59. Wiedergewonnene Freundschaft

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Aufgeregt blickte Murtagh dem blauen Drachen entgegen, der ihnen gefolgt von einem Dutzend Elfen, die am Boden in einigem Abstand hinter ihm herrannten, entgegenflog. Obwohl er sich bemühte sich äußerlich nichts anmerken zu lassen tobte ein Orkan in der Brust von Dorns Reiter. Er hatte keine Ahnung wie das Treffen mit seinem kleinen Bruder vonstattengehen würde. Zwischen ihnen war einfach zu viel vorgefallen. Zwar waren sie als sie sich kennengelernt hatten wirklich gute Freunde gewesen und auch die Gespräche über den Spiegel, die sie nach seiner Befreiung geführt hatten waren nach einer Weile entspannter geworden, aber Eragon und Saphira persönlich gegenüberzustehen war noch einmal etwas ganz anderes. 
Immer wieder gingen Murtagh die schrecklichen Dinge durch den Kopf, die er seinem kleinen Bruder beinahe angetan hätte, ebenso wie die Kämpfe, die sie gezwungen waren auszuführen. Die Schatten der Vergangenheit lasteten schwer auf seiner Seele und engten seinen Brustkorb ein. „Bleib ganz ruhig.“, unterbrach die sanfte Stimme des roten Drachen, die aufkommende Panik seines Reiters. „Eragon und Saphira sind beide klug genug um zu erkennen, dass wir die Dinge die wir getan haben nur unter Zwang ausgeführt haben. Zwar wird es nicht leicht werden ihnen gegenüberzustehen, aber ich denke nicht, dass du diese Unterhaltung mit gezogener Waffe wirst führen müssen.“ Inzwischen war der andere Drache so nahe, dass Murtagh den Reiter auf seinem Rücken erkennen konnte. Sein kleiner Bruder trug dieselbe Rüstung, die er auch schon bei ihrer letzten Auseinandersetzung getragen hatte und auch Saphira hatte sich dieses Mal in eine Rüstung gekleidet. Verständlich, wenn man bedachte, dass sie vorhatten, in die Schlacht gegen einen Schattenelfen und seine Streitmacht aus Ungeheuern zu ziehen. Trotzdem jagte Dorns Reiter der Anblick seines  schlachtbereiten Bruders einen Schauer über den Rücken. 
Dennoch schaffte er es grüßend die Hand empor zu heben und zu winken, als die blauschimmernde Drachendame zur Landung ansetzte. Doch als Eragon schließlich von ihrem Rücken gestiegen war und vor ihm stand hatte er einen Kloß im Hals. Er wusste einfach nicht, was er sagen sollte. Dem Jüngeren der beiden Reiter schien es ähnlich zu gehen, denn auch über seine Lippen kam kein Wort. Saphira schien dieses Problem nicht zu haben. Sie begrüßte Dorn kurz mit einem freundlichen Brummen, bevor sie sich an Sereth schmiegte. Der größere Drache legte einen seiner weißgeschuppten Flügel über den Rücken seiner Nistpartnerin und zog sie näher an seine Seite. Ihre Nähe linderte die Verzweiflung die der weiße Drache ob der Gefangenschaft seines Reiters verspürte, wohingegen sein warmer Körper langsam die Trauer ob des Verlustes ihrer Eier aus dem Herzen der saphirblauen Drachendame zog.
„Also“, versuchte Murtagh schließlich das Gespräch mit einem unverfänglichen Thema zu beginnen, „wie ich sehe, hast du ein neues Schwert.“ Der jüngere Reiter nickte. Erleichtert darüber, dass das unbehagliche Schweigen vorbei war, antwortete er: „Ja, die Elfen haben mir geholfen es zu schmieden.“ „Eine echte Reiterklinge also.“, stellte Murtagh fest. „Hat es denn auch einen Namen?“ „Ja, es heißt Brisingr.“ 
Stolz nannte Eragon den Namen, bis er plötzlich fluchend zur Waffe griff. Erschrocken griff auch Murtagh zu Zar roc, doch die Geste, die er als Auftakt für einen Angriff interpretiert hatte, erwies sich als etwas ganz anderes. Das Schwert an Eragons Hüfte war in saphirblaue Flammen aufgegangen und sein kleiner Bruder war im Moment damit beschäftigt die Funken zu löschen, die das geisterhafte Feuer auf seine Kleider geblasen hatte. Wild klopfte er auf die glimmenden Punkte auf seinem Wams und seinen Beinkleidern. 
Der Anblick war einfach zu komisch. Murtagh konnte nicht anders. 
Er brach in schallendes Gelächter aus. Einen Moment lang blickte Eragon ihn pikiert an, als er die letzten Reste der Glut gelöscht hatte, bis er in das Lachen einfiel. Als die beiden Brüder sich wieder etwas beruhigt hatten und Eragon seinem Bruder kurz erklärt hatte, was vorgefallen war, verfielen sie wieder in Schweigen, bis Murtagh schließlich das Thema anbrach, das ihnen beiden auf der Zunge brannte. „Es tut mir leid, was vorgefallen ist.“ Während er mit der linken Hand den Knauf von Zar roc umfasst hielt strich er sich die Haare aus der Stirn. „Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass Galbatorix so viel Einfluss auf mich ausübt. Damals kam es mir nur so unfair vor. Als ich, von den Zwillingen auf dem Weg nach Uru baen war, erfahren habe, dass wir Brüder sind, hat der König das ganz gezielt ausgenutzt. Systematisch hat er die negativen Gefühle die sich, während der Reise in mir aufgestaut haben verstärkt, bis ich in dir praktisch den Ursprung meiner elenden Kindheit gesehen habe.“ 
Kurz hielt Murtagh inne um sich zu sammeln. Eragon wartete geduldig. Auch die drei Drachen waren so still, wie es für Geschöpfe ihrer immensen Größe möglich war. Besonders Dorn lauschte gebannt. Zum ersten Mal fasste sein Reiter in Worte, was ihn dazu bewogen hatte, bis zu einem gewissen Grad auf die Versprechen des Königs einzugehen. Der rote Drache kam nicht umhin einen immensen Stolz auf seinen Reiter zu verspüren. Die geistige Reife, die aus seinen Worte sprach war ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die Ausbildung und die Freundschaft mit dem Schattenläufer und seinem Seelengefährten ihn hatten wachsen lassen. 
„Heute weiß ich, dass das unfair war. Weder kannst du etwas für meinen Leidensweg, noch hätte ich meinen Ärger auf dich fokussieren sollen. Aber ich brauchte einfach ein Ziel für all meine Wut und Enttäuschung und als ich damals Galbatorix Prügelknabe war, hat ein Teil von mir es wohl einfach nicht gewagt, ihm gegenüber Zorn zu verspüren.“ 
Aufmerksam hatte der jüngere Reiter den Worten seines älteren Bruders gelauscht. Jetzt trat er einen Schritt auf ihn zu. Kurz holte er tief Luft, bevor er mit fester Stimme sagte: „Du hast Fehler gemacht, Bruder. Das lässt sich nicht leugnen. Aber da bist du nicht der einzige.“ Ihm war deutlich anzusehen, dass es ihm schwer fiel weiterzusprechen, dennoch fuhr er fort: „Als du mir auf den brennenden Steppen an den Kopf geworfen hast, dass ich mich wenn ich in deiner Position gewesen wäre, nicht besser geschlagen hätte, war ich noch anderer Meinung, aber in letzter Zeit habe ich nachgedacht. Und ich muss zugeben, dass wenn ich mir die ehrliche Frage stelle, was ich tun würde wenn Saphira der bloßen Willkür eines geisteskranken Wahnsinnigen ausgeliefert wäre, dann hätte ich vermutlich ähnlich gehandelt.“ 
Mit einem Lächeln, hielt Eragon seinem älteren Bruder die Hand hin. „Ich kann nicht sagen, dass alles vergeben und vergessen ist, aber ich denke inzwischen kann ich dich verstehen. Was hältst du davon, wenn wir noch einmal als Freunde von vorne anfangen?“ Mit einem erleichterten Lächeln ergriff Dorns Reiter die Hand seines kleinen Bruders und nickte. Ein riesengroßer Stein fiel ihm vom Herzen. Die Tatsache, dass Eragon ihm zumindest teilweise verziehen hatte, bedeutete ihm viel. Dennoch blieb ein hartnäckiger Klumpen in seiner Seele, der verhinderte, dass er sich komplett entspannte. „Aber liegt diese Entscheidung überhaupt bei mir? Was ist mit den Zwergen?“ 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt