84. Elfenklinge

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„Woher wusstest du das?“ Amüsiert beobachtete der rothaarige Schattenelf, den König Alagaesias, wie er vor den Gitterstäben seiner Behausung auf und ab lief. Sein Gesicht war puterrot, seine Augen waren zu Schlitzen verengt und selbst aus seinem Geist, den der König für gewöhnlich durch eiserne Mauern von der Außenwelt abschirmte, strömte in diesem Moment eine Mischung aus Mordlust und Fassungslosigkeit. Ecros lächelte. „Wovon genau sprecht ihr, Hoheit?“ Bebend vor Wut umfasste Galbatorix die Gitterstäbe mit beiden Händen. „Ich habe gerade den Ausgang der Schlacht in Dras Leona mittels der Traumsicht beobachtet. Meine Lethrblaka sind gefallen und auch wenn die Zitadelle noch gesichert ist, mache ich mir keine Illusionen. Ohne ihre Götter sind die Priester den Reitern nicht ansatzweise ebenbürtig. Also, woher wusstet ihr, dass die Reiter meine Lethrblaka so schnell bezwingen würden?“ 
Der gefangene Schattenelf ließ sich Zeit mit der Antwort. Die Anspannung in der Haltung seines Gegenübers genießend, erhob er sich und trat nun ebenfalls an die Grenze seiner Behausung. „Woher wusste ich es wohl?“, erwiderte er spöttisch. „Ich habe den Schattenläufer gut 100 Jahre gejagt, bekämpft und gequält. Wenn er wirklich durch so einen windigen Trick, wie der den ihr in Dras Leona angewandt habt zu bezwingen gewesen wäre, hätte ich ihn bereits vor über 80 Jahren zur Strecke gebracht.“ Abrupt drehte er dem König wieder den Rücken zu und trat zurück in die Mitte seiner Zelle. Bei jedem seiner Schritte raschelte und schwappte es unheilvoll und irritiert blickte Galbatorix zum ersten Mal auf den Boden des Kerkers. 
Er musste ein Würgen unterdrücken, als er die zahlreichen toten Ratten entdeckte, die zu den Füßen seines Gefangenen lagen. Die kleinen Nagetiere waren in den Verließen wahrlich kein ungewohnter Anblick, hatten sie doch große Freude daran sich am Fleisch der Gefangenen zu laben, die zu schwach waren um sich zu wehren. Doch in der Zelle des Schattenelfen hatte das Ungeziefer klar den Kürzeren gezogen. Zu dutzenden lagen sie auf dem blanken Stein, in Fetzen gerissen, mit aus dem Bauch baumelnden Eingeweiden und verdrehten Gliedmaßen lagen sie in ihrem eigenen Blut. Selbst für den König der für so viel Leid und Folterqualen verantwortlich war und  die Schmerzensschrei seiner Gefangenen noch immer genossen hatte, war dieses aus seiner Sicht völlig sinnlose Blutbad ein widerwärtiger Anblick. 
Der Schattenelf dagegen beachtete sie gar nicht. Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen maß er den König über seine Schulter mit einem Blick, den dieser nicht deuten konnte. „Ihr habt eure Feinde unterschätzt, Galbatorix.“, stellte der Rothaarige fest. „Ihr habt euch ganz auf euren Trick mit den Lethrblaka verlassen und jetzt habt ihr ein Problem. So fern sind die Elfen euch nicht mehr, ebenso wenig wie die Varden. Eure Streitmacht steht zwar bereits, aber selbst wenn ihr jetzt losmarschiert um euch eines Feindes anzunehmen, wäre es für den anderen Gegner absolut kein Problem euch in den Rücken zu fallen.“ 
Die Stimme des Schattenelfen wurde beschwörend und eindringlich, als er fortfuhr. Düstere Schatten schienen sich seinen Worten folgend in der kleinen Zelle zu regen nur schwach gebändigt von dem Licht der Fackel, die hinter dem König flackerte und ein wenig Licht in die Dunkelheit warf. 
„Ihr steht mit dem Rücken zur Wand mein König und die Schlinge zieht sich immer enger.“ Hypnotisch wiegte Ecros sich in dem kleinen Raum hin und her, seine Stimme noch immer sanft und eindringlich, während er dem Herrscher Alagaesias mit honigsüßen Worten die Aussichtslosigkeit seiner Lage verdeutlichte. Der Drachenmörder klebte an den Lippen des Schattenelfen. Dessen Worte tropften ihm mit der Geschmeidigkeit einer Schlange Gift ins Ohr, vernebelten seinen Geist und tränkten seine Gedanken mit dem Glauben, dass das was der Schattenelf sagte richtig war. Seine geistige Kontrolle normalerweise eisern geschützt und zielgerichtet, jetzt aber vom ständigen Scheitern seiner Pläne erschüttert, gerieten ins Wanken. Ziellosigkeit breitete sich in ihm aus und erschwerte es ihm eigene Entscheidungen zu treffen. 
Und als Ecros ihm schließlich mit einer Stimme so sanft wie ein Windhauch eine Möglichkeit vorschlug, wie er den Krieg doch noch zu seinen Gunsten wenden konnte, verschwanden alle Zweifel aus seinen Gedanken. Mit zitternden Händen schloss er die Kerkertür auf, die seinen Gefangenen ohnehin nicht hätte aufhalten können und trat einen Schritt zurück. Der Schattenelf stolzierte aus der Zelle, hinter ihm zuckten schwach die ersten Körper der zerfledderten Ratten und Mäuse mit einem hämischen Grinsen rieb er sich die Hände, während sich die ersten Chimären unbemerkt von Galbatorix in seinem Schatten erhoben. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt