17. Vertrauen

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Zufrieden machte sich Karis zusammen mit dem jüngeren Reiter und seiner Elfengarde, sowie der Elfe Arya auf den Weg zurück zu dem Lagerplatz, den ihnen die Obrigkeit der Varden für ihre Drachen zugewiesen hatte. Die Prüfung seiner Fähigkeiten im Schwertkampf war für ihn zufriedenstellend verlaufen. Er hatte bewiesen, dass er durchaus in der Lage war sich auch ohne den Einsatz von Magie  zu verteidigen, zudem hatte der Übungskampf mit der Elfe Spaß gemacht. 
Den magischen Teil seiner Prüfung gedachte Eragon im Beisein ihrer Seelengefährten durchzuführen, weil er der Meinung war, dass es nicht schaden könnte, wenn sich auch Saphira aus erster Hand von den Fähigkeiten ihrer neuen Verbündeten überzeugen könnte. Außerdem hatte er vor, die Fähigkeiten von Karis und seinem Seelengefährten im geistigen Kampf zu überprüfen und da dies nun einmal am effektivsten war, wenn sie ihren Geist verschmolzen, war es sinnvoll, wenn sie sich in der Nähe der Drachen aufhalten würden. 
Der Schattenläufer hatte dem ohne zu zögern zugestimmt. Zudem waren sich die beiden Reiter einig, dass ihnen die Anwesenheit ihrer Drachen, aufgrund der Ehrfurcht die den mächtigen Wesen immer noch von den meisten Mitgliedern der Varden entgegengebracht wurde, ein gewisses Maß an Privatsphäre verschaffen würde, was für den magischen Teil der Prüfung durchaus von Vorteil sein würde.
Zwar hatte Karis keine genaue Vorstellung davon in welchen Bereichen der Magie ihn der Schattentöter zu prüfen gedachte, aber er war sich sicher, dass viele der kommenden Aufgaben, Worte und Beschwörungen in der alten Sprache enthielten, die nicht allgemein bekannt werden sollten. Nicht ohne Grund hatte es schon zu Zeiten des alten Ordens Techniken gegeben, in denen man die jungen Reiter erst unterwiesen hatte, nachdem man sich davon überzeugt hatte, dass sie über die erforderliche charakterliche Reife verfügten. 

Während die beiden Reiter sich durch die Menge der Varden zu ihrem Ziel drängten, unterhielten sie sich, wobei Eragon jedoch die meisten Fragen beisteuerte. Besonders an dem ungewöhnlichen Schwertstil des Schattenläufers schien er interessiert zu sein. „Kämpfst du eigentlich lieber mit oder ohne Schild?“, fragte der jüngere Reiter als die beiden einem Lastenzug auswichen, der neue Rohmetalle zu dem Abschnitt des Lagers brachten, in dem die Schmiede der Varden die Waffen und Rüstungen des Heeres anfertigten. 
Einen Moment war Karis von dem Anblick des funkelnden Eisens abgelenkt, bevor er dem Schattentöter antwortete. „Ich bevorzuge den Kampf ohne Schild. Mir ist es lieber, wenn ich eine zusätzliche Hand frei habe, mit der ich meinen Gegner überraschen kann.“ „So wie bei deinem letzten Angriff gegen Arya, meinst du?“ „Ganz genau.“, nickte Karis. „Wenn ich nur ein Schwert habe, konzentrieren sich die meisten meiner Gegner nur auf die Klinge. Dadurch übersehen sie Gefahr, die in meiner freien Hand liegt. Du hast ja gesehen, wie überrascht die Elfenprinzessin war, als ich sie gleich zu Anfang überrumpelt habe.“ Ohne etwas zu erwidern nickte Eragon.
Obwohl er die Geschicklichkeit von Sereths Reiter nicht bestreiten konnte, rief dieser erste Angriff, den der ältere Reiter gerade erwähnt hatte, doch gemischte Gefühle in ihm wach. Immerhin hatte Karis Arya in den Bauch geschlagen. Auch wenn es nur für einen Übungskampf war und die Elfe ihm versichert hatte, dass es ihr gut ging, bekam Eragon doch ihren überraschten und schmerzerfüllten Gesichtsausdruck nicht aus dem Kopf. Für eine Weile sprach keiner der Reiter etwas, während sie ihren Weg schweigend fortsetzten. Um sich von diesen widersprüchlichen Gedanken abzulenken, fragte der Schattentöter schließlich: „Was genau hast du bei deinem Eid, Nar Garzhvog gegenüber eigentlich geschworen?“
Bei der Erinnerung an die Versammlung, die in den Reihen der Varden für solchen Aufruhr gesorgt hatte und an König Orrins vor Wut schäumendes Gesicht,  musste Karis unwillkürlich lachen. Ohne den irritierten Gesichtsausdruck des anderen Reiters zu beachten, gab er sich für einen kurzen Moment der Heiterkeit hin, bevor er wieder ernst wurde.
Denn er war sich im Klaren, dass das eine Frage war, die ihm die anderen Führungskräfte der Varden auch noch stellen würden. Auch die Elfe Arya, die die Gruppe begleitete, war bei diesem Thema hellhörig geworden. Zwar konnte man ihr aufgrund der für ihr Volk typischen Disziplin, nicht ansehen was sie dachte, dennoch bemerkte Karis ein gewisses Interesse an ihren Gesichtszügen. Daher bemühte er sich um eine klare Aussage als er antwortete, wohl wissend, dass seine Antwort ebenfalls an die Elfenkönigin Islanzadi weitergeleitet werden würde. 
„Der Bledskarakt, oder Blutpakt, den ich den Urgals geleistet habe, ist im Grunde nicht mehr als ein Nichtangriffspakt. Er legt einen gemeinsamen Feind zwischen zwei Parteien fest. Das bedeutet bis zum Tod des im Schwur erwähnten Feindes, schweigen die Waffen zwischen den beiden Schwurpartnern.“
„Bedeutet das du bist den Urgals nicht zur Treue verpflichtet?“, fragte Eragon der Karis Erklärung interessiert gelauscht hatte, „ Nicht so direkt:“, bemühte sich Karis zu erläutern: „Ich bin nicht direkt der Befehlsgewalt des Urgaloberhauptes unterstellt, aber wenn ihr Volk im Verlauf dieses Krieges bedroht wird und es in meiner Macht liegt, etwas gegen diese Bedrohung zu unternehmen, dann bin ich verpflichtet sie zu unterstützen.“
Inzwischen hatte die kleine Gruppe um die beiden Reiter den Lagerplatz der Drachen erreicht, wo sie  bei ihrer Ankunft von ihren Seelengefährten in Empfang genommen wurden. „Und wie war deine Prüfung im Schwertkampf?“, fragte Sereth, nachdem er seinen Reiter zur Begrüßung liebevoll angestupst hatte. Karis erwiderte scherzhaft: „Warum fragst du? Hast du mich denn nicht wie sonst auch im Auge behalten?“ Schmunzelnd beobachtete er wie sich sein Seelengefährte innerlich wand. „Ich war etwas abgelenkt.“, antwortete der weiße Riese beschämt.
Dabei warf er der saphirblauen Drachendame, die neben ihm lag und gerade ihren Reiter auf ähnliche Weise ausfragte wie Sereth seinem, verlegene Blicke zu.Der Schattenläufer musste lächeln, als er die Gefühle die seinem Freund bei diesen Worten durch den Kopf gingen, empfing. „Schimmerschuppe gefällt dir, oder?“ Ertappt wich der weiße Drache dem Blick seines Reiters aus.
„Ich weiß nicht so genau.“; entgegnete er mit für ihn untypischer Unsicherheit in der Stimme. „Sicher finde ich sie sehr hübsch, aber ich weiß nicht ob ich mir eine gemeinsame Zukunft mit ihr vorstellen könnte.“ Karis konnte die Gefühle die seinen Seelengefährten bei diesen Worten durchströmten durchaus verstehen.Sein Begleiter hatte zwar gut 100 Jahre Erfahrung darin, ein gefürchteter Kämpfer zu sein, aber dieser Teil seiner Instinkte war für ihn schlichtweg noch nie von Bedeutung gewesen. Selbst zur Zeit des alten Ordens hatte er nie die Gelegenheit gehabt  einem anderen Artgenossen, geschweige denn einem weiblichen Vertreter seiner Art näher zu kommen. Wenn sie damals einem anderen Drachen, egal ob mit Reiter oder ohne, begegnet waren, war das Ergebnis meist dasselbe gewesen.
Entweder hatte der fremde Drache die Flucht ergriffen, oder es war zum Kampf gekommen. Das hatte bei dem damals noch jungen Drachen dazu geführt, dass er sich sehr einsam gefühlt hatte. Sein Reiter war damals der Einzige gewesen, der dieses Gefühl mit ihm geteilt hatte und der immer an seiner Seite gewesen war. Denn auch Karis hatte diese  Erfahrung durchmachen müssen. Zum damaligen Zeitpunkt, bevor Sereth bei ihm geschlüpft war, hatte Ecros gerade sein Werk an ihm vollendet. Und Karis war sich wie ein Fremder in seinem eigenen Körper vorgekommen. 
Nicht nur, dass er mit den Fähigkeiten die der Schatten ihm verliehen hatte, nicht hatte umgehen können, auch sein Aussehen war durch die vorübergehende Verschmelzung mit den Geistern grässlich entstellt gewesen. Sein heutiges elfenähnliches Äußeres war nur durch die langjährige Verbindung zu seinem Seelengefährten entstanden. Damals, während der ersten 30 Jahre, die Sereth und sein Reiter verbunden waren, hatte sein Aussehen mehr dem eines Schattens entsprochen als dem eines Elfen. 
Als sein einstiger Lehrmeister ihm stolz verkündet hatte, dass er nun keiner in Alagaesia lebenden Art mehr entsprechen würde, hatte sich Karis sehr allein gefühlt. Und erst als er einige Tage später dieses kleine weiße Drachenküken mit den blauen Hörnern und Rückenzacken in Händen gehalten hatte, war es ihm besser gegangen. 
Die liebevollen Gefühle die ihm von dem kleinen Wesen entgegenschlugen, zusammen mit der festen Sicherheit, dass sie beide zusammengehörten war Balsam für Karis durch Folter und Einsamkeit verstümmelte Seele gewesen. Doch so viel Verständnis er auch für die Situation seines Seelengefährten aufbringen konnte, wusste Karis doch nicht, was er seinem Seelengefährten raten sollte.
Nachdem er einen Augenblick überlegt hatte, übermittelte er seinem Freund schließlich: „Das verstehe ich. Vielleicht solltest du das Ganze aber als Neuanfang betrachten. Wir haben gemeinsam beschlossen, dass wir uns der Welt offenbaren sollten. Vielleicht sollten wir auch damit anfangen uns den Gefühlen zu öffnen, die wir in den letzten 100 Jahren in uns eingeschlossen haben.“ 
Sereth wusste genau worauf sein Reiter damit anspielte. Nach den Erfahrungen, die die beiden Seelengefährten in ihrer Jugend gesammelt hatten, war es ihnen schon immer schwer gefallen anderen zu vertrauen besonders den Individuen die in der Gesellschaft eine Menge Macht innehatten, standen sie misstrauisch gegenüber. Doch seit sie sich den Varden angeschlossen hatten, hatten sie durchaus schon einige positive Erfahrungen gesammelt. Und auch wenn der weiße Drache es nicht zugeben wollte, war sich Karis durchaus darüber im Klaren, dass er im Begriff war Gefühle für seine Artgenossin zu entwickeln, mit denen er noch vor wenigen Tagen gar nichts hätte anfangen können.
Doch noch bevor die beiden Seelengefährten das Thema weiter vertiefen konnten, hob besagte Drachendame den Kopf und Eragon Schattentöter der mit der Zusammenfassung des ersten Teils von Karis Prüfung, seiner Drachendame gegenüber fertig war, trat zu ihnen. „Und bist du bereit für den magischen Teil deiner Prüfung?“ Karis nickte, woraufhin Saphira begann ihren blau schillernden Körper etwas zu drehen und zu winden bis ein Raum zwischen ihr und ihrem Artgenossen entstand. Sereth, der verstand was seine Artgenossin vorhatte spiegelte ihre Bewegung auf der anderen Seite ihres Lagerplatzes, bis in ihrer Mitte eine freie Stelle entstand. Karis und Eragon betraten den auf diese Weise freigelegten Raum, woraufhin hinter ihnen die Körper der Drachen den Zugang verschlossen so, dass  Zuschauer nicht ohne weiteres einen Blick auf den zweiten Teil der Prüfung erhaschen konnten. Auch die Elfengarde, die Eragon bis jetzt begleitet hatte, war außerhalb der Drachen geblieben und hatte sich dort in einem lockeren Kreis um die beiden Drachen aufgestellt. 
Lediglich die Elfe Arya hatte sie in das Innere des aus Drachenkörpern bestehenden Kreises begleitet. Im ersten Moment fühlte sich Karis etwas unwohl bei der Anwesenheit der Elfenprinzessin, immerhin wurden hier magische Fähigkeiten geprüft, die in alten Zeiten ausschließlich Drachenreitern vorbehalten waren. Doch dann entschied er sich die die  Elfe einfach zu ignorieren. Immerhin war auch er nicht vom alten Orden unterrichtet worden und wenn man genau war verfügte er auch nicht über das Wissen, dass lediglich dem alten Orden bekannt gewesen war. Daher wandte er sich gespannt dem Schattentöter zu und wartete wie seine erste Aufgabe aussehen würde. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt