74. Schatten bei Nacht

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Elegant schlängelte sich Brionna durch die gräsernen Zelte ihres Volkes. Die Nacht war dunkel und auch wenn in regelmäßigen Abständen Lagerfeuer das Heerlager erhellten, war die Finsternis zwischen den Zelten doch manchmal selbst für elfische Augen nur schwer zu durchdringen. Bereits zwei Mal wäre die junge Elfe auf ihrem Weg beinahe über eine der Schnüre gefallen, mit denen ihre Artgenossen die Zeltwände befestigten. Lediglich ihren elfischen Reflexen verdankte sie es, dass sie noch nicht auf die Nase gefallen war. Doch sie konnte nichts dagegen tun. 
Sie war nun einmal aufgeregt. 
Auch wenn sie äußerlich die kultivierte, emotionslose Maske ihres Volkes auf dem Gesicht trug, fühlte sie wie in ihrem Inneren mit jedem Schritt ihre Vorfreude wuchs. Sie war auf dem Weg zu ihrem Gefährten, den sie seit seinem Aufbruch zu dem Patrouillenflug nicht mehr gesehen hatte. Das war vor knapp zwei Tagen gewesen und er fehlte ihr. Kurz musste sie innerlich über sich den Kopf schütteln. Dass es mit ihr einmal so weit kommen würde. Immerhin war es jetzt erst knapp einen Monat her, dass sie sich entschieden hatten Gefährten zu sein und sie verbrachten beinahe jeden freien Moment miteinander. 
Da waren zwei Tage wirklich nicht gerade lang. 
Dennoch konnte sie nichts gegen das warme Gefühl in ihrem Bauch unternehmen, das ihr befahl schneller zu gehen. Mit einem Seufzen, kämpfte sie es nieder. So gerne sie jetzt auch ihre Schritte beschleunigen würde, konnte sie das nicht. Es würde Aufsehen erregen, wenn sie ohne jeden Grund durch das Lager stürmen würde und wer konnte schon sagen, ob die Nachricht von ihrem unangebrachten Verhalten nicht bis an die Ohren ihres Vaters gelangen würde. 
Sie kam gerade von einem gemeinsamen Abendessen mit dem Oberhaupt ihrer Familie, da Sepharien es für die Mitglieder ihrer Familie zu einer Tradition gemacht hatte, während dieses Feldzuges zusammen  zu speisen. Und zum wiederholten Mal, hatte er sich dabei über den Schattenläufer ausgelassen. 
Zwar war er zu diszipliniert um sich eine emotionale Reaktion gegenüber dem Halbschatten anmerken zu lassen, doch seine Abneigung war dennoch für alle in seinem Pavillon anwesenden Personen spürbar gewesen. 
Während der Rest ihrer Familie seinen Ausbrüchen nur mit der gelinden Neugier von höflichen aber unbeteiligten Gästen gelauscht hatte, hatte Brionna sich beherrschen müssen um bei den höflichen aber kalten Hassreden ihres Vaters nicht laut das Wort zu ergreifen. Sowohl um ihren Gefährten vor den vielen ungerechten und meist auch unfairen Bemerkungen in Schutz zu nehmen, als auch um ihrem Vater endlich einmal ihre Meinung mitzuteilen. 
Aber letztendlich hatte sie es doch unterlassen. Wie Karis gesagt hatte, war jetzt der denkbar schlechteste Zeitpunkt um eine Familienfehde ins Leben zu rufen. Daher hatte sie sich zurückgehalten, sich auf ihren mit Brombeeren gespickten Salat konzentriert und sich bemüht ihren Vater auszublenden. Das war ihr auch ganz gut gelungen. Lediglich zum Ende der Unterhaltung hin war sie noch einmal in Versuchung geraten sich einzumischen. Als nämlich eine ältere Cousine von ihr, die innerhalb des Heeres den Rang einer Offizierin innehatte, in einer Gesprächspause bemerkte, dass trotz der vielen Fehler die der Schattenläufer laut dem Familienoberhaupt besaß, er aber definitiv gut aussehen würde. Seine schwarzen Augen und mysteriöse Ausstrahlung verliehen ihm einen wilden Charme, der selbst im Volk der Elfen einige verträumt seufzen ließen. 
Brionna hatte sich fast an einer Beere verschluckt, als der Kommentar, so unpassend er auch gewesen war, ihren Vater zum Schweigen gebracht hatte. Sein Gesichtsausdruck war wirklich zu komisch gewesen. Auch jetzt schlich sich ein leichtes Schmunzeln auf ihre Züge, als sie an seine Reaktion dachte. Doch noch während sie leichtfüßig einer Zeltschnur, die der Befestigung einer der Wände diente auswich, verrutschte das Lächeln auf ihren Lippen. Die Bemerkung hatte auch einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen. 
Denn danach, hatte sich das Gespräch den vielen Familien zugewandt, die dem Schattenläufer, nicht zuletzt auch aufgrund seiner Rettung des trauernden Weisen in der Schlacht über Gil ead, inzwischen wohlwollend gegenüber standen. Brionnas Cousine Silanna hatte angemerkt, dass nicht wenige von ihnen mit dem Gedanken spielten dem Reiter des weißen Drachen eine Aufnahme in eines ihrer Häuser anzubieten. Das würde zur Folge haben, dass Karis unter dem Schutz des Elfenvolkes stand und als einer der ihren galt. Zudem würde es den Einfluss eben dieser Familie in dem neuen Orden, der sich nach Galbatorix Tod bilden würde erheblich steigern. 
Das war zumindest nach ihrer Meinung, einer der Hauptgründe der Beteiligten. Das war zwar selbst zur Zeit des alten Ordens nur selten einem Außenstehenden widerfahren, aber es hatte dennoch eine Handvoll von menschlichen Reitern gegeben, denen diese Ehre zu Teil geworden war. Daher lag diese Vermutung durchaus im Bereich des Möglichen. 
Brionna hatte ihre Zweifel an den Gründen, die ihre Cousine für diese Absichten der anderen Adelshäuser vermutete. 
Sie kannte inzwischen die Hintergrundgeschichte ihres Gefährten und auch die Rolle, die ihr Volk damals bei der Jagd auf ihn gespielt hatte, ebenso wie seine Auseinandersetzung mit der abtrünnigen Elfe Nyria. Daher waren ihrer Meinung auch Schuldgefühle  ein nicht zu unterschätzender Bestandteil dieser Idee. 
Außerdem versuchten sie vermutlich, wenn nach dem Krieg die Wahrheit über ihre Fehler offenbart wurde, diesen Umstand zu nutzen um klar zu stellen, dass der Schattenläufer keine Abneigung ihrem Volk gegenüber hegte. Das würde dem, durch diese Offenbarung erschütterten, Selbstwertgefühl des Elfenvolkes, wieder auf die Beine helfen und zudem ihre Verbindung den Reitern gegenüber stärken. 
Immerhin konnte in dem noch sehr keinen neuen Orden, bereits ein einzelner Drachenreiter der ihrem Volk gegenüber feindselig eingestellt war zu einem beträchtlichen politischen Problem werden. Aber ebenso würde ein oder mehrere Reiter, die eine der Adelsfamilien zu einem Mitglied ihres Hauses zählen konnten, ihr Ansehen deutlich steigern.  
Brionna wusste um die Tücken der Politik. 
Sie war als Tochter eines angesehen Adligen ausführlich in diesem Bereich unterwiesen worden. Daher hatte sie mit keinem dieser Ziele ein größeres Problem. Ihr war völlig klar, dass diese Ziele noch einigermaßen harmlos waren und die Beteiligten immerhin nur das Beste für ihr Volk wollten. Es widerstrebte ihr zwar ein wenig, dass einige der von ihnen ihren Gefährten als Spielball ihrer politischen Intrigen benutzen wollten, aber die positiven Aspekte die eine solche Verbindung mit sich gebracht hätte waren immerhin auch nicht zu verachten. Wenn er dem zustimmte, stünde er offen unter dem Schutz des Elfenvolkes und je nachdem welcher Familie er sich anschloss konnte er es zu Rang und Namen bringen, die selbst ihren Vater noch übertrafen. 
Das würde ihm Anerkennung, Freundschaft und eine respektierte Stellung innerhalb der Gesellschaft verschaffen. 
Daher wäre das vermutlich eine gute Sache. Sie hatte keinen logischen Grund das abzulehnen. Sie wurde kurz aus ihren Gedanken gerissen, als in einiger Entfernung ein Elfenross ein schrilles Wiehern ausstieß. Da die intelligenten Tiere häufiger Feinde vor ihren Reitern zu erkennen vermochten, blieb sie neben einem verlassenen Feuer stehen und spitzte die Ohren. Für den Fall, dass das Wiehern eine Warnung ob eines anstehenden Angriffs war. 
Die Asche glühte noch in einem schwachen Rot und eine dünne Rauchfahne schlängelte sich von dem toten Holz empor. Aber nachdem auch nach wenigen Augenblicken keine Bestätigung eines Angriffs ertönte, setzte sie mit einem Schulterzucken ihren Weg fort. 
Doch inzwischen war das Lächeln vollkommen von ihren Lippen gewichen. Es war für ihren Gefährten zwar vielleicht wirklich das Beste, wenn er das Angebot eines der Häuser annahm, dennoch kam sie nicht umhin sich zu wünschen, dass er es dennoch nicht tat. Sie wusste selbst nicht wieso sie so vehement dagegen war. Doch ein brennendes Gefühl in ihrer Magengegend beharrte darauf, dass es ihr gehörig missfiel, sollte er ein solches Angebot annehmen. 
Minutenlang sinnierte sie über die möglichen Folgen einer solchen Aufnahme nach, bis es ihr schließlich wie Schuppen von den Augen fiel. Es gab einen simplen Grund weshalb sie gegen seinen Aufnahme in die Adelskreise war. 
Wie ihre Cousine festgestellt hatte, gab es schon jetzt eine gewisse Anzahl an weiblichen Elfen, die festgestellt hatten, dass der Schattenläufer eine durchaus verlockende Partie wäre und wenn er erst einmal ein Mitglied des elfischen Adelskreises wäre, würde ihn das nur für noch mehr Mitglieder der edlen Familien attraktiver machen. Der Gedanke, dass diese Frauen sich zu ihrem Gefährten hingezogen fühlen könnten, gefiel ihr überhaupt nicht. Vor allem, da er und sie sich entschlossen hatten ihre Beziehung vorerst geheim zu halten und es deshalb für viele der jüngeren Elfen keinen Grund gab sich zurückzuhalten, was Verführungsversuche anging. 
Zwar fanden diese in ihrem Volk wesentlich subtiler und zurückhaltender statt, als zum Beispiel bei den Menschen, aber es gab sie dennoch. Der Gedanke wie eine bildhübsche Elfe dem Schattenläufer schöne Augen machte, tat weh. Doch schon im nächsten Moment rief sie sich zur Ordnung. 
So durfte sie nicht denken. Ihr Gefährte liebte sie, das wusste sie auch wenn weder er noch sie diese Worte bis jetzt über ihre Lippen gebracht hatten. Er würde nie etwas mit einer dahergelaufenen Elfe anfangen. Sereth hatte ihr einmal im Vertrauen erzählt, wie viele Frauen bei den Varden versucht hatten ihn zu verführen und er hatte keine von ihnen auch nur eines Blickes gewürdigt. Und bei den Elfen war es noch unwahrscheinlicher, dass er sich dort würde um den kleinen Finger wickeln lassen. 
Von diesen Gedanken beruhigt, setzte sie ihren Weg fort. Inzwischen konnte sie schon hinter dem äußersten Rand des Lagers die weißen Schuppen des mächtigen Riesen erkennen, die in dem Licht glitzerten, das von den Lagerfeuern der Elfen auf sie fiel. Vor ihm an seine mächtige Flanke gelehnt saß eine dunkle Gestalt, die sie aufgrund der Entfernung nicht erkennen konnte, aber die selbstverständliche Nähe zu dem Drachen, ließ nur eine Schlussfolgerung zu. Ihr Herzschlag wurde wie von selbst ein wenig schneller, als sie der Gestalt ihres Gefährten näher kam. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt