11. Ankunft bei den Varden

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Kurz nach Mittag kamen die ersten Zelte der Varden in Sicht. Wie eine Ansammlung von Felsen ragten unzählige Zelte unter ihnen in die Höhe. Staunend blickten Karis und Sereth sich um. So einen Anblick waren sie nicht gewohnt. Zur Zeit des Krieges zwischen den Wyrdfell und dem alten Orden hatten sie immer ihr Möglichstes getan den Schlachtfeldern fern zu bleiben. Zu groß war ihre Sorge gewesen von beiden Seiten gejagt zu werden. Und in den vergangenen 100 Jahren hatten auch die Feinde des Wyrdfell nie ein Heer dieser Größe zu Stande gebracht, deshalb war es auch für den König nie notwendig gewesen eine derartig große Streitmacht aufzustellen, die die beiden Seelengefährten jetzt überflogen. Während Drache und Reiter noch völlig in die Betrachtung der Armee unter sich versunken waren, nahm Karis plötzlich war wie Eragon ihm von Saphiras Rücken aus etwas zurief. Doch durch den entgegenkommenden Wind verstand er nur Bruchstücke, aber noch bevor er den Sinn hinter der Warnung des Schattentöters erfassen konnte, geschah es. Wie immer wenn sie sich unbekannten Personen näherten, waren auch diesmal die Sinne von Karis und seinem Seelengefährten aufs äußerste geschärft. Sie hatten in der Vergangenheit auf die harte Tour gelernt nie ihre Deckung zu vernachlässigen. Trotz des überwältigenden Anblicks hatten die beiden ihre ihre Umgebung genau im Auge behalten und als sie spürten wie bei Sereths Anblick, Aufregung die Varden unter ihnen ergriff, wussten beide was als nächstes geschehen würde. Innerhalb von Augenblicken würde die Überraschung der Varden in Angst und dann in Panik umschlagen. Und als Karis spürte wie die ersten Bogenschützen der Varden ihre Bögen spannten, seufzte er ergeben und übermittelte seinem Seelengefährten: „Kommt dir das auch so bekannt vor wie mir?" Sereth schnaubte ehe er mit einem sarkastischen Unterton antwortete: „Nein, wie kommst du denn darauf?" Danach verstärkten Drache und Reiter vorsichtshalber noch einmal den Schutzwall um ihren vereinten Geist. Nicht, dass ein vorwitziger Magier der Varden noch auf die Idee kam sie im Geist anzugreifen. Karis bezweifelte zwar, dass die Varden über einen Magier verfügten, der ihnen gefährlich werden konnte, doch Vorsicht war besser als Nachsicht. KSereths Reiter war für gewöhnlich eine sehr geduldige und umgängliche Person, aber wenn jemand in seinen Geist eindrang, dann war es mit seiner Geduld zu Ende. Dann schlug er mit aller Gewalt zurück. Er hatte auf die schlimmste Art und Weise gelernt seinen Geist zu schützen und wie das kostbarste zu hüten was er besaß. In seiner Ausbildung hatte er zu jeder Tages- und Nachtzeit mit einem Angriff rechnen müssen und er war jedes Mal wenn er sich nicht schnell oder nicht stark genug abgeschirmt hatte, sowohl mit körperlichen als auch mit Schmerzen auf geistiger Ebene bestraft worden, die sich selbst gestandene Soldaten nur schwer vorstellen konnten. Seitdem war sein Verstand sein wertvollster Besitz, in dem er nur seine eigenen Gedanken oder die geistige Gegenwart seines Drachen duldete. Gegen jeden anderen der in seinen Geist eindrang, verteidigte er ihn aufs Schärfste, was für die meisten seiner Gegner bis jetzt tödlich ausgegangen war. Da er jedoch seine neue Allianz mit den Varden nicht durch den Tod eines ihrer Magier belasten wollte, musste er vorsichtig sein, denn er hatte nicht vor seinen Geist soweit abzuschirmen, dass er gar nichts mehr um sich herum wahrnahm. Das wäre angesichts der neuen und unbekannten Umgebung töricht. Daher entschied er sich für eine Zwischenlösung. Während er seinen Geist aussandte um die Gefühlslage und die Umgebung zu erkunden, wandte er zudem eine der Basistechniken der Astrallevitation an. Und ließ zur selben Zeit seinen Geist mit dem Wind treiben. Dadurch waren seine Gedanken so treibend und schwer zu fassen, dass es selbst einem erfahrenen Magier schwer fallen würde ihn wahrzunehmen. Während diese Gedanken durch Karis Kopf gingen, bemerkte er wie die Panik in den Reihen der Varden unter ihm ausbrach. Und schon sirrten die ersten Bogensehnen. Zischend flogen die Pfeile durch die Luft, bevor sie auf den Drachenkörper trafen. Mit spöttischem Grinsen beobachtete Karis wie die ersten Pfeile die, die Bogenschützen der Varden abgefeuert hatten, an Sereths harten Schuppen abprallten, wusste er doch genau, dass derartige Geschosse kaum eine Wirkung auf seinen Seelengefährten hatten. Jeder einzelne der Pfeile zerbrach beim Auftreffen auf den weiß glitzernden Koloss und fiel zersplittert wieder zu Boden. Selbst die Pfeile die auf die Schwingen des Drachen gezielt hatten zerbrachen an den feinen fast durchsichtigen Schuppen die, die Flügel bedeckten. Fassungsloser Unglaube breitete sich unter den Schützen am Boden aus, doch noch bevor sie erneut anlegen konnten um ein weiteres Mal zu feuern, beobachtete Karis, wie auf einmal ein hagerer Soldat in der Uniform eines Offiziers vor die Schützen trat. Was er zu den Soldaten sagte konnte Karis nicht verstehen, aber er nahm wahr wie die Gefühlslage der Soldaten sich veränderte bis sie beschämt den Kopf senkten. Was weiter mit ihnen geschah, konnte Karis nicht wahrnehmen, denn im nächsten Moment setzte Saphira zur Landung an und Sereth folgte ihr. Schon bevor die beiden Drachen den Boden berührten, konnte Karis vom Rücken seines Drachen aus erkennen, wie Unsicherheit die umstehenden Varden ergriff. Zwar schienen die meisten von ihnen inzwischen begriffen zu haben, dass er und sein Seelengefährte keine Feinde waren, aber sie schienen dennoch nicht genau zu wissen, was von ihnen zu erwarten war. Als Sereth hinter Saphira den Boden berührte, konnte Karis förmlich vor sich sehen, was den umstehenden Menschen, Zwergen und Urgals bei dem Anblick des ihnen unbekannten weißen Drachen durch den Kopf ging. Zwar schien das Gefühl der Überraschung bei fast allen anwesenden dasselbe zu sein, trotzdem nahm Karis als er von dem Rücken seines Drachens aus in die Menge blickte und seinen Geist wandern ließ, auch Spuren von Misstrauen und sogar Zorn war. Bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass der größte der Teil der negativen Gefühle, die ihm und seinem Seelengefährten entgegenschlugen, von den Zwergen auszugehen schien. Das war verständlich. Immerhin hatten die Zwerge in diesem Krieg erst vor kurzem ihren König verloren. Karis Auftauchen zum jetzigen Zeitpunkt musste ihnen einfach unfair erscheinen. Vermutlich dachten sie, dass wenn Karis und Sereth sich früher gezeigt hätten, dass ihr König noch leben würde. Deshalb gaben sie ihnen jetzt vermutlich eine Teilschuld an Hrothgars Tod. „Und wenn schon.", unterbrach Sereth die Gedankengänge seines Reiters. „ Zu der Zeit hatten wir keine Gelegenheit einzugreifen. Während die Schlacht auf den brennenden Steppen tobte, waren wir im Beor-Gebirge unterwegs und haben die letzten Chimären getötet, die Ecros dort zurückgelassen hat. Hätten wir diese Gefahr ignoriert, hätten diese Ungeheuer sich in der Abwesenheit der Zwergenkrieger auf ihre oberirdischen Städte gestürzt." „Du hast recht.", antwortete Karis: „Aus der Sicht der Zwerge muss es einfach ungerecht erscheinen, dass sie ihren König verloren haben, nur weil wir uns nicht früher dem Heer der Varden angeschlossen haben. Daher werden sie uns jetzt mit einer gewissen Missgunst betrachten. Zwar hatte unser Handeln das Ziel, künftiges leid unter ihrem Volk zu verhindern, aber das können sie nicht wissen. Daher ist es zwar betrüblich, aber ich kann ihre Gefühle durchaus verstehen. Bei diesem Hintergrund, bin ich schon gespannt was sie sagen werden, wenn erst die ganze Wahrheit über uns herauskommt." Das letzte fügte er hinzu um wieder einen etwas lockereren Ton in das Gespräch mit seinem Seelengefährten zu bringen. Und es schien zu funktionieren. Sereth schnaubte amüsiert, während sein Reiter von seinem Rücken stieg. „Das werden wir dann schon rausfinden. Wir hatten ja schließlich nicht vor es den Varden gleich zu Beginn unserer Allianz zu verraten. Und bis wir es ihnen sagen werden sie uns schon so ins Herz geschlossen haben, dass es sie gar nicht mehr interessieren wird.", fügte er in ironischem Tonfall hinzu. Bei dieser sarkastischen Aussage, musste Karis der inzwischen von Sereths Rücken gestiegen war und jetzt zusammen mit seinem Drachen beobachtete, wie Eragon und Saphira eine dunkelhäutige Kriegerin, sowie einen Mann mit kräftiger Statur, schulterlangem Haar und einer Krone auf dem Kopf und eine Elfe und einen Kull begrüßte, sich beherrschen um nicht zu lachen. Stattdessen beobachtete er die Leute mit denen der Schattentöter gerade sprach und bei denen es sich zweifellos um hochgestellte Persönlichkeiten handelte. Die Kriegerin mit der dunklen Haut musste Nasuada sein. Die Tochter von Adjihad. Karis hatte sie noch nie gesehen, aber er wusste, dass sie nach dem Tod ihres Vaters die Führung der Varden übernommen hatte Bei dem Mann mit der Krone handelte es sich zweifellos um König Orrin von Surda. Zwar war Sereths Reiter dem König noch nie offiziell vorgestellt worden, aber wie bei den Varden, hatte er sich auch bei den adligen Familien Surdas manchmal umgesehen. Immerhin konnte es nicht schaden wenn man sich einen Überblick über Galbatorix Feinde verschaffte. Jetzt machte der König einen recht neugierigen Eindruck auf Karis. Trotz der Tatsache, dass sein Geist von massiven Mauern umgeben war, entging dem Schattenläufer das gesteigerte Interesse nicht, dass jedes Mal in den Augen des Königs aufblitzte wenn er in seine Richtung blickte. Der Elfe die zusammen mit den anderen Vertretern der Varden bei Eragon stand konnte Karis weniger leicht ansehen was sie dachte, aber das hatte er auch nicht erwartet. Aufgrund der Selbstbeherrschung des schönen Volkes, wie die Elfen oft genannt wurden, war es nahezu unmöglich ihnen anhand ihrer Gesichtszüge anzusehen was ihnen durch den Kopf ging. Trotzdem kam es ihm so
vor als würde sie ihn misstrauisch mustern. Der riesige Kull, der sich eher am Rand der Gruppe aufhielt, machte auf Karis auf den ersten Blick einen recht simplen Eindruck, aber als der Drachenreiter flüchtig den Geist des riesenhaften Zweibeiners streifte wurde er eines besseren belehrt. Der geistige Schutzwall des grauhäutigen Riesen, offenbarte eine messerscharfe Intelligenz und eine geistige Flexibilität, die Karis einem Vertreter seines Volkes gar nicht zugetraut hätte. Selbst ohne in seine Gedanken zu blicken, war dem Drachenreiter klar, dass dieser Urgal ein wertvoller Verbündeter und ein gefährlicher Gegner war. Nachdem er die Gesprächspartner des Schattentöters einige Augenblicke beobachtet hatte, wandte sich Karis an seinen Drachen, der ihre neuen Alliierten ebenfalls gemustert hatte. „Und was hältst du von ihnen?", unterbrach Karis schließlich die Überlegungen des Drachen. Sein weißer Seelengefährte dachte noch einen Moment nach bevor er schließlich antwortete: „Ich weiß es noch nicht. Ich denke die Anführerin der Varden scheint eine kluge Persönlichkeit zu sein. Vor allem scheint sie frei von Vorurteilen zu sein. Wenn man bedenkt, dass sie ein Bündnis mit den Urgals eingegangen ist, obwohl sie ihren Vater getötet haben. Das deutet auf eine beträchtliche Charakterstärke hin. Den Urgal und die Elfe kann ich nicht einschätzen. Mit den Urgals hatten wir bis jetzt von deinem Zweikampf und der Schlacht in Farthen Dur abgesehen noch nicht viel zu tun, daher kann ich dazu nichts sagen. Was die Elfe angeht, scheint sie etwas misstrauisch zu sein." Karis nickte. Das war ihm auch schon aufgefallen. Auch jetzt während Eragon den vier Persönlichkeiten mit denen er sich unterhielt schilderte was ihm geschehen war, beobachtete sie Karis und seinen Drachen argwöhnisch. Indes sprach Sereth weiter: „ Allerdings war das zu erwarten. Viele Elfen lebten zur Zeit des alten Ordens bereits und das unerwartete Auftauchen eines neuen Reiters von dem sie noch nie gehört haben, der aber wie man an meiner Größe sieht eindeutig zur Zeit des alten Ordens geschlüpft ist, dürfte ein Volk, das so lange mit den damaligen Reitern befreundet war und die über fast jeden Reiter in Alagaesia Bescheid wussten, sehr misstrauisch machen. Allerdings beruht dieses Misstrauen schließlich auf Gegenseitigkeit." Das letzte fügte Sereth mit einem bitteren Ton hinzu. Karis zuckte zusammen als ihn bei dem bitteren Ton seines Drachen einige der Erinnerungen seines Seelengefährten streiften. Rasch sandte er Sereth eine Welle von Gefühlen von denen er hoffte, dass die seinen Drachen beruhigen würden, auch wenn er nicht anders konnte als ihm zuzustimmen. Karis trug ebenso wie Sereth eine Menge Narben die vom Kontakt mit den Elfen herrührten. Auch wenn die Narben des Drachen eher auf seiner Seele lagen. Bei dieser Vorgeschichte, war es mehr als gerechtfertigt, dass sich die beiden in Gegenwart des Elfenvolkes etwas unwohl fühlten. Trotzdem war den Seelengefährten klar, dass die Varden und ihre anderen Verbündeten in den kommenden Kämpfen zu einem guten Teil von den Elfen abhängig sein würden, daher wäre es falsch, wenn Karis und Sereth ihnen von vornherein ablehnend gegenüberstehen würden. Wenn die Elfen, die sich in diesem Moment auf ihren Angriff auf das Imperium vorbereiteten, davon erfuhren, dass der neue Reiter, der auf der Seite der Varden kämpfte eine Abneigung gegen sie hegen würde, dann würde das Fragen aufwerfen. Fragen die er nicht zu beantworten gedachte. Nicht, weil er sich für das was damals geschehen war schämte, sondern weil es einer der größten Fehler des alten Ordens gewesen war. Und auch wenn Karis manchmal gern den Völkern Alagaesias vor Augen geführt hätte, dass der damalige Orden nicht perfekt gewesen war, so wäre es zu diesem Zeitpunkt doch fatal gewesen, wenn das bekannt geworden wäre. Es hätte der Moral der Varden, die an das gerechte Verhalten und die Weisheit des alten Ordens glaubten, einen schweren Schlag versetzt. Und auch die Elfen, die momentan zu den wichtigsten Verbündeten der freien Völker gehörten und die an diesem Fehler nicht unbeteiligt gewesen waren, hätte es zutiefst erschüttert. Daher hatten Karis und Sereth bevor sie sich auf den Weg zum Helgrind gemacht hatten, entschieden um den Kampf gegen Galbatorix nicht zu gefährden dieses Geheimnis für sich zu behalten. Während Karis und sein Seelengefährte sich gedanklich unterhielten schien Eragon inzwischen zum Ende seines Berichts gekommen zu sein, denn die kleine Gruppe die sich um ihn gebildet hatte, setzte sich unvermittelt in Bewegung und trat zusammen mit ihm auf Karis zu. Einen Moment schluckte der Schattenläufer nervös, als er sah wie die Anführer der Varden auf ihn zukamen und er musste gegen das Verlangen ankämpfen sich einfach auf Sereths Rücken zu schwingen und das Weite zu suchen. Ihm war klar, dass jetzt der schwierigste Teil kommen würde, aber er wusste auch, dass sich das nicht umgehen lassen würde. Wenn er sich mit den Varden verbünden wollte, dann musste er sich dieser Unterhaltung die jetzt zweifellos auf ihn zukam stellen. Er spürte die stumme Zustimmung seines Seelengefährten. Und so blickten Drache und Reiter, mit einem mulmigen Gefühl im Magen, ihrer Zukunft bei den Varden entgegen.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt