29. Sorgen und Pläne

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Bebend vor Zorn schleuderte Ecros eine der Phiolen, die er noch vor kurzem hingebungsvoll mit dem Blut seines neuesten Opfers gefüllt hatte, gegen die Wand. Mit einem lauten Klirren zerbarst das Glas und die Flüssigkeit rann tropfend an der kalkweißen Wand herab. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Nicht ein Einziger dieser verdammten Elfen war durch seine Schöpfungen auch nur ernsthaft verletzt worden. Auch die Drachenreiter, auf die er es eigentlich abgesehen hatte, waren unversehrt davongekommen. Mehr noch, der Reiter, der sich Schattentöter nannte, hatte es nicht einmal für nötig befunden an dem Kampf teilzunehmen, so als ob er Ecros Schöpfungen nicht ernst nehmen würde. Bei dem Gedanken an diese Unverschämtheit spürte der Schattenelf, wie der Zorn ein weiteres Mal glühend heiß in seiner Brust aufloderte und mit einem gellenden Schrei, nahm er eines der Messer, die er immer auf seinem Labortisch liegen hatte und begann auf das unfertige Fleisch einzustechen, das gerade dabei gewesen war sich unter seinen Beschwörungen in eine neue Chimäre umzustrukturieren, als ihn die Neuigkeit erreicht hatte. Das schmerzerfüllte Zischen die das unfertige Gebilde dabei von sich gab linderte die Dornen aus Wut und Rachsucht, die sich in diesem Moment durch seine Adern zu ziehen schienen und er konnte wieder ein wenig klarer denken.
Zuerst hatte er gar nicht verstanden was vor sich gegangen war. In einem Moment hatte er noch durch die Augen der Chimären sehen können, wie sich dazu angeschickt hatten, ihre Klauen in die Elfen und Drachen zu schlagen als plötzlich ein geistiger Angriff von unglaublicher Wucht in das kollektive Bewusstsein seiner Schöpfungen gerast war. Der Schmerz, der ihn im nächsten Moment von all seinen Kreaturen gleichzeitig erreicht hatte, hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen.
Das Gefühl war so knochenzermalmend gewesen, dass er sich zum ersten Mal seit er seine Chimären erschaffen hatte aus ihren Köpfen zurückziehen musste. Zwar nur für wenige Augenblicke, um sich wieder zu sammeln, aber bereits das war zu viel gewesen. Als er, mit dem festen Vorsatz sich für diesen unerwarteten geistigen Angriff zu rächen, versucht hatte sich wieder mit seinen Schöpfungen in Verbindung zu setzen, da hatte er sie nicht mehr erreicht.
Es war, als würde ihr Bewusstsein aus dichtem Nebel bestehen und immer wenn er das Gefühl hatte er hätte eines davon erreicht, hatte es sich in feines Gespinst aufgelöst. Im ersten Moment war er fassungslos gewesen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte ihm gedämmert, was geschehen sein musste. Dieser geistige Angriff war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. Sein ehemaliger Schüler hatte ihn damit von seinen Kreaturen trennen wollen um in dem kurzen Moment in dem sein Bewusstsein von ihrem getrennt war eine Barriere um ihre Gedanken zu ziehen.
Bei dem bloßen Gedanken, dass ihn ausgerechnet der Reiter, den er selbst ausgebildet hatte dermaßen hinters Licht geführt hatte, kam ihm die Galle hoch und mit erneut aufwallendem Zorn, stieß er das Messer in die sich windende Masse zu seinen Füßen. Das rohe Fleisch zuckte und krümmte sich schmerzerfüllt und die noch unfertigen Stimmbänder ließen ein schmerzerfülltes Wimmern erklingen. Kurz verlor er sich in der Musik die der Körper unter seinen Schnitten und Stichen von sich gab, als ihm mit einem Mal ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.
Schneidend wie eine Klinge bohrte sich ein völlig neuer Gedanke in seinen Kopf, den er die letzten Minuten aus Zorn und Rachsucht völlig übersehen hatte. „Was würde geschehen, wenn der König davon erfuhr." Bei der bloßen Vorstellung wurde es dem Schattenelfen kalt und heiß zugleich. Er bekam gar nicht mit, dass er so in Gedanken versunken war, dass er aufgehört hatte auf den inzwischen wieder reglosen Haufen Fleischs einzustechen.
Schon das letzte Mal als seine Chimären dabei versagt hatten den Reiter des weißen Drachen und seine Echse zu erlegen, war der König außer sich gewesen und dieses Mal war es noch weit schlimmer.
Ecros zweifelte nicht daran, dass Karis nachdem er die Chimären von dem Einfluss ihres Schöpfers befreit hatte, einen Weg finden würde sie zu kontrollieren. Allein die Vorstellung wie Galbatorix reagieren wird, wenn er erfährt, dass Ecros neueste Schöpfung nicht nur keines der von ihm gewünschten Ziele getötet hatte, sondern noch obendrein bald für die Varden kämpfen würde, ließ ihn schaudern. Einen Moment lang bemühte er sich krampfhaft die Panik die in ihm aufkam zu unterdrücken, ehe er sie zuließ. Augenblicklich loderte das einzige Gefühl in ihm auf, das seine Rachegelüste mühelos ersticken konnte. Sein Selbsterhaltungstrieb. Ein einziger Gedanke schoss ihm durch den Kopf. „Er musste hier weg!"
Doch schon im nächsten Moment rief er sich zur Räson. So durfte es nicht enden. Er war nach Uru baen gekommen um den König zu benutzen um die anderen Drachenreiter zu erledigen und ihm dann seine Macht zu stehlen. Doch dieses Ziel war nun nicht mehr durchführbar. Er musste sich etwas anderes überlegen. Während er unruhig durch das Laboratorium schlich, ließ er seinen Blick immer wieder über die verschiedenen Tierteile wandern, die in speziellen Glasbehältern in den Regalen standen.
Ihm kam die Idee das Wohlwollen des Königs möglicherweise mit einer neuen Chimäre zu erlangen, aber diesen Gedanken verwarf er gleich wieder. Wenn der König erst erfuhr, dass seine Armee in naher Zukunft gegen einige von Ecros Schöpfungen würde kämpfen müssen, dann war es unwahrscheinlich, dass ihn andere Vertreter derselben Art würden besänftigen können. Unruhig suchte er weiter, nach einem Anhaltspunkt, wobei sein Blick auch immer wieder über die Kristalle glitt, die Galbatorix jeden Tag, bis zum Bersten mit Energie füllte. Ein schmallippiges Lächeln bildete sich für einen kurzen Moment auf dem Gesicht des Schattens als er an das erste Gespräch das er mit dem König geführt hatte, bei dem es um die Erschaffung der Chimären ging, dachte.
Damals hatte er den Drachenmörder zum ersten Mal belogen. Der König hatte von ihm wissen wollen, welche Energiemengen nötig wären um eine einzelne Chimäre zu erschaffen um zu wissen, welche Kraftmengen er seinem vermeintlichen Sklaven zur Verfügung stellen sollte. Der Wert, den der Schattenelf ihm damals genannt hatte, war viel zu hoch gewesen. Diese Täuschung hatte sich mehr als bezahlt gemacht. Dadurch, dass in seinem Zimmer immer eine beträchtliche Menge an Energie übrig geblieben war, war es Ecros möglich gewesen in der Zeit, die er in der Zitadelle verbracht hatte einen beträchtlichen Energievorrat anzulegen.
Und diesen würde er jetzt nutzen müssen. Mit einem Lächeln zog er einen Krummdolch aus seiner Tasche hervor, der am Knauf mit einem einzigen funkelnden schwarzen Edelstein geschmückt war. In diesem Kristall, war die gesamte von ihm gesammelte Kraft gespeichert. Ein letztes Mal übertrug er die Kraft aus den Energiespeichern, die ihm Galbatorix zur Verfügung gestellt hatte in den Dolch. Leicht wehmütig betrachtete er noch kurz die Kristalle. So schnell würde er nie wieder an eine derartige Energiemenge kommen. Aber das war jetzt nebensächlich. Ein letztes Mal warf er einen Blick auf sein Laboratorium. Er hegte zwar keine besondere Bindung zu diesen Räumlichkeiten, aber den vielen Forschungen, die ihm aufgrund des unermesslichen Energievorrats möglich gewesen waren, trauerte er kurz nach. Doch dann gab er sich einen Ruck. Er hatte keine Zeit in Erinnerungen zu schwelgen. Wenn der König erst einmal erfuhr, was sich im Lager der Varden zugetragen hatte, dann waren seine Tage gezählt.
Aber gleichzeitig regte sich so etwas wie Widerwillen in ihm. Er war der mächtigste Schatten, der Alagaesia in den letzten 500 Jahren heimgesucht hatte. Und jetzt sollte er einfach den Schwanz einziehen und vor diesem Bengel, der auf dem Thron Alagaesias saß, davonlaufen. Das kam nicht in Frage. Ein brennendes Gefühl breitete sich angesichts seiner neuen Entschlossenheit in ihm aus. Er würde vorerst verschwinden müssen, daran führte kein Weg vorbei, aber er würde sich nicht verstecken. Mit neu erwachtem Enthusiasmus blickte er sich auf der Suche nach einer Idee, wie er die ganze Situation doch noch für ihn zum Guten wenden konnte, ließ er seinen Blick ein weiteres Mal durch das Labor schweifen. Doch diesmal mit einem völlig anderen Ziel vor Augen.
Und da traf es ihn plötzlich eiskalt. Beim Anblick des halbfertigen Haufen Fleisches, der immer noch in dem Beschwörungskreis lag, regte sich eine schwache Erinnerung in ihm. An ein Experiment, das er vor vielen Jahren begonnen hatte, das er aber immer wieder wegen seiner Kämpfe mit seinem ehemaligen Schüler hatte unterbrechen müssen. Die Umsetzung dieses Versuchs erforderte nämlich die kontinuierliche Freisetzung einer beträchtlichen Menge an Energie und da Karis ihm die letzten 100 Jahre ständig im Nacken gesessen hatte, hatte er keine Gelegenheit gehabt, die erforderliche Energie zu sammeln. Doch jetzt war das anders.
Mit einem düsteren Lächeln blickte er auf den schwarzen Edelstein, der im flackernden Licht der Fackeln unheilvoll glitzerte. Mit dieser Energie, die er von Galbatorix gesammelt hatte, würde er eine Macht entfesseln, die ihn dem Ziel, dass er verfolgt hatte, seit er zum ersten Mal Uru baen betreten hatte, einen gewaltigen Schritt näher brachte. Mit einem letzten Blick auf das Labor, ließ er den Dolch mit dem Energiespeicher in seiner Tasche verschwinden und verließ die Räumlichkeiten, die er seit seiner Ankunft in der Zitadelle kaum verlassen hatte. Es wartete eine Menge Arbeit auf ihn. Der König und seine anderen Feinde würden sich noch umsehen.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt