57. Planung

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Nervös schritt Murtagh vor dem kleinen Tümpel auf und ab. Er befand sich einige Meilen entfernt von Belatona. Gerade noch nahe genug um die Silhouetten der Chimären, die über der Stadt kreisten erkennen zu können. Er hatte seinen Lagerplatz auf der, der Stadt abgewandten Seite eines Felsens errichtet, der groß genug war um selbst den massigen Körper seines weißschuppigen Lehrmeisters vor der Stadt abzuschirmen. Ein strategischer Vorteil, den Sereth jedoch dadurch zunichtemachte, dass er zu jeder Tages- und Nachtzeit auf dem höchsten Punkt des spitzen Felsens saß und zu dem Ort hinüberblickte, an dem sein Reiter gefangen gehalten wurde.
Seinen massigen Schweif, mit dem mit Widerhaken besetzten Knüppel hatte er um das graue Gestein geschlungen und immer wieder stieß er ein tiefes Knurren aus. Zorn und Schuld wogten in seinem Geist hin und her und hallten wie stumme Wellen über die kleine Ebene die das steinige Gebilde umgab. Murtagh konnte ihm seine Frustration gut nachempfinden. Nachdem Dorn bei ihm geschlüpft war und sie sich angefreundet hatten, hatte Galbatorix sie auch getrennt und ihnen dann einzeln Schmerzen zugefügt. Er hatte damit versucht ihren Widerstand zu brechen und sie gefügiger zu machen, was ihm auch gelungen war. Dorns Reiter war damals beinahe wahnsinnig geworden, als er die Qualen seines damals noch winzigen Seelengefährten empfangen hatte, aber keine Möglichkeit gehabt hatte, ihm zu helfen.

Daher konnte er die Seelenqualen, die der weiße Drache gerade litt, nur zu gut nachempfinden. Denn was auch immer Karis gerade erlebte, Murtagh war sich sicher, dass Ecros nicht gerade sanft mit seinem ehemaligen Schüler umgehen würde.

Aber der weiße Drache durfte sich jetzt nicht von seinen Gefühlen leiten lassen. Murtagh kannte dieses Verhalten bereits von Drachen, deren Reiter in Gefangenschaft geraten waren. Damals als Eragon von Durza gefangen genommen worden war, hatte Saphira ähnlich reagiert. Hätte er es damals nicht geschafft, sie von seinem Plan ihren Seelengefährten zu befreien zu überzeugen, wäre sie vermutlich direkt nach Gil ead geflogen und wäre zusammen mit seinem kleinen Bruder heute Galbatorix Gefangene in Uru baen. Daher musste er es schaffen seinen Lehrmeister zu beruhigen, bevor er etwas Törichtes tat. Was in Anbetracht der Tatsache, dass Sereth Ecros ganz genau kannte und wusste zu was der Schattenelf fähig war, deutlich schwerer sein dürfte.
Vorsichtig berührte er den Geist des weißen Drachen. Sofort flutete der gleißende Zorn des weißen Riesen den Geist des Reiters, der es gewagt hatte ihn in seiner Trauer zu stören. Ein unheimlicher Blick aus violetten Augen fixierte Murtagh und dieser musste hart schlucken, als ein dunkles Grollen aus der Kehle seines Lehrmeisters kam. „Was?", fauchte Sereth. Seine Stimme klang so aufgebracht, dass Dorn, der am Fuß des Felsens gelegen hatte sich unweigerlich erhob und sich neben seinen Reiter stellte. „Bitte, Sereth beruhige dich.", versuchte Murtagh den weißen Drachen zu besänftigen. „Ich weiß wie du dich fühlst, aber eine übereilte Handlung würde deinem Seelengefährten nicht helfen."
Doch daraufhin peitschte der Zorn des weißen Drachen nur noch mehr durch die Gegend. Der schwarzhaarige Reiter schluckte, als wenige Schritte neben ihm unter der Wucht von Sereths Geist ein Stein klirrend zersprang. „Mich beruhigen?", donnerte seine Stimme wie ein Weltuntergangsgewitter durch ihre Köpfe. „Hast du eine Ahnung, was ich gerade durchmache? Mein Reiter, die andere Hälfte meiner Seele befindet sich im Augenblick in der Gewalt eines Wahnsinnigen. Durch meine Schuld wurde er gefangengenommen. Durch meine überstürzte Handlung wurde er verletzt und nur weil ich nicht aufgepasst habe, hat es diese Madenbrut geschafft ihn in Ketten zu legen."
Weißer Geifer spritze von seinen blanken Fängen und sammelte sich in kleinen Pfützen zu Murtaghs Füßen. „Willst du dir wirklich anmaßen, sagen zu können, wie ich mich gerade fühle?" Unerschrocken erwiderte der junge Reiter den Blick, aus zornblitzenden violetten Augen. „Ja, das kann ich." Und bevor der weiße Drache aufbrausen konnte, sandte Murtagh ihm einen Strom seiner Erinnerungen. Die ersten Momente, nach Dorns Schlüpfen, die wenigen Augenblicke stummen Glücks angesichts des kleinen Wunders, welches er in den Armen hielt. Der Schrecken, als sie getrennt worden waren. Das maßlose Entsetzen, als er zum ersten Mal gespürt hatte, wie sein Seelengefährte Schmerzen erlitten hatte, als er sich geweigert hatte dem König zu dienen. Die erschreckende Erkenntnis, dass sein Seelengefährte all diese Qualen nur erleiden musste, weil er in seinen Armen das Licht der Welt erblickt hatte.
Die Schuld und das Gefühl der Hilflosigkeit in Anbetracht der stillen Schmerzensschreie seines Gefährten, die immer wieder in seinem Kopf erschallten, gefolgt von wortlosen Bitten um Hilfe. Abrupt brach Murtagh ab, als ihm eine Träne ins Auge lief. In diesen Erinnerungen zu stochern war für ihn alles andere als leicht gewesen. Jedes Bild, das er seinem Lehrmeister gezeigt hatte, hatte sich wie ein Stachel in sein Herz gebohrt und Dorn hatte mehrere Male ein klägliches Wimmern ausgestoßen, als er seine Empfindungen geteilt hatte. Noch heute litten sie beiden noch oft an den Folgen ihrer Gefangenschaft, manchmal in Form von Albträumen und manchmal überkamen sie diese Erinnerungen selbst wenn sie wach waren. Nur die gegenseitige Nähe hatte sie in diesen Zeiten beruhigt.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt