanken eine so brennende Marke hinterlassen hatten. 
Ohne zu zögern waren die beiden Reiter auf ihre Drachen gesprungen und hatten sich in den Himmel geschwungen. Alle vier waren zu diesem Zeitpunkt nur von dem Gedanken erfüllt gewesen, dass ein Drache nur so wütend reagierte, wenn sein Reiter verletzt worden war und die Sorge einen von ihnen zu verlieren hatte ihre Flügelschläge emporgetrieben. 

Illeani hatten sie bei der ebenso besorgten Elfengarde zurückgelassen, da sie nicht sicher waren was sie erwarten würde. Auf das schlimmste gefasst waren sie auf den Ursprung der gedanklichen Explosion zugeflogen, doch der Anblick des zwar müden, aber ansonsten unverletzten Drachen mit seinem unversehrten Reiter auf dem Rücken, der ihnen auf halbem Weg entgegenflog, nahm ihnen ein wenig den Wind aus den Segeln. Dennoch konnte es Saphira nicht unterlassen, kaum dass sie nahe genug an ihren Nistpartner herangeflogen war, ihn ausführlich zu beschnuppern und jede Schuppe einzeln zu untersuchen. Sie gebärdete sich so besorgt, wie für gewöhnlich nur Eragon gegenüber, wenn dieser einmal mehr seine Nase in Dinge steckte, die die unangenehme Angewohnheit hatten zurückzubeißen.
Nachdem sie sich endlich überzeugt hatte, dass keine der Schuppen ihres größeren Artgenossen auch nur angekratzt war, knurrte sie. „Was ist geschehen? Wir konnten deinen Ausbruch noch im Lager der Varden wahrnehmen. Wir dachten schon, du wärst angegriffen worden.“ „Und was ist das?“, fragte Murtagh der das Eisfeld entdeckt hatte und starrte mit großen Augen auf die kristallenen Blumen, die dort aus dem Boden sprossen. „Entschuldige meine Schöne. Ich wollte dichnicht aufregen.“ Obwohl er nur an Saphira gewandt sprach, konnten auch die anderen eine stumme Entschuldigung  wahrnehmen, die seine Worte begleitete. 
„Sereth musste eine kleine Entdeckung, die ich während meiner Gefangenschaft in Belatona  gemacht habe verarbeiten und hat ein recht ausdrucksstarkes Mittel benutzt um seinen Emotionen Luft zu machen.“, erklärte Karis indes den anderen Reitern das Feld aus Eisblumen, über dem sie gerade schwebten. 
„Welche Entdeckung?“, fragte Murtagh vorsichtig, auch wenn die Gefühle, die er vor kurzem empfangen hatte, ihn zweifeln ließen, ob er wirklich eine Antwort haben wollte. Mit einem knurrenden Schnauben, beschleunigte Sereth seine Flügelschläge und verließ den Luftraum über den Eisblumen. „Jemand, den wir seit 70 Jahren für tot hielten, ist noch am Leben.“Seine Flügelschläge bebten vor unterdrücktem Zorn und verboten seinen Schülern weitere Fragen. Nicht so jedoch seiner Nistpartnerin. 
„Und wer?“
Seine einzige Antwort war ein Blick aus Augen, die wie zersplitterte Amethyste glommen. Ein Blick, der die Herzen von Kriegern gefrieren ließ und der in der Vergangenheit zahlreiche feindlich gesinnte Drachen das Weite hatte suchen lassen. Selbst größere Artgenossen hatten ihm kaum etwas entgegenzusetzen gehabt. Saphira jedoch, schnaubte nur unwirsch und erwiderte seinen Blick, aus glühenden, blauen Augen. Die Kälte schmolz unter ihrem unnachgiebigen Strahlen dahin und ehe er sich versah, wandte er seinen Blick ab. Er konnte nicht anders. Ihr Blick hatte von Zuneigung und Verständnis gesprochen, von Liebe und einer Zukunft, der er sich zuwenden sollte. 
Ohne ein einziges Wort zu ihm zu sagen, hatte sie ebenso leicht wie sein Seelengefährte den Stachel aus seinen Erinnerungen gelöst und ihn wie ein Stück Eis in den Strahlen ihrer himmelblauen Augen geschmolzen.
Und ehe er darüber nachdenken konnte, lösten die warmen Strahlen seine Zunge und ein Schwall aus Erinnerungen strömte aus seinem Geist in die Köpfe seiner beiden Artgenossen und ihrer Reiter. Obwohl Karis etwas unzufrieden ob der Tatsache war, dass Sereth den Jüngeren einfach so ohne weiteres einen detaillierten Bericht über seine damalige Schande gab, kam er nicht umhin der saphirblauen Drachendame, die mit zunehmendem Knurren den Gedankenstrom sondierte, einen  dankbaren Blick zuzuwerfen. Sie hatte geschafft, was ihm seit einem Jahrhundert verwehrt gewesen war. Sie hatte das Eis in Sereths Herz, das seinem Feuer so ähnlich war, geschmolzen und ihm geholfen einen Weg zu finden, mit der Wärme des Lebens umzugehen. Ein größeres Geschenk hatte keiner der beiden Seelengefährten je erhalten. 
Ein lautes Knurren weckte ihn aus seinen Gedanken. Durch einen schnellen Blick in den Gedankenstrom seines Seelengefährten, realisierte er, dass die jüngeren Drache – Reitergespanne, gerade an der Stelle waren, als Nyria ihm einen Dolch in den Rücken stieß und dementsprechend waren ihre Reaktionen. 
Besonders Dorn und Saphira, die wussten wie es sich für einen Reiterdrachen anfühlte, wenn der eigene Seelengefährte verletzt wurde, knurrten vernehmlich. 
„So ein feiges und ekelhaftes Verhalten. Selbst ein Razac wäre verglichen mit ihr ein wahrer Ausbund an Edelmut und Ehre.“ Die Stimme des jungen Roten bebte vor unterdrücktem Zorn und seine Schwanzspitze zuckte angriffslustig. Vermutlich erinnerte der Anblick des verletzten Schattenläufers ihn an die Zeit in Uru baen, als sein Reiter gefoltert worden war und er nichts hatte unternehmen können, um ihm zu helfen. Saphira knurrte zustimmend. „Ganz genau. Erst die große Liebe vorspielen, aber sobald er dir einigermaßen vertraut ihm den Dolch in den Rücken stoßen. Das ist widerwärtig.“ 
Auch wenn Karis dankbar für ihr Mitgefühl war, hatte er für den heutigen Tag genug von Gefühlsduseleien. Er hatte gerade einen emotionalen Sturzflug mit seinem Drachen hinter sich und kein großes Interesse daran, das sobald zu wiederholen. Daher meinte er trocken: „Und genau diese Elfe steht jetzt in Ecros Diensten. Sie war es übrigens auch, die deine Eier gestohlen hat Saphira.“ 
Dieser Satz hatte die gewünschte Wirkung und lenkte die Drachenmutter von der traurigen Hintergrundgeschichte des Schattenläufers ab. 
Nachdem die blaue Drachendame sich ausreichend abreagiert hatte, was so aussah, dass sie das Eisblumenfeld, welches ihr Nistpartner gerade eben noch geschaffen hatte, zu gläsernen Klümpchen zerschmolz, begaben sich die drei Reiter und ihre Drachen zurück zu den Varden. Der Flug war relativ ereignislos, wenn man von den mitleidigen Blicken, die Saphiras Reiter dem Schattenläufer immer wieder zuwarf und die diesem zunehmend auf die Nerven gingen, einmal absah. Schließlich, als die Zelte der Varden den Boden unter ihnen bedeckten und sie auf ihren Lagerplatz zusteuerten, der immer noch zwischen den drei Felsen lag, an denen die beiden jüngeren Reiter schon alleine untergekommen waren, knurrte Karis: „Würdest du bitte endlich aufhören, mich wie ein trauriger Welpe anzustarren? Ich bin über diese Sache hinweg und diese feige Hexe ist inzwischen nicht mehr für mich, als ein Dunkler Fleck in meiner Lebensgeschichte, den ich schon bald wegwischen werde.“ Die beiläufige Kälte, mit der der Schattenläufer das Wort „wegwischen“ aussprach, brachte den Schattentöter tatsächlich dazu den Blick abzuwenden und als sie den Boden erreichten, hütete er sich davor ein Wort darüber zu verlieren, was er erfahren hatte. 
Doch er kam nicht umhin die Distanz wahrzunehmen, die der ältere Reiter zu den Elfen einhielt. 
Fast schien es, als ob das Treffen mit seiner einstigen Geliebten, einige Narben in ihm wieder aufgerissen hatte. Das noch zarte Band des Vertrauens, dass er in den letzten Wochen zu der Elfengarde geknüpft hatte, schien dadurch wieder etwas angegriffen worden zu sein. 
Karis und Sereth stellten indes fest, dass die vor zornig ausschlagenden Gedanken des weißen Riesen für bedeutendere Unannehmlichkeiten gesorgt hatten, als sie angenommen hatten. 
Wie sie von Bloedhgarm erfuhren, nachdem er sie erleichtert begrüßt hatte, denn auch er war ähnlich den jüngeren Reitern vom Schlimmsten ausgegangen, waren die zornigen Gedanken des weißen Drachen zwar nicht stark genug gewesen  um nicht magiefähige Mitglieder der Varden zu beeinflussen, aber nahezu alle Magiefähigen unter ihnen hatte die dunklen Wolken seines Geistes gespürt. Auch das junge Drachenmädchen Illeani hatte sie empfangen und als ob sie wüsste, wie nahe diese Neuigkeiten ihrem Vater gingen, schmiegte sie sich jetzt tröstend an seine weißen Schuppen. Bedauerlicherweise waren von den menschlichen und zwergischen Magiern, jedoch nicht alle stark genug gewesen um einer derartigen Gefühlslast standzuhalten. 
Der Wolfkatzenelf berichtete von mehr als fünf Mitgliedern der Du Vrangr Gata, die zwar stark genug gewesen waren seine Gefühle zu empfangen, aber anders als die Elfen nicht in der Lage gewesen waren diese zu verkraften. Um ihren angegriffenen Geist zu schützen waren sie in einen traumlosen Schlaf gefallen, aus dem sie bis jetzt noch immer nicht erwacht waren. Und das waren nur die Magier von denen sie wussten. Keiner von ihnen zweifelte daran, dass es noch mehrere Opfer gab, die man noch nicht entdeckt hatte. 
Sereth stieß ein schuldbewusstes Knurren aus. Das hatte er nicht gewollt. Zwar hielt er nicht viel von den sogenannten Magiebegabten der Varden, aber es war ihm trotzdem unangenehm durch seinen Verlust an Selbstkontrolle, Unschuldige verletzt zu haben. Daher beeilte sich Bloedhgarm, der sein Knurren richtig interpretierte zu versichern: „Macht euch keine Sorge, Frostschwinge. Invidia und Benden sind bei ihnen. Sie sind zuversichtlich, dass ihre angegriffener Zustand nur vorübergehend sein wird.“ 
Dankbar blickte sein Reiter den Wolfkatzenelf an, doch bevor er etwas sagen konnte, erregte ein Aufruhr aus der Richtung der Varden seine Aufmerksamkeit. Ein Tross, bestehend aus König Orrin, einer Schar Leibwachen und dem Führungsstab der Varden bewegte sich auf die kleine Gruppe zu. 
Der Schattenläufer runzelte die Stirn. Die Miene des Königs kündete von kommendem Unheil und Sereth war bei weitem noch nicht wieder ruhig genug um den ignoranten Herrscher Surdas zu ertragen. Zwar hatten er und Saphira es geschafft, die aufgebrachten Wolken aus seinem Verstand zu tilgen und auch der schnurrende Körper seiner Tochter, die sie wie eine kleine Katze an seine Krallen schmiegte, zauberte einen zunehmend sonnigen Glanz in seine Seele, aber noch waren die Narben auf seiner Seele zu frisch. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt