Grummelnd schlug der Schattenläufer die Augen auf. Sein ganzer Körper fühlte sich an wie ein einziger blauer Fleck und sein Schädel dröhnte, als hätte er beim Hörnerstoßen gegen einen Kull verloren und außerdem konnte er keinen Boden unter seinen Füßen spüren. Doch als Karis sich einmal umsah, wurden seine körperlichen Empfindungen schlagartig in den Hintergrund gedrängt. Er befand sich in einem kleinen aber merkwürdig hohen Raum. Die Wände waren aus tiefgrauem, fast schwarzem Gestein und seine Hände waren mit massiven silbergrauen Ketten gefesselt, die an der Decke festgebunden waren. Daran aufgehängt schwebte er ca. Eineinhalb Meter über dem Boden. Zudem stellte er fest, als er einmal an sich herunter sah, dass sowohl sein Oberkörper, als auch seine Füße unbekleidet waren. Lediglich seine Beinkleider hatte man ihm gelassen.
Eine kluge Vorsichtsmaßnahme wie er zähneknirschend zugeben musste. Sowohl in seinem Mantel, als auch in seinen Stiefelen waren Hilfsmittel verborgen, die ihm ein Entkommen deutlich vereinfacht hätten. Zwar war das normalerweise auch mit seiner Hose der Fall, doch wie er durch eine beiläufige Bewegung seiner Hüfte feststellte, hatte der Schattenelf, der ihn zweifellos gefangengenommen hatte, die Kampfnadeln, mit denen es ihm ein Leichtes gewesen wäre, die Schlösser seiner Ketten zu knacken und die normalerweise an seinem Oberschenkel befestigt waren, entfernt. Missmutig musste er sich von dieser Hoffnung verabschieden.
Das Ganze kam ihm sehr bekannt vor. Als er noch der Schüler des Schattenelfen gewesen war, hatte er sich oft in dieser Position befunden. Mal, wenn er seinen damaligen Meister enttäuscht hatte, mal wenn dieser nur seine Launen an seinem Schüler hatte auslassen wollen und manchmal zu Versuchszwecken, bezüglich der Widerstandskraft des Halbschattens. Sein offen gelegter Oberkörper war ein Zeugnis dieser Zeit. Die zahlreichen Narben, die sich einem Spinnennetz gleich über seine Brust und seine Oberarme zogen, schimmerten in dem Licht der zwei Fackeln, die an den ihm gegenüberliegenden Seiten des Verlieses, angebracht waren.
Das Knirschen einer Tür riss den Drachenreiter aus seinen Erinnerungen. Der plötzliche Lichteinfall aus der rechteckigen Öffnung, die sich direkt vor ihm auftat, zwang ihn dazu kurz geblendet die Augen abzuwenden. Doch als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten und er sehen konnte, wer mit einem gehässigen Grinsen in die Zelle getreten war, wünschte er sich fast, er könnte immer noch nicht sehen.
Triumphierend blickte Ecros auf seinen gefangenen Feind, der in Ketten gelegt vor ihm von der Decke hing. Seine Kleidung war wie seit jeher in schwarz gehalten. Die einzigen Gemeinsamkeit, die Meister und Schüler teilten. Doch zusätzlich zu seinem allgegenwärtigen mit Gift präparierten Schwert, trug er jetzt zusätzlich eine Lanze in der rechten Hand. Die Spitze der Waffe war mit zahlreichen Widerhaken besetzt. Ein giftgrüner Schimmer ging von ihr aus, der den Schattenläufer sofort in ihren Bann zog. Selbst ohne, dass er sie magisch untersuchte, war ihm sofort klar, dass diese Waffe gefährlich war, denn ihre bloße Präsenz strahlte eine Mordlust aus die ihn, trotz seiner langjährigen Erfahrungen mit Tötungswerkzeugen, schaudern ließ.
Der Anblick nahm ihn so sehr gefangen, dass ihn erst die Gestalt, die hinter Ecros den Raum betrat, aus der Betrachtung riss. Sie trug einen langen graublauen Umhang, mit einer Kapuze, der ihr Gesicht verbarg und auch ihre körperlichen Konturen konnte er darunter nicht erkennen. Dennoch überraschte ihre Anwesenheit ihn. In der Vergangenheit hatte Ecros, bei ihren privaten Stunden, wie der Schattenelf seine Lieblingsbeschäftigung, die Folter oft so nett umschrieben hatte, noch nie jemand anderen geduldet. Selbst seine Chimären, von denen Karis gerade noch zwei auf der anderen Seite der Tür erkennen konnte, bevor die vermummte Gestalt diese schloss, waren nie anwesend gewesen.
„Das weckt Erinnerungen, was?"
Mit diabolischem Grinsen trat der Schattenelf auf den gefesselten Drachenreiter zu. „Ja, wie in der guten alten Zeit?" Karis Stimme tropfte vor Sarkasmus, während er das Grinsen seines alten Lehrmeisters spöttisch erwiderte. Was diesen jedoch nur zu erheitern schien. „Immer noch so temperamentvoll wie eh und je. Deine Zeit bei den Varden hat dich anscheinend nicht weich werden lassen." Ungeniert ließ der Schattenelf den Blick über die feinen Narben gleiten, die den Körper seines ehemaligen Schülers, wie Pinselstriche auf einer Leinwand, zierten.
Karis konnte förmlich die Erregung seines Gegenübers spüren, als dieser sich an die Schmerzen erinnerte, die das Gespinst verursacht hatte, als er seinen Schüler damit malträtiert hatte. Ebenso wie die Begierde, seiner Arbeit noch ein paar Striche hinzuzufügen.
Doch er hielt sich zurück.
Stattdessen winkte er der vermummten Gestalt hinter ihm zu, welche ihm daraufhin einen einfachen Leinenbeutel reichte. „Deine geflügelte Echse dagegen, scheint sich relativ schnell an euer neues Leben gewöhnt zu haben. Schön für ihn." Mit geschickten Fingern löste Ecros die Kordel, die den Beutel verschloss.
„Aber leider", fügte er mit gehässiger Stimme hinzu, „sollte man sich in unseren Leben nicht einer solche Schwäche hingeben."
Strahlend blaue Lichtreflexe tanzten auf dem Gesicht des Schattenläufers, als das Licht der Fackeln auf die blau-weiß schimmernde Oberfläche des Dracheneis traf. Wie ein dunkelblauer Saphir, dessen Inneres ein gleißendes Licht durchflutete. Das zweite besaß ein nicht weniger ansprechendes Äußeres. Strahlendes Weiß, in seiner reinsten Farbe. Keine Unterbrechung, oder Schattierung unterbrach die makellose Oberfläche, sodass es schwer war die Konturen dieses Kleinods überhaupt zu erkennen. Sie waren einfach wunderschön. Mit gehässigem Grinsen holte der Schattenelf das Ei ganz hervor und legte es zusammen mit dem anderen in eine Ecke des Raumes. Gerade soweit von seinem ehemaligen Schüler entfernt, dass dieser sich selbst mit straff gespannten Ketten nicht soweit dehnen konnte, dass er sie erreichte.
Offenbar hatte Ecros vor die Eier bei ihm zu belassen. „Da bin ich anderer Meinung. Ich finde, gerade, da wir durch unser ewiges Katz- und Mausspiel eine Menge erlitten haben, hat er sich das Recht verdient glücklich zu sein." Der Schattenelf stieß ein ungläubiges Lachen aus. Geschmeidig trat er auf den von Ketten baumelnden Reiter zu und obwohl er aufgrund der Höhe, in der sein Gegenüber hing, den Kopf in den Nacken legen musste, schaffte er es auf den Schattenläufer herabzublicken. „Und was hat ihm dieser kurze Moment des Glücks gebracht?" Mit einer ausschweifenden Handbewegung, die wohl die Gesamtsituation umfassen sollte, drehte sich Ecros einmal um die eigene Achse. „Sein Reiter ist ebenso in meiner Gewalt wie seine Küken und das alles nur, weil er sich seinem Wunsch nach Gemeinsamkeit und Nähe hingegeben hat. Willst du mir wirklich sagen, dass das keine Schwäche war?" Nachdenklich wiegte Karis den Kopf hin und her, was ein leises Kettenrasseln zur Folge hatte.
„Das kommt darauf an, wie man Schwäche definiert?" Ernst ließ er seinen Blick für einen Moment auf seinem alten Lehrmeister ruhen, bevor er weiter zu den beiden Dracheneiern wanderte. „Ich bin der Meinung, dass die Momente des Glücks, die er mit Schimmerschuppe erleben durfte, diesen kurzen Moment des Schmerzes mehr als wettmachen." „Kurzen Moment des Schmerzes?" Unheilvoll taxierte der Schattenelf den Halbschatten. „Kann es sein, dass du deine Situation etwas verkennst?" „Wieso?", entgegnete Karis mit einem spöttischen Grinsen, „Töten wirst du mich anscheinend ja nicht. Dafür hättest du immerhin ausreichend Gelegenheiten gehabt und du glaubst doch nicht, dass ich hier ewig herumhängen werde?"
Für einen kurzen Moment sah Ecros seinen ehemaligen Schüler fassungslos an. Seine Kaltschnäuzigkeit brachte ihn sichtlich durcheinander. Doch dann brach er in schallendes Gelächter aus. Sein Zwerchfell erbebte und der ganze Raum hallte wider von dem irren Lachen des Schattenelfen. „Und wie gedenkst du dich zu befreien?", keuchte der Schattenelf, als er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. „Och, irgendwas fällt mir schon ein.", entgegnete ihm der Drachenreiter und ließ scheinbar beiläufig seinen Blick über die Ketten, ihr Verbindungsstück mit der Decke und die allgemeine Struktur des Raumes schweifen. „Na da bin ich ja mal gespannt.", meinte Ecros herablassend.
„Du bist mit genügend magieunterdrückenden Drogen versorgt worden, um selbst eine ganze Kompanie Elfenmagier außer Gefecht zu setzen, und deine Ketten sind dieselben, wie die, die in Dras Leona verwendet werden. Sie hindern dich sogar daran, die Astrallevitation zu verwenden."
„Irgendwas fällt mir schon ein.", versicherte der Schattenläufer, der den Ausführungen seines ehemaligen Lehrmeisters kaum Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Das was er beschrieben hatte, war ihm auch selbst schon aufgefallen. Immerhin hatte er diese Ketten auch verwendet, als er Murtagh und Dorn gefangengenommen hatte und auch was magieunterdrückende Drogen anging, kannte er sich mehr als gut genug aus um die leichte Benommenheit, mit der er aufgewacht war, richtig zu deuten.
Doch bei der Betrachtung der Räumlichkeiten fiel sein Blick noch einmal auf die in der Ecke liegenden Dracheneier. „Danke, für das Abschiedsgeschenk. Das wäre nicht nötig gewesen. Wenn ich geflohen wäre, hätte ich sie so oder so mitgenommen." Kurz huschte Verwirrung über das Gesicht des Schattenelfen, bevor ihm klar wurde worauf der gefangene Reiter anspielte. Erneut glitt ein Lächeln über sein Gesicht. „Oh die sind nicht als Abschiedsgeschenk gedacht. Ich dachte nur, sie würden sich in deiner Gegenwart wohler fühlen, als unter meinen Lieblingen."
Karis gespielte Gelassenheit zerbrach, wie ein zerschlagener Spiegel, als ihm aufging, was der Schattenelf damit meinte. Drachenjunge schlüpften nur, wenn sie sich sicher genug fühlten. Da sie in seiner Gegenwart nie schlüpfen würden, hatte Ecros geplant sie mit ihm in einem Raum lassen in der Hoffnung, dass er beruhigend genug auf die Kleinen wirken würde, um den Schlüpfvorgang einzuleiten. Das bedeutete, dass er vorhatte sie nach dem Schlüpfen in Chimären zu verwandeln. Angewidert spuckte der Schattenläufer vor seinem ehemaligen Lehrmeister auf den Boden.
Doch dieser lachte nur.
Plötzlich drängte sich dem Drachenreiter jedoch ein neuer Gedanke auf und abrupt riss er den Kopf hoch um die Gestalt, die sich bis jetzt schweigend im Hintergrund gehalten hatte, prüfend zu taxieren, ehe er seinen Blick wieder zu dem Schattenelfen wandern ließ. Argwöhnisch fragte er: „Wie hast du es eigentlich geschafft, die Dracheneier zu stehlen? Bei dem Angriff auf Belatona musstest du vor Ort sein, deine Chimären hätten ohne Leitung niemals ein so koordiniertes Blutbad anrichten können. Aber genauso wenig hätten sie es alleine geschafft sich unbemerkt Saphira Schimmerschuppe und ihrem Seelengefährten zu nähern. Von ihrer Elfengarde ganz zu schweigen."
„Na endlich!" Freudig erregt, schlug der Schattenelf die Hände zusammen. „Ich warte schon die ganze Zeit darauf, dass du mir diese Frage stellst." Auf einen für Karis unhörbaren Befehl glitt die vermummte Gestalt nach vorne, bis sie neben dem Schattenelfen stand. „Du musst wissen, ich hatte etwas Hilfe." Ruckartig riss er der Person die Kapuze herunter. „Ich denke, ihr beiden kennt euch." Die spöttische Stimme seines Peinigers nahm Karis gar nicht mehr war. Graues, fast knochenbleiches Haar ergoss sich auf schmale Schultern. Eine feine halbmondförmige Narbe, bestehend aus zahlreichen in einem Bogen angeordneten Einstichen, zierte ihre linke Gesichtshälfte. Sie sah aus, als hätte ein wildes Tier versucht ihr die Wange aus dem Gesicht zu beißen. Und als er in ihre Augen blickte, die wie zwei silberne Spiegel funkelten, ergoss sich lodernder Hass mit ungebremster Wucht in seine Brust. Wie einen Fluch stieß er ihren Namen aus. Den Namen, der sich in den letzten Jahrzehnten, wie ein Splitter aus Zorn und Asche, in seine Seele gebrannt hatte.
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Der Weiße Schatten
ФанфикEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...