25. Heilende Hände

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Mit flüssigen Bewegungen folgte Karis, Jonata durch die Menge. Die Witwe eines Soldaten, der bei dem Kampf mit den lachenden Toten ums Leben gekommen war, war heute kurz nachdem der Drachenreiter die magische Arbeit an den Panzerhandschuhen, die der Zwergenschmied angefertigt hatte, vollendet hatte, an dem braunen Zelt des Zwergs erschienen. Mit verzweifelter Stimme hatte sie den Schattenläufer um Hilfe gebeten.
Ihr Sohn litt bereits seit einigen Tagen an hohem Fieber und Schwächeanfällen, gegen die kein herkömmlicher Heiler etwas ausrichten konnte. Und durch den Tod seines Vaters, war es der Mutter auch nicht möglich die horrenden Preise zu bezahlen, die die Du Vrangr Gata für die Heilung eines Verletzten, der nicht zu den Kriegern der Varden gehörte, verlangte. Mit Gelegenheitsarbeiten wie dem Wäsche waschen und dem Polieren von Rüstungen und Waffen schaffte es die arme Witwe gerade so ihrem Sohn jeden Abend eine bescheidene Brühe zu verschaffen, während sie bereits seit einigen Tagen hungerte. Aber dennoch war ihr Sohn immer schwächer geworden.
Das hatte sie zur Verzweiflung gebracht.
Als sie schließlich das Gerücht gehört hatte, dass einer der Drachenreiter in einer Schmiede in der Nähe des Elendszuges, wie einige der Soldaten der Varden die Truppe nannten die sich im Anschluss an die Armee gebildet hatte, und die hauptsächlich aus Witwen von gefallenen Soldaten, entflohenen Sklaven, elternlosen Kindern, Krüppeln und anderer vom Krieg gezeichneter Gestalten bestand, arbeitete, hatte sie es kaum glauben können. Erst als sie mit eigenen Augen, den großen weißen Drachen gesehen hatte, der vor der Schmiede gelandet war, um einem überirdischen Gesang zu lauschen, der aus dem rauchverhangenen Zelt ertönt war, war sie überzeugt.
Anfangs hatte sie sich nicht getraut, Karis anzusprechen. Zu groß war ihre Angst gewesen, dass der Drachenreiter sie für diese Unverschämtheit bestrafen lassen würde. Schon oft hatte sie erlebt, wie Personen von hohem Rang, lediglich weil sie sich für etwas Besseres hielten, zur Waffe gegriffen hatten, um jemanden zu bestrafen, nur weil er es gewagt hatte ungefragt das Wort an ihn zu richten. Ihrem verstorbenen Mann war es einmal so mit einem widerlichen Hauptmann namens Edric ergangen.
Der unsympathische Anführer hatte ihr auspeitschen lassen, nur weil er sich nicht vor ihm hatte verneigen wollen. Entsprechend zurückhaltend war Jonata beim Gedanken daran, mit einer derart hochgestellten Persönlichkeit wie einem Drachenreiter Kontakt aufzunehmen. Doch nachdem die Erkrankung ihres Sohnes im Laufe der letzten Tage noch schwerer geworden war hatte sie sich ein Herz gefasst und war in die Schmiede gegangen, vor deren Eingang drei Elfen gewartet hatten und hatte den Reiter des weißen Drachen um Hilfe gebeten.
Die Entschlossenheit der Witwe hatte Karis beeindruckt, als sie in die Schmiede gekommen war. Obwohl sie offensichtlich Angst vor ihm gehabt hatte, hatte sie es gewagt das Wort an ihn zu richten und das obwohl er zum fraglichen Zeitpunkt mit bloßem Oberkörper dagestanden hatte, weil er seinen Brustpanzer ohne seinen Mantel anprobiert hatte. Eine Notwendigkeit, da er ergründen wollte, wie dick sein Mantel unter dem Brustpanzer sein durfte, ohne, dass er unbequem war und ihn in seiner Beweglichkeit einschränkte. Die zahllosen Narben, die seinen Körper bedeckten hatten ihm zusammen mit seinen rasiermesserscharfen Fingernägeln und dem schwarzen Mantel ein durchaus bedrohliches Aussehen verliehen hatte. Trotzdem hatte die Frau, nachdem sie einen Moment die Zeugnisse seines harten Lebens angestarrt hatte, es gewagt ihn um Hilfe zu bitten. Da er zum fraglichen Zeitpunkt bereits mit der magischen Bearbeitung der verschiedenen Einzelteile der Handschuhe fertig gewesen war und Kvron die restliche Arbeit ohnehin allein hatte machen wollte, hatte er zugestimmt sich den Sohn der Witwe einmal anzusehen.
Darum schlängelte er sich jetzt hinter der Frau durch die Menschenmenge des Elendszugs. Die drei Elfen, die ihn am heutigen Tag begleiteten, angeführt von dem Wolfkatzenelf Bloedhgarm folgten ihm geschmeidig wie Raubkatzen.
Während Karis sich durch die Menschenmenge bewegte kam er nicht umhin den starken Kontrast der Lebensumstände, der hier lebenden Menschen und den Menschen, die aktiv im Dienst der Varden standen, festzustellen. Während die Menschen die in der Hauptstreitmacht der Varden reisten einen gewissen Lebensstandard aufrechterhalten konnten, schienen die Gestalten die dem Tross der Varden lediglich folgten, kaum genug zu besitzen, um den nächsten Tag zu überstehen.
Betroffen registrierte er die schlechte Qualität der Zelte, die in den meisten Fällen lediglich aus aneinander genähten Lederresten bestanden, oder den Hunger den er in den Augen einiger abgemagerter Kinder entdecken konnte, die in einiger Entfernung am Boden saßen und mit Kieseln spielten, während ein einbeiniger Mann auf sie aufpasste. Überhaupt entdeckte Karis eine Menge vom Krieg gezeichnete Gestalten. Neben einem heruntergekommenen Zelt, das aus vor Schmutz starrenden Leinen bestand, saß ein mit Narben bedeckter etwa 40 Jahre alter einarmiger Mann und starrte vor sich hin. Ein Verhalten, das der Schattenläufer durchaus nachvollziehen konnte. Wie er anhand der Rüstung die der Einarmige vor sich ausgebreitet hatte und die er anscheinend verkaufen wollte erkannte, handelte es sich bei ihm wohl um einen ehemaligen Soldaten, der sich jetzt wo er nicht mehr kämpfen konnte ganz offensichtlich fragte, was er noch mit seinem Leben anfangen sollte. Auch die Elfen, die ihn begleiteten warfen sich angesichts des sie umgebenden Elends betroffene Blicke zu.
Kopfschüttelnd folgte er der kraushaarigen Frau zwischen zwei Zelten hindurch. Das Elend um ihn herum betrübte ihn. Es erinnerte ihn zu sehr an seine eigene Kindheit, die schon bevor er in Ecros Fänge geraten war alles andere als leicht gewesen war, aber daran wollte er jetzt nicht denken. Stattdessen ließ er seinen Blick noch einmal umherschweifen. In einiger Entfernung entdeckte er einen der kleinen Stoßtrupps die Nasuada immer wieder aussendete um die Versorgungstrupps des Imperiums anzugreifen und ihnen so den Nahrungsnachschub abzuschneiden. Ganz offensichtlich war die Mission vom Erfolg gekrönt gewesen, denn der Trupp führte nicht nur zwei volle Wagen mit sich, auch eine ganze Herde Pferde, deren Fell in dunklen Farben glänzte, trabte seelenruhig neben den Kriegern der Varden her.
Im ersten Moment wunderte sich Karis über die Zutraulichkeit der Tiere, die den ihnen fremden Kriegern so folgsam in ihr Lager folgten, doch als die Frau die ihn hergeführt hatte plötzlich vor einem schlecht am Boden befestigten Zelt aus miteinander vernähten Lederfetzen stehenblieb, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf sie.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt