Der braune Sand verursachte ein knirschendes Geräusch unter Sereths Körper, als der große weiße Drache seine Liegeposition leicht veränderte. Zwar lag er nicht wirklich unbequem doch die Geschichte, die sein Reiter gerade erzählte nagte an den Nerven des weißen Drachen. Er konnte deutlich spüren, wie viel Überwindung es seinen kleinen Schatten kostete, seine Vergangenheit zu offenbaren und wie die Dornen ihrer Geschichte begannen, an seinen halb verheilten Narben zu kratzen.
Aber er spürte auch die Entschlossenheit seines Reiters und die Erleichterung, die ihn wie eine warme Welle durchflutete, da er sich, nach 100 Jahren, endlich nicht mehr verstellen musste. Darum erhob er auch keinen Einspruch, als der junge Reiter Murtagh, eine Frage stellte. „Woher weißt du, dass er wirklich nicht versucht hat, deiner Mutter zu helfen, sondern nur an dem Geld interessiert war? Das Ganze ist doch schon kurz nach deiner Geburt passiert, du kannst dich doch gar nicht mehr daran erinnern."
„Ein berechtigter Einwand", gab Karis zu, „bis ich 16 Jahre alt wurde, wusste ich auch nichts genaueres über die Umstände des Todes meiner Mutter. Nur das was mir mein Vater erzählt hat. Dass meine Mutter, bei meiner Geburt sehr krank geworden war und wenige Wochen darauf gestorben ist. Ich wusste weder von dem Magier, noch von dem Hass auf Magie, der sich daraufhin in meinem Vater festgesetzt hat."
Kurz schien es, als würde Sereths Reiter nicht weitersprechen, als sein Blick geistesabwesend auf den verkohlten Überresten des Lagerfeuers ruhte. Doch gerade als Dorns Reiter fragen wollte, wie es denn nun weitergegangen war, holte der Schattenläufer tief Luft und fuhr fort. „Ihr müsst wissen, dass mein Vater meine Mutter leidenschaftlich geliebt hat. Er war einer der wenigen Glücklichen in Alagaesia, denen es vergönnt war, seine große Liebe zu ehelichen und nicht aus politischem Kalkül oder geschäftlichem Interesse eine Ehe vollziehen musste. Und als diese ihm durch ihre Krankheit genommen worden ist, ist etwas in ihm zerbrochen. Die Gefühle der Angst und der Verzweiflung bei dem Gedanken, dass er sie verlieren würde, haben ihn fast wahnsinnig werden lassen. Als der Magier ihm dann versprochen hat, sie zu retten, hat sich seine ganze verzweifelte Hoffnung auf diesen Mann gerichtet.
Die aufkeimende Hoffnung, hat die Gefühle der Angst überdeckt, aber nachdem der Magier mit dem Geld verschwunden ist und seine Hoffnungen aufs Grausamste zerschlagen wurden, haben sich die seine ganzen aufgestauten Emotionen, voller Wut und Schmerz, auf die Magie und jene die sie praktizierten, gerichtet."
Kurz hielt Karis inne und Dorns Reiter kam nicht umhin, sich ein weiteres Mal zu fragen, woher er das alles wusste. Er hatte diese Frage, zwar bereits gestellt, doch eine direkte Antwort hatte er nicht bekommen, lediglich die Information, dass der Schattenläufer 16 gewesen war, als er die ganze Geschichte seiner Kindheit erfahren hatte. Doch ein weiteres Mal wollte er nicht fragen.
Auch wenn der ältere Reiter es sich kaum anmerken ließ, so sah Murtagh doch, wie nah es ihm ging seine Geschichte zu erzählen. Immer wieder verkrampften sich seine Hände und auch wenn sein Gesicht sich keine Regung anmerken ließ, so nahm der Schwarzhaarige, doch das leichte Zittern in der Stimme seines Gegenübers war.
Daher entschloss er sich zu warten, bis die Erzählung des älteren Reiters zu Ende war und dann seine Fragen zu stellen.
„Dieser Hass", fuhr Karis fort, „brannte in ihm, solange ich mich zurückerinnern kann. Anfangs spielte das für mich keine große Rolle. In Asvaron, der kleinen Stadt, in der wir lebten, gab es kaum Magier. Und die Drachenreiter, die damals noch den Himmel bevölkerten und immer mal wieder bei ihren Aufträgen, dort einen Zwischenstopp einlegten, nun ja, damals war noch nicht allgemein bekannt, dass jeder von ihnen in der Lage war Magie zu wirken." Kurz richtete Karis seinen Blick auf Oromis, der bestätigend nickte. „Magie war für die damalige Menschen noch etwas Fremdes und Unheimliches, darum haben wir vor dem Großteil der Bevölkerung geheim gehalten, über welche Fähigkeiten der alte Orden wirklich verfügte.", erklärte der alte Reiter.
„Deshalb war mir das wahre Ausmaß der Abneigung meines Vaters gegenüber der Magie nicht wirklich bewusst, bis zu meinem zwölften Lebensjahr. Ausgerechnet am Todestag meiner Mutter." Kurz verlor sich Karis Blick in der Ferne. Ein bitteres Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er fortfuhr. „Diesen Tag hatte ich in den ersten elf Jahren meines Lebens zu fürchten gelernt. Mein Vater hat sich zu dieser Zeit, immer von dem Rest des Haushalts abgeschottet. Selbst mit mir hat er nur das Wenigste gesprochen und so klein und unwissend, ich damals auch war, so habe ich doch bemerkt, wie ihn die Trauer in jenen Tagen immer zerfressen hat. Und schließlich in meinem zwölften Lebensjahr, habe ich es nicht mehr ausgehalten. Mein Vater begann, schon einige Tage vor ihrem Todestag, wortkarg und abweisend zu werden und ich wusste, dass der Tiefpunkt noch gar nicht erreicht war. Je näher der Tag kam, desto verschlossener wurde er.
Er vergrub sich immer mehr in seiner Arbeit, um sich vor dem Schmerz zu verstecken. Mir konnte er damals, zu dieser Zeit gar, nicht mehr ins Gesicht sehen, weil ich ihn zu sehr daran erinnerte, was er verloren hatte. Die ersten elf Jahre meines Lebens hatte ich es geschafft diese Zeit irgendwie zu überstehen, doch dann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Die ganze Verzweiflung über das Gefühl alleingelassen zu werden, hat sich Bahn gebrochen und ohne überhaupt zu wissen, was ich tue, habe ich direkt vor den Augen meines Vaters, das erste Mal einen Zauber gewirkt."
Der Schattenläufer verstummte. Der folgende Teil würde ihm schwer fallen zu erzählen. Denn dieser Zeitpunkt, war der Anfang der schwersten Zeit in seinem Leben gewesen. „Der Zauber den ich damals gewirkt hatte, war nichts Großartiges. Lediglich der verzweifelte Wunsch eines Kindes, das gar nicht verstand was vor sich ging, seinen Vater aufzuheitern. Ich habe einige schwarze Funken, von meiner Handfläche aufsteigen lassen, die dann in allen Farben des Regenbogens explodiert sind." Zur Veranschaulichung hob Karis die Hand und ließ, durch einen leise gemurmelten Zauber einen Schwarm, dunkler Funken von seiner Handfläche zu Boden rieseln.
„Eine simple Spielerei, die jeder geringfügig begabte Magier vollbringen kann. Aber die Reaktion meines Vaters war erschütternd."
Kurz zögerte Sereths Reiter und Murtagh warf ihm einen mitleidigen Blick zu. Er kannte das Gefühl, wenn die schlechten Erfahrungen mit dem eigenen Vater, auf den Schultern der nächsten Generation ruhten. Und auch der Gesichtsausdruck des Schattenläufers sprach Bände. Was auch immer als nächstes kommen würde, würde nicht angenehm werden.
Beinahe schon flüsternd fuhr Karis fort.
„Er hat nicht geschrien. Er wurde nicht laut. Stattdessen ist er ganz still geworden. In seinem Gesicht konnte ich sehen, wie für ihn eine ganze Welt zusammenbrach. Er konnte nicht akzeptieren, dass das einzige was ihm von seiner geliebten Frau geblieben war, von der Magie verseucht war. Sein Gesichtsausdruck hat mich so erschreckt, dass ich damals sofort auf mein Zimmer gerannt bin. Nur wenige Stunden später, hat mich ein Diener aufgesucht und mich angewiesen, das Haus zu verlassen."
Seine Stimme wurde bei den letzten Worten immer leiser, bis seine Zuhörer Schwierigkeiten bekamen, ihn zu verstehen. Sereth legte seinen Kopf, neben seinen Reiter ab und beobachtete ihn besorgt, aus seinen violetten Augen, als er spürte, wie die damaligen Erinnerungen an seinem Seelengefährten zehrten. Er konnte sehen, wie Bilder vor dem inneren Auge seines kleinen Schattens auftauchten. Ein dürrer, kahlköpfiger Zweibeiner, der ihn mit unterwürfigen Gesten, aus einer Tür geleitete. Die Verzweiflung und die Verwirrung, die seinen Reiter damals verspürt hatte, gefolgt von dem herzzerreißenden Schmerz, als er auf der Straße stand mit nichts mehr als den Kleidern, die er am Leib trug und der erschreckenden Erkenntnis, dass er allein war und das sein eigener Vater ihn nicht mehr liebte.
Als der weiße Drache spürte, wie sich diese Empfindung, einer glühenden Nadel gleich in das Herz seines Reiters bohrte, sandte er ihm eine Welle von Zuneigung und Liebe. Fast sofort fühlte er wie die sanfteren Gefühle, die er seinem Seelengefährten gegenüber empfand, dessen Geist beruhigten.
Mit einem sanften Stoß derselben Emotionen, erwiderte Karis die Zuwendung seines Drachen und mit nun ruhigerer Stimme, fuhr er fort. „Anfangs habe ich gar nicht verstanden was dieser Diener mir sagen wollte. Seine Worte klangen für mich, so unwirklich. Als mir dann klar wurde, dass es ihm wirklich ernst war und ich in dem Haus meines Vaters nicht mehr willkommen war, . . . ich habe es einfach nicht verstanden." Kurz schloss er die Augen und ein tiefer Schmerz trat auf seine Züge.
„Bis ich meinen Vater gesehen habe. Es war nur kurz, über die Schulter des Dieners, der mir auf seine Anweisung ausrichten sollte, dass ich sein Haus zu verlassen hatte. In seinem Blick konnte ich erkennen, dass in dem Moment in dem ich vor seinen Augen Magie gewirkt hatte, sein Sohn für ihn gestorben war.
Der reine Abscheu stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dieser Blick hat etwas in mir zerbrochen. Wie durch Nebel habe ich den Diener wahrgenommen, der mich aus dem Haus geleitet hat. Alles erschien mir damals so unwirklich. Dieser Schleier aus Trauer und Unglauben, den der hasserfüllte Blick meines Vaters über mich gelegt hat, trübte meine Sinne. Die Menschen um mich herum waren gesichtslose Schatten. Das Leben, das in Asvaron herrschte, lief weiter wie immer, doch ich nahm nicht mehr daran teil. Es war, als ob ich nicht mehr zu dem natürlichen Kreislauf der Welt gehören würde." Kurz hielt Karis die Luft an, wie um Kraft zu sammeln, ehe er die nächsten Worte ausstieß: „Dieses Gefühl der Einsamkeit ist etwas, dass ich niemandem wünsche."
„Wollte denn keiner der Stadtbewohner dir helfen?", fragte Oromis schließlich, als Karis auch nach einigen Minuten nicht fortfuhr. Karis stieß ein bitteres Schnauben aus. „Nein, Asvaron war ein ziemlich ärmliches Städtchen. Mein Vater war der wohlhabendste Mann dort und als der Hauptarbeitgeber, wollte ihn niemand gegen sich aufbringen." Murtagh nickte. Eine Woge des Verständnisses durchflutete den jungen Reiter. Dieses Gefühl konnte er durchaus nachvollziehen. Er erinnerte sich daran, wie es war, als er in Uru baen aufgewachsen war. Als einziger Sohn des ersten der Abtrünnigen, hatte er immer unter strengster Beobachtung gestanden. Und viele, hatten diese Aufsicht mit Wertschätzung des Königs, ihm gegenüber verwechselt.
Daraufhin waren sie ihm, nur mit ausgesuchter Höflichkeit begegnet. Doch als er nachdem ihn die Zwillinge gefangen genommen und wie einen entflohenen Sklaven, in die Hauptstadt des Imperiums zurückgeschleift hatten, war von dieser Freundlichkeit keine Spur mehr zu spüren geblieben. Die Speichellecker, die sich immer nach den Launen des Königs richteten, waren ihm von vornherein mit größtmöglicher Verachtung begegnet und selbst die wenigen, die einen Hauch Mitgefühl für ihn gehabt hatten, hatten sich aus Angst vor dem König von ihm ferngehalten.
Karis hatte anscheinend nicht übertrieben, als er gesagt hatte, dass er sich in seine Lage hineinversetzten könne. Mit neuem Respekt in den Augen wandte er sich wieder dem Schattenläufer zu, als dieser fortfuhr. „Damit wäre dann der erste Teil meiner Lebensgeschichte abgeschlossen. Ich kann nicht genau sagen, wie lange ich auf den Straßen Asvarons dahinvegetiert bin, aber ich erinnere mich noch genau, wie ich aus dem apathischen Nebel gerissen wurde, der mich erfasst hatte." Mit diesen Worten erhob der Reiter des weißen Drachen sich und ging ein paar Schritte, bis er neben seinem Sattel stand, den er seinem Seelengefährten, nachdem sie Murtagh und Dorn gefangen genommen hatten, abgenommen hatte.
„Und wodurch wurdest du, aus diesem Nebel gerissen?", wollte Dorn schließlich ungeduldig wissen, da der Schattenläufer, der gerade in den Satteltaschen wühlte, keine Anstalten machte, die Geschichte fortzusetzen. Auch jetzt ignorierte er die Frage des roten Drachen und zog stattdessen eine bemalte Schieferplatte aus der Tasche. Einen Moment lang betrachtete er die feinen Linien, so dass die anderen beiden Reiter keinen Blick darauf erhaschen konnten, bevor er zurück ans erloschene Lagerfeuer trat. Mit einem Seitenblick auf Murtagh erklärte er: „Das ist ein sogenanntes Wunschbild. Ein Idee der Elfen um schnelle und genaue Bilder von Objekten, Personen und Ereignissen einzufangen, die sie für die Nachwelt erhalten wollen."
Mit einem Ruck drehte er das Bild um, das er bis jetzt an seiner Brust verborgen hatte. „Das hat mich aus meiner Apathie gerissen." Als die beiden anderen Reiter das Bild genauer betrachteten sogen sie erschrocken die Luft ein. Selbst der erfahrenere elfische Reiter war geschockt. Auf dem Bild konnte man aus nächster Nähe, den Schattenelfen Ecros erkennen. Die schlanke Gestalt des Schattens schien sich traumwandlerisch aus dem Nebel zu lösen. Feine Dunstschwaden, durch die die umgebenden Gebäude, lediglich wie schwarze Schemen erschienen, umzüngelten seine Körper. Sein Gesicht war bleich wie der Tod, seine giftgelben Augen funkelten gefährlich und sein blutrotes Haar wehte hinter ihm her. Er stand leicht gebeugt die eine Hand auffordernd ausgestreckt, während seine Lippen ein Lächeln zierte, das Welten in Brand stecken konnte.„Und so, bin ich an den schlimmsten Lehrer in der Geschichte Alagaesias gekommen."
DU LIEST GERADE
Der Weiße Schatten
FanficEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...