72. Wärme des Herzen

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Die Ankunft bei den Elfen lief in etwa so ab, wie Karis sich das vorgestellt hatte. Kaum, dass er in Sichtweite kam spürte er bereits, wie ein alter und mächtiger Geist mit seinem Kontakt aufnahm. Gleichzeitig sah er, wie ein großer Drache, sich in der der Mitte des Heeres auf seine Beine stemmte und sie mit einem donnernden Brüllen begrüßte. Seine Schuppen glitzerten im Licht der Sonne wie reines Gold und der Schatten den er warf, bedeckte alle Elfen in einem Umkreis von mehr als hundert Meter um ihn herum. Begleitet wurde das Gebrüll von einem Schwall freundschaftlicher Gefühle, die sanft gegen die äußere Verteidigung seines weißen Artgenossen schwappten. Innerlich seufzend hielt sich Karis die Ohren zu, als er spürte wie sich Sereths Körper unter ihm anspannte, kurz bevor der weiße Drache eine passende Antwort gab.
Als das Geräusch verklungen war, löste er seine Hände von seinem Kopf und grummelte: „Eure Höflichkeitsfloskeln werde ich nie verstehen.“, so leise dass ihn sein Seelengefährte unmöglich hören konnte, aber die Botschaft dennoch in seinem Geist wahrnahm. Amüsiert stieß er ein knurriges Lachen aus. „Eure sind mir auch ein Rätsel, kleiner Schatten. Wir begrüßen uns, indem wir unsere Anwesenheitbekunden und dann mittels unserer Gefühle zeigen, was wir von der Anwesenheit des anderen halten. Das ist eine offenere und gleichzeitig einfachereMöglichkeit sich zu begrüßen, als das was ihr Zweibeiner macht.“ 
Und gab den Drachen gleichzeitig Gelegenheit ihre Stärke zu demonstrieren, wie Karis insgeheim dachte, aber das würde er sicher nicht laut sagen. Das wäre einer weichen Landung sicher nicht gerade zuträglich. Daher meinte er nur: „Da hast du nicht Unrecht, aber wir Menschen können nun einmal nicht so laut brüllen, wie ihr.“ Mit geschmeidigen Bewegungen legte Sereth die Flügel an und setzte neben dem größeren goldenen Drachen, der ihm bereitwillig Platz machte, zur Landung an. Anscheinend waren auch die Elfen bereits auf seine Ankunft vorbereitet gewesen, denn die Spitzohren hatten vorsorglich ihre Zelte in so einem großen Abstand um den Ruheplatz des goldenen Riesen gebaut, dass Sereth mühelos neben ihm aufkommen konnte. Mit geübten Griffen löste Karis die Verschnürungen an seinem Sattel, bevor er sich elegant zu Boden gleiten ließ. „Nimmst du mir den Sattel noch ab, bevor du zu den Spitzohren gehst? Der fängt sicher bald an zu jucken, bei der trockenen Gegend durch die wir geflogen sind.“ „Klar.“ 
Ohne die Elfendelegation, die seine Landung beobachtet hatte und die jetzt offensichtlich darauf wartete ihn zu begrüßen eines Blickes zu würdigen, machte er sich an die Arbeit. Zuerst löste er sorgfältig die Verschnürungen der Satteltaschen, wodurch sie einzeln zu Boden glitten, bevor er den Sattel aus dunklem, schwarzem Leder abnahm und ihn fein säuberlich neben dem weißen Drachen zu Boden gleiten ließ. Die Rüstung, hatten die beiden entschieden, würden sie vorerst noch anlassen. Zwar rechneten sie nicht mit einem Angriff, aber es konnte nicht schaden wenn sie auf das Schlimmste vorbereitet waren und außerdem verlieh sie dem weißen Drachen eine gewisse düstere Aura, wie Karis bei den Varden festgestellt hatte.   
Während er das mit zunehmender Amüsiertheit beobachtet hatte, war Sereth recht zufrieden mit dem zusätzlichen Respekt, den ihm seine Panzerung einbrachte. Immerhin war es nur angemessen, wenn man ihn als das anerkannte was er war. Und das war nun einmal eines der gefährlichsten Lebewesen Alagaesias. Nachdem der Schattenläufer den Sattel abgenommen hatte, schüttelte Sereth sich einmal kräftig um seine vom stundenlangen Fliegen steifen Muskeln etwas zu lockern. Glücklicherweise waren die dunklen Ranken seiner Rüstung so angelegt worden, dass sie sich perfekt an seinen Körper anschmiegten. Er bemerkte sie beinahe gar nicht und im Gegensatz zu dem Sattel, störte sie ihn auch nicht arg, wenn er alleine unterwegs war. 
„Es freut mich euch wiederzusehen, Frostschwinge und Schattenläufer.“ Höflich nickte der weiße Drache seinem älteren Artgenossen zu, und auch sein Reiter blickte kurz von den Satteltaschen auf um vor ihm den Kopf zu neigen. Von dem Höflichkeitsgetue des Elfen hielten sie zwar nicht allzu viel, aber ein wenig Respekt musste schon sein, wenn man mit jemandem sprach, der ein Jahrhundert an körperlicher Qual erduldet hatte und immer noch über genügend innere Stärke verfügte um ein Schlachtfeld zu betreten. „Die Freude liegt ganz bei uns Glaedr – Elda.“ Ohne noch mehr Zeit zu verlieren, bedeutete der goldene Riese einem der Elfen, die sich nach und nach zwischen den Zelten hervorwagten und mit großen Augen die beiden Drachen beobachtete, näher zu treten. Flüchtig ging Karis durch den Kopf, wie sehr das schöne Volk doch die Drachen vergötterte, als er ihre hingebungsvollen Mienen beobachtete. 
„Erlaubt ihm eure Habseligkeiten, vorübergehend in das Zelt meines Reiters zu bringen. Soweit ich weiß, werden gerade Unterkünfte für euch vorbereitet.“ 
Karis hatte keine Einwände, solange der Elf vorsichtig war, da einige der Artefakte in den Taschen zerbrechlich waren. Und nach einer angemessen Warnung ließ er ihn an seine Habseligkeiten. Der silberhaarige Elf, der aussah, als ob er ungefähr im selben Alter wie der Schattenläufer war, verneigte sich ohne ein Wort zu sagen und mit einem letzten Blick aus großen Augen auf Sereth, begab er sich mit den Taschen zu einem Zelt das am Rand des Rastplatzes stand. Die Unterkunft unterschied sich in keinster Weise von den anderen. Vermutlich wollte Oromis seine Stellung als Reiter nicht so hervorheben, vermutete der nebelhaarige Reiter, als er sich zusammen mit Sereth und Glaedr auf den Weg zu einem der Pavillons machte, die in unregelmäßigen Abständen zueinander, über das gesamte Heerlager verteilt waren. 
Unterwegs kam Karis nicht umhin die sorgfältige Planung, mit der die Elfen ihr Heerlager errichtet hatten zu bewundern. Anders als die Varden schien das schöne Volk bereits beim Errichten ihrer Zelte die Drachen im Sinn gehabt zu haben. Ihre Zelte standen zwar ebenso wie bei den Menschen und Zwergen eng nebeneinander um möglichst wenig Platz zu verschwenden, aber dazwischen verliefen immer wieder breite Straßen auf denen sich selbst ein Drache so groß wie Glaedr ohne Probleme bewegen konnte.„Den Elfen ist dein Volk wirklich wichtig.“, bemerkte Karis anerkennend, während er zwischen Glaedr, der sie führte und seinem Seelengefährten, die Zelte passierte. Dabei bemühte er sich die Augen der zahlreichen Elfen, die ihn, oder vielmehr seinen Drachen, zwischen den Zelten hindurch anstarrten, zu ignorieren. 
Doch auch wenn er sich bemühte, den Schauer, den die vielen Spitzohren ihm den Rücken runter laufen ließen, konnte er nicht unterdrücken. Sein Körper trug einfach zu viele Narben von Elfenklingen, als das er sie ignorieren konnte. 
Sein Seelengefährte, dem das Unwohlsein seines Reiters nicht entging, sandte ihm ein Gefühl aus wohliger Wärme, bevor er antwortete.
„Offensichtlich.“ Abwesend blieb Sereth kurz stehen, um die Verzierungen, die viele der sie umgebenden aus Gras bestehenden Behausungen schmückten zu betrachten. In nicht wenigen Fällen, zeigten sie Artgenossen von ihm, wie sie sich erhaben in die Lüfte schwangen. Bemüht die Stimmung seines Reiters etwas aufzulockern, bemerkte er: „Meinst du, wenn du auch Flügel und Schuppen hättest, würden sie für dich auch solche Ornamente anfertigen?“ Karis stieß ein unwilliges Schnauben aus, konnte aber das kleine Bild, das die Vorstellung von ihm mit Flügeln und einem Schweif, langen mit Schuppen besetzten Klauen und Reißzähnen nicht verdrängen. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Die Vorstellung war einfach zu absurd. 
„Das wäre wirklich mal was.“ Ihr gegenseitiges Geplänkel wurde unterbrochen, als der goldene Drache, der vor ihnen herlief sich zu ihnen umdrehte.„Wir sind da.“ Bei einem flüchtigen Blick an seinen massigen Beinen vorbei, erkannte Karis, dass sie inzwischen vor einem großen Pavillon standen, der von 12 Elfenwachen umgeben war. Sie alle trugen eine weiße Rüstung und hielten in ihren rechten Händen schlanke Speere aus weißem Holz, auf deren Spitze sich tränenförmige Spitzen befanden. Das Metall glitzerte in dem Licht der Sonne wie durchsichtige Diamanten und warf regenbogenfarbige Lichtreflexe auf die Körper ihrer Träger.  
Obwohl die Stimme des goldenen Riesen so eindrucksvoll wie immer klang, entging Karis nicht der leicht knurrige Unterton, der von der Selbstbeherrschung des Drachen beinahe vollständig verdeckt worden war. Misstrauisch geworden, blieben das jüngere Drache – Reitergespann stehen. 
„Was ist los, Glaedr-Elda?“ Kurz ließ der dreibeinige Drache seinen Blick auf dem Zelt ruhen. Aus seiner Haltung, schlossen Karis und Sereth, dass er sich in Windeseile mit seinem Seelengefährten austauschte, bevor er ihnen antwortete. 
„Ihr solltet wissen, dass einige Mitglieder des Kronrates der Elfen nicht so gut auf euch zu sprechen sind.“ Karis Miene verdüsterte sich schlagartig und auch Sereth stieß ein scharfes Knurren aus. In diesem Moment teilten die Seelengefährten denselben Gedanken. Den Elfenfürsten, die von ihrer Überlegenheit den anderen Völkern gegenüber überzeugt waren, musste die Nachricht von einem Verräter aus ihren Reihen, einen herben Schlag versetzt haben. Ihr gesamtes Weltbild geriet durch die Information, dass eine der ihren einem solchen Ungeheuer hörig war, ins Wanken. So etwas säte Zorn und Wut in den Herzen der Betroffenen, doch das Problem war, dass diese Emotionen sich nicht immer gegen den Richtigen wandten. Besonders bei einem Volk, welches seine Gefühle meistens so tief in sich vergrub wie das Volk der Elfen. 
Ihre disziplinierte Haltung gestattete es ihnen nicht ihre Schockiertheit zu offenbaren. Dadurch fraßen sich ihre Emotionen, gefräßigen Insekten gleich,  in ihre Seelen und wurden mit der Zeit immer stärker, bis sie sich ein anderes Ziel suchten. 
Und da Karis bereits durch seine Rolle in der Auseinandersetzung zwischen Orden und Abtrünnigen ziemlich unbeliebt bei vielen der Adligen war, war er ein willkommenes Ziel für ihre Abneigung. 
„Du solltest dem Ganzen nicht so pessimistisch gegenüberstehen. Nicht alle von ihnen sind dir gegenüber derart feindselig eingestellt.“ „Stimmt. Und das ist ein weiteres Problem. Auch die nicht adligen Mitglieder ihres Volkes sind von dieser Neuigkeit betroffen und anders als bei meiner Vergangenheit kann Königin Islanzadi diese Information nicht so ohne weiteres zum Wohle ihres Volkes geheim halten. Ihre Krieger müssen wissen, dass es vorkommen kann, dass sie auf dem Schlachtfeld einer der ihren gegenüberstehen.“ 
Das Problem dabei war nur, dass diese Information ohne Zweifel auch für größere Wellen in anderen Gesellschaftsebenen ihres Volkes schlagen würde. Seine eigene Vorgeschichte hatte er zum Wohle der Moral der Elfentruppen vor den meisten Mitgliedern des Elfenheeres verborgen und auch bei den anderen Völkern wussten meist nur die höherrangigen Mitglieder ihrer Armeen davon. Doch Nyrias Rolle würde diese Bemühungen stark untergraben. Zwar waren von den einfachen Soldaten nicht alle so eingebildet, wie er es von einigen der Adligen erlebt hatte, aber auch sie würden schwer unter der Vorstellung leiden. Das war immerhin der Grund, aus dem die Elfenkönigin ihn hierher gebeten hatte. Sie wollte möglichst vermeiden, dass die Informationen sich willkürlich und unkontrollierbar ausbreiten würden, da in so einem Fall niemand würde vorhersehen können, wie die einfache Bevölkerung darauf reagieren würde.  
Und nach Möglichkeit sollte der Drachenreiter, der am meisten von dem Verrat der Elfe betroffen war, sich dazu äußern um mögliche Unruhen so gering wie möglich zu halten. Zumindest hatte sie ihm das so erklärt, als sie ihn gebeten hatte zu ihnen zu reisen. 
Kurz erwog Karis, ob es nicht vielleicht doch klüger wäre Nyrias Existenz einfach zu vertuschen und sie heimlich aus dem Weg zu räumen, doch Glaedr zerschlug diese Idee, noch bevor er sie vorschlagen konnte. 
„Die Rolle die diese Abtrünnige bei deinem Aufenthaltin Belatona gespielt hat, hat viele Mitglieder desKronenrates sehr getroffen. Einige, die dafür plädiert haben ihre Existenz zu verleugnen wurden sehr schnell zum Schweigen gebracht.“ Seine Worte wurden von einem Zwinkern begleitet, das vermutlich aufmunternd gemeint war. „Ihr solltet euch also keine allzu großen Sorgen machen. Ihr habt auch Unterstützer in ihren Reihen.“ Dem goldenen Riesen schien nicht entgangen zu sein, dass Karis Laune sich, mit zunehmender Nähe zu dem Zelt in dem die Führungsschicht der Elfen sich aufhielt, verdüsterte. 
„Außerdem gibt es eine Elfe, die sich sicher freuen wird euch beide wiederzusehen.“ Der leicht schelmische Unterton des letzten Drachen des alten Ordens entging Karis komplett. Auch das stumme Gelächter seines Seelengefährten ob seiner plötzlichen geistigen Abwesenheit hörte er nicht. All seine Gedanken waren gefangen von dem silbernen Schimmer in rabenschwarzem Haar, das sich in diesem Augenblick aus dem Zelt bewegte. Wie ein Sonnenstrahl durch eine dichte Wolkendecke, drang ihm Brionnas Lächeln, das sich bei seinem Anblick auf ihren Lippen bildete, bis ins Mark. Ohne, dass er es bemerkte, legte er die letzten Schritte bis zu dem Zelt zurück. 
Erst als er vor ihr stand, wurde er sich seiner Umgebung wieder bewusst. 
Sie trug ein zartgrünes, fast weißes Gewand, das ihr bis zu den Knien ging und auf Hüfthöhe eingeschnitten war, sodass es sie nicht in ihrer Beweglichkeit einschränkte und weiße Hosen. Ihre Arme waren frei, und an ihrem linken Oberarm war ein Messer befestigt. Ihre tiefblauen Augen leuchteten freudig, als sie zu ihm aufblickte und strahlten Wärme und etwas noch Tieferes aus, das er jedoch nicht wirklich benennen  konnte, als sie ihre Zeige – und Mittelfinger zu den Lippen führte und den Elfengruß ihres Volkes begann. 
Mit ebenso sanftem Lächeln, erwiderte er den Gruß. 
Als sie die Höflichkeitsformeln vollendet hatten, flüsterte sie so leise, dass keine der anderen Elfen, die den Pavillon umringten sie hören konnte: „Es freut mich, dass du wieder da bist.“ Ein warmes Gefühl strömte durch Karis, als er das hörte. Die Zuneigung, die in den Worten mitschwang, war offenkundig und kurz verstummte das unwohle Pochen, welches ihn bei dem Gedanken an die kommende Unterhaltung erfüllt hatte. Ebenso leise erwiderte er zärtlich: „Es ist schön wieder hier zu sein.“ Und als er in den blau glitzernden Augen der jungen Elfe versank, kam er nicht umhin festzustellen, dass das die Wahrheit war. Die Freude Brionna wiederzusehen, überwog den Schatten der Sorge, ob der kommenden Probleme mit dem Elfenadel, bei weitem.  

Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee gewesen hierherzukommen. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt