80. Vor der Schlacht

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Schmatzend zerkaute Illeani den Knochen des Rehs, den sie während der Jagd mit ihrem Vater gefangen hatte. Der fleischige Geschmack breitete sich in ihrem Maul aus und sie summte zufrieden. Das junge Drachenmädchen genoss es Zeit mit ihrem Vater zu verbringen. Sie hatte sich vor der letzten Schlacht eine kleine Auseinandersetzung mit ihrer Mutter gehabt. Sie hatte unbedingt mitkämpfen wollen, aber ihre Mutter hatte ihr das untersagt, da sie ihr Feuer noch nicht entdeckt hatte. Ihr Vater hingegen war nicht so überfürsorglich wie ihre Mutter. Obwohl sie mehr als dazu in der Lage gewesen wäre, ihrer Mutter im Kampf gegen die stinkenden Lederflügel zu helfen, hatte diese darauf bestanden, dass sie im Lager blieb. Das hatte ihr überhaupt nicht gefallen, aber jetzt wo ihr Vater wieder hier war, aber sie hatte sich dem Willen ihrer Mutter gebeugt. Doch jetzt wo ihr Vater auch hier war, durfte sie bestimmt mit ihren Artgenossen kämpfen. 
Immerhin war sie inzwischen eine beeindruckende Drachendame geworden. Ihre Klauen blitzten wie weißer Marmor, ihre Zähne funkelten wie Dolche und ihre Muskeln waren schon lange kräftig genug um es mit einer ganzen Kolonne Soldaten aufzunehmen. Auch wenn sie ihr Feuer noch nicht entdeckt hatte, würde sie sich das nächste Mal nicht zurückhalten lassen. Immerhin hatte der Reiter von Dorn ihr einmal im Vertrauen erzählt hatte, dass ihre Mutter das in ihrer ersten Schlacht auch noch nicht gehabt hatte und sie hatte trotzdem Angst und Schrecken unter ihren Feinden verbreitet. Nachdenklich schluckte sie ihren Bissen hinunter. 
Und wenn Saphira das geschafft hatte, dann würde sie das auch können. Jedoch musste sie dafür erst ihren Vater überzeugen. Ihre Mutter hatte ihre Meinung zu diesem Thema mehr als deutlich gemacht, als sie vor ihrem Kampf gegen die Leichenfresser vom Helgrind miteinander gesprochen hatten. Sie würde sich nicht überzeugen lassen. Darum musste sie mit ihrem Vater sprechen. 
Sie taxierte den weißen Drachen, der gerade seine Zähne in den Körper eines Hirschs schlug, mit einem berechnenden Blick. 
Er war ein abgehärteter und erfahrener Drache, der sogar schon mehr Schlachten geschlagen hatte, als seine Nistpartnerin. Sicherlich würde er den Sinn dahinter erkennen, einen weiteren Drachen mit in eine Schlacht zu nehmen, deren Ausgang so ungewiss war. Vorsichtig sandte sie ihren Geist aus und stupste an seinen geistigen Schutzwall. Ohne im Fressen innezuhalten, antwortete ihr Vater ihr auf dieselbe Weise und sie spürte die stumme Frage, die in der Geste widerhallte. 
Das junge Drachenmädchen öffnete ihren Geist und zeigte ihrem Vater Gedankenfetzen aus ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Mutter. 
Das Gespräch, welches sie geführt hatten, ihre unterschiedlichen Meinungen bezüglich ihrer Teilnahme an der Schlacht und das Ergebnis, als ihre Mutter alleine in den Kampf gezogen war. Sie beendete den Bilderstrom mit ihrem brennenden Wusch an der Seite ihrer Familie zu kämpfen und ließ ihren Vater der inzwischen das Kauen eingestellt hatte und sie nachdenklich musterte, spüren wie ernst es ihr war. 
Eine Weile antwortete der größere Drache ihr überhaupt nicht. Seine violetten Augen waren unergründlich, während er sie betrachtete und auch sein Geist verriet nichts darüber was in ihm vorging. Schließlich, als das junge Drachenmädchen schon hibbelig wurde, fragte er mit ausdrucksloser Stimme:„So ernst ist es dir?“ Nachdrücklich sandte sie ihm ihre Zustimmung gefolgt von ihrem Wunsch ihre Klauen in die Kreaturen zu schlagen, die ihre Mutter und Dorn verletzt hatten. „Na schön!“ Ohne ein weiteres Wort erhob sich Sereth in die Lüfte. Unsicher was er von ihr erwartete, zögerte Illeani einen Moment, bevor sie ihm folgte. Die beiden Drachen stiegen eine Weile auf, bis sie eine beträchtliche Höhe erreicht hatten und das junge Drachenmädchen bereits die nass-flauschig-Wolken schmecken konnte. 
Dort stellte der weiße Gigant seine Flügelschläge parallel, sodass er auf innehielt und mit gleichmäßigen Schwingenschlägen wartete bis sie dieselbe Höhe erreicht hatte. Vor dem Hintergrund der weißen Masse wirkte er noch gewaltiger und Illeani durchströmte ein Gefühl der Ehrfurcht bei dem Anblick des deutlich größeren Drachen. „Du willst also an der kommenden Schlacht teilnehmen, Tochter?“, fragte er mit einer Stimme, die das junge Drachenmädchen etwas zurückzucken ließ. Sie klang weder kalt, noch angriffslustig, aber es schwang eine Herausforderung darin mit, die sie instinktiv den Kopf einziehen ließ. Dennoch wich sie nicht von ihrem Standpunkt ab.„Ja.“, knurrte sie trotzig. Sereth stieß ein leises Knurren aus. „Dann beweise mir, dass du dich auf dem Schlachtfeld behaupten kannst.“ 
Ohne Vorwarnung stürzte er sich herab. Überrumpelt schaffte Illeani es gerade noch zur Seite auszuweichen, als die weit größere Gestalt ihres Vaters an ihr vorbeirauschte. Doch dabei hatte sie seinen mächtigen Schweif außer Acht gelassen. Seine Rückenmuskeln wölbten sich und der dicke Knüppel kam auf sie zu. Sie konnte nicht mehr ausweichen und die spitzen Widerhaken schabten kreischend über ihre Brustschuppen. Es war nicht schmerzhaft, aber würde ein paar Kratzer hinterlassen. 
Sie stieß ein protestierendes Fauchen aus. 
Karis Seelengefährte, der inzwischen unter ihr war, schnaubte unbeeindruckt. „Wenn du an einer Schlacht teilnehmen willst, solltest du dich auf schlimmeres gefasst machen. Diese geflügelte Madenbrut wird dichauch ohne Samthandschuhe anfassen.“ Er stieg auf, bis er wieder dieselbe Flughöhe wie seine Tochter erreicht hatte und knurrte herausfordernd. „Wenn du willst, dass ich deine Mutter überzeuge, dich an der Schlacht teilnehmen zu lassen, dann beweise mir, dass du dasselbe Eisen im Bauch und Feuer im Blut hast wieich. Ansonsten sorge ich persönlich dafür, dass du dich, bis der Verräter tot ist, irgendwo in der Einöde versteckst.“ 
Das konnte Illeani nicht auf sich sitzen lassen. Mit einem Knurren, das seinem in Nichts nachstand, stürzte sie sich auf den größere Drachen. Ihre Klauen schabten über seine Brustmuskeln, und sie schnappte nach seiner Schulter. Doch er stieß sie ohne Mühe von sich und schnaubte herablassend. Fauchend griff sie erneut an, doch wieder schlug er sie mühelos zurück.„Benutz deinen Verstand!“, knurrte er, als sie erneut zu einem Anflug auf ihn ansetzte. „Ich bin mehr alsdoppelt so groß wie du. Du wirst nichts erreichen, solange du mich nur wild aber ohne Strategie angreifst.“  
Sie schien seinen Worten keine Beachtung zu schenken, denn sie flog weiter schnurgerade auf ihn zu. In Gedanken seufzend machte der weiße Riese sich bereit sie erneut zurückzustoßen, als sie unerwarteter Weise abschwenkte. Ihr geschmeidiger Körper begab sich in die Seitenlage und ihr langer schlanker Schwanz zuckte wie eine Peitsche genau auf ihn zu. Mit Wucht knallte er auf seine Schnauze und nur mit Mühe unterdrückte er ein erbostes Heulen in seiner Kehle. Solche Wunden waren zwar nicht gefährlich, aber in der Schnauze eines Drachen befanden sich zahlreiche Schmerzrezeptoren, daher waren sie schmerzempfindlich. 
Daher brannte seine Nase gerade als ob ihm ein Drache des alten Ordens sein Feuer darauf geblasen hätte. 
Er leckte sich ein paar Mal über die Schnauze um das Blut zu entfernen, bevor er seiner Tochter die in einigen Flügelschlägen Entfernung schwebte ein zufriedenes Brummen schenkte. „Schon besser.“,knurrte er. 
Dieses Mal griff er an.  
Eine Weile jagten sich die Drachen kreuz und quer über den Himmel. Anerkennend bemerkte Sereth, dass Illeani anscheinend eine gelungene Kombination der Veranlagungen ihrer Eltern geerbt hatte. Ähnlich ihrer Mutter war ihr geschmeidiger Körper wie dafür geschaffen, die kompliziertesten Flugmanöver zu bewältigen, wohingegen ihre Hinterbeine eher kräftiger gebaut waren, ähnlich den seinen, was ihr ermöglichte sich in gefährlichen Sturzflügen einem Falken ähnlich auf ihre Beute zu stürzen. Außerdem verstand sie es instinktiv die Übergänge zwischen Wolken und Himmel um sie herum, als Tarnung zu gebrauchen und so ihre Angriffe unübersichtlicher zu machen. Immer wieder flog sie auf ihren Vater zu und schaffte es manchmal sogar ein paar Schrammen auf seinen weißen Schuppen zu hinterlassen. 
Geschmeidig wich Sereth einem Biss nach seiner Schulter aus und donnerte seinen knüppelbewehrten Schweif auf einen ihrer Hinterläufe. Das junge Drachenmädchen kreischte protestierend auf und wich ein paar Flügelschläge zurück. Aber trotz der Schmerzen gab sie nicht auf. Sie schraubte sich in den Himmel empor und stürzte sich auf ihren Vater. Aber Karis Seelengefährte hatte jetzt genug gesehen. 
Es war an der Zeit das Ganze zu beenden. Mit einem gezielten Biss, in die Nackenregion, packte er seine Tochter, wobei er allerdings darauf achtete sie nicht zu verletzen und ehe sie sich wieder frei kämpfen konnte, fragte er in Gedanken: „Hast du genug gesehen?“Illeani schnaubte verwirrt, bis sie die sanfte Antwort ihrer Mutter hörte, die sich, gefolgt von Dorn aus den Wolken über ihnen löste und zu ihnen herabsank. „Ja, sie ist wirklich groß geworden.“ Der weiße Drache löste seinen vorsichtigen Biss und die kleine Gruppe landete etwas abseits vom Lager der Varden an einem kleinen Bach.  
Während Illeani ihren Kopf in das fließende Nass absenkte um ihr vom Kampf erhitztes Blut in den Fluten abzukühlen, tauschten ihre Artgenossen sich gedanklich über die Fähigkeiten aus, die sie gerade gezeigt hatte. Als Sereth am Vortag angekommen war, hatte Saphira bereits damit gerechnet, dass ihre Tochter ihn darum bitten würde an der kommenden Schlacht teilnehmen zu dürfen. Nach einer lebhaften Diskussion mit ihrem Nistpartner waren die beiden Elternteile schließlich übereingekommen, dass eine Prüfung ihrer Fähigkeiten notwendig war um zu entscheiden ob sie bereit war. 
„Und was denkt ihr?“, unterbrach das junge Drachenmädchen schließlich ihren gedanklichen Austausch. „Darf ich kämpfen? Ich habe Vater doch ein paar Mal ziemlich gut erwischt.“ Dorn musterte seinen Lehrmeister amüsiert. „Stimmt, ein paar dieser Schrammen sehen schmerzhaft aus.“ „Vorsicht.“,knurrte Sereth drohend. „Ich bin nicht zu erschöpft um mit dir auch noch mal ein paar Lektionen im Luftkampf durchzugehen.“ Schlagartig verstummte das amüsierte Schnauben und der rote Drache bemühte sich ein Musterbild eines Schülers abzugeben, als er sich aufrecht hinsetzte und geradeaus vor sich hin starrte. Dann wandte sich sein Karis Seelengefährte an Saphira. „Ich denke sie ist soweit.“ 
Die blaue Drachendame stieß ein unwilliges Brummen aus. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, kam sie nicht umhin ihrem Nistpartner recht zugeben. Ihre Tochter war zwar noch nicht ausgewachsen, aber sie war zweifellos in der Lage auf sich selbst aufzupassen. Das hatte sie mehr als deutlich bewiesen. Ergeben sandte sie ihre Zustimmung an ihre Artgenossen.„Versprich mir aber, dass du trotzdem vorsichtig bist.“,knurrte sie Illeani zu, die schnurrend ihren Kopf an ihrem Kiefer rieb. „Keine Sorge Mutter. Mir wird nichts geschehen.“ 
Glücklich betrachtete Sereth einen Moment seine Familie, bevor er sich mit seinem Reiter in Verbindung setzte. „Sie ist soweit!“ 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt