35. Brennendes Blut

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Angespannt wanderte Karis durch das Feldlager der Elfen. Warum er sich dazu entschieden hatte, einen näheren Blick auf die Armee der Elfen zu werfen, konnte er nicht sagen. Das letzte Mal als er in Kontakt mit einer größeren Ansammlung von Elfenkriegern gekommen war, hatte das zu einer erheblichen Ansammlung von Narben auf seinem Körper geführt. Aber nachdem er an diesem Morgen aufgewacht war, hatte er sich spontan dazu entschieden sich in ihrem Heerlager einzuschleichen.
Sein Seelengefährte war alles andere als begeistert von diesem Plan gewesen und der Schattenläufer hatte eine Menge Zeit benötigt, ihn davon zu überzeugen, dass ihm nichts passieren würde. Und obwohl der weiße Drache letzten Endes zugestimmt hatte, konnte Karis unterbewusst immer noch die schlechte Laune seines Drachen spüren. Sereth hatte einfach nicht verstanden, warum sein Reiter sich ohne ersichtlichen Grund in diese Gefahr brachte.
Es war Karis selbst ein Rätsel. Eigentlich hatte er keinen ersichtlichen Grund, warum er das Heerlager der Elfen besuchen wollte. Allein das Einschleichen war sehr anspruchsvoll gewesen. Zwar war das Lager, wie die beiden Seelengefährten bereits aus der Luft festgestellt hatten, von keinerlei physischer Barriere umgeben, aber als Karis näher an die Armee der Elfen herangekommen war, hatte er sofort bemerkt, dass zahlreiche Schutzzauber darum herum gewebt worden waren. Es hatte den Schattenläufer einiges an Zeit und beträchtliche Anstrengungen gekostet einen Weg hinein zu finden, ohne von den elfischen Wachposten bemerkt zu werden.
Zudem hatte er, bevor er in Sichtweite ihres Heeres gekommen war, einige leichte Veränderungen an seinem Äußeren vornehmen. Sein nebelgraues Haar hatte er aufgehellt so, dass es jetzt in einem silbrigen Glanz funkelte und seine Zähne und Krallen hatte er mit einem leichten Tarnzauber versehen, der sie unscheinbar und harmlos aussehen ließ. Sein restliches Erscheinungsbild, hatte er belassen wie es war. Weder sein Körperbau, noch seine Kleidung gaben einen Hinweis auf seine wahre Identität.
Lediglich Zwielicht hatte er bei seinem Drachen lassen müssen, dafür trug er seinen Drachendolch an seiner Hüfte.
Zunächst hatte er sich gesorgt, dass seine mangelnde Bewaffnung auffallen würde, doch nachdem er erst in die aus Pflanzenfasern gesponnenen Zeltreihen eingetaucht war, stellte er fest, dass es einige Elfen gab die, auch nur einen Dolch trugen oder gar keine Waffen trugen. Was im Nachhinein durchaus verständlich war. Immerhin waren die Elfen deutlich stärker als Menschen und daher nicht wirklich auf Waffen angewiesen, zudem waren ausnahmslos alle Mitglieder des schönen Volkes, denen er begegnete mit Schutzzaubern belegt. Und jetzt lief er mitten durch ihre Reihen und bemühte sich, sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen.
Bei den Varden hatte er sich zwar an die Anwesenheit des Wolfkatzenelfs Bloedhgarm und seiner Garde gewöhnt, aber der Anblick der vielen tausend Elfen, in deren Mitte er sich jetzt befand war ihm unangenehm. Immer wieder rechnete er damit, dass einer der Elfenkrieger auf ihn losgehen würde und die Narben auf seinem Körper begannen jedes Mal zu jucken, wenn er einen Blick aus den Augen eines der Elfen auffing. Dennoch gelang es ihm ein relativ neutrales Gesicht zu bewahren, bis er plötzlich aus den Zeltreihen trat und einen Pavillon erblickte.
Um den Pavillon war in etwas größerem Abstand eine kreisförmige Fläche freigeblieben, was seine Pracht noch etwas hervorhob. Das Grundgerüst der Unterkunft, bestand ähnlich den Zelten aus gesponnenen Pflanzenfasern, die allerdings so dicht verbunden waren, dass sie deutlich massiver wirkten. Zudem war es im Gegensatz zu den Behausungen der Armee, mit kunstvoll verwobenen Verzierungen versehen. Selbst einige weiße Blüten leuchteten in dem satten Grün, aus dem die Unterkunft bestand. Schon auf den ersten Blick konnte der Schattenläufer sehen, dass es sich bei dieser Unterkunft um die Behausung eines hochrangigen Mitglieds des Elfenvolkes handeln musste.
In angemessenem Abstand, schritt er einmal um die Unterkunft herum. Die Seitenwände bestanden aus demselben Material, wie das Grundgerüst, allerdings waren sie in einem helleren Grün gehalten. Doch genaueres konnte er nicht feststellen, da er aufgrund der zehn elfischen Krieger, die in unregelmäßigen Abständen um die Unterkunft Wache hielten, lieber nicht näher an das Gebilde herantrat.
Nachdem er seine Neugier befriedigt hatte, tauchte er wieder in den Zeltreihen unter, um sich noch etwas mehr im Heerlager umzusehen. Zu seiner Überraschung, entdeckte er noch etliche ebenso kunstvoll hergestellte Behausungen, die in unregelmäßigen Abständen über das Heerlager verteilt waren. Im Allgemeinen war das Lager der Elfen wesentlich künstlerischer aufgebaut als das der Varden. Schon aus der Luft hatte der Reiter Sereths festgestellt, dass ihre Zelte sowohl anmutiger, als auch funktioneller als die bei ihren Verbündeten verwendete Variante hergerichtet waren.
Nachdem er einmal aus der Nähe beobachtet hatte, wie eine Gruppe Elfenmagier eines ihrer Zelte aufbaute, wunderte das den Schattenläufer allerdings überhaupt nicht. Die Unterkunft wurde förmlich aus dem Boden gesungen. Karis konnte beobachten, wie unter den magischen Klängen, die Pflanzen zu wachsen und sich miteinander zu verflechten begannen, bis schon nach kürzester Zeit eine Behausung aus dem Boden spross, die jede Unterkunft ihrer menschlichen Verbündeten mühelos übertraf. Selbst Nasuadas rotes Kommandozelt, dass durchaus nicht schäbig war, konnte damit nicht konkurrieren.
Gerne hätte er den magischen Gesängen noch weiter gelauscht, denn die Elfenmagier setzten bereits dazu an, weitere Unterkünfte aus dem Boden wachsen zu lassen, als Karis vom Anblick einer kleinen Prozession Elfen, die in einiger Entfernung einen der prachtvollen Pavillons verließ, abgelenkt wurde. An der Spitze schritt eine ehrfurchtgebietende Elfenfrau, deren Stirn von einem silbernen Diadem umschlossen wurde. Sie trug eine prachtvolle silbern verzierte Rüstung und über ihren Schultern lag ein Mantel aus Schwanenfedern. Bei dem letzten Detail machte es in Karis Kopf Klick.
Laut dem Schattentöter, gab es nur eine Elfe, die einen Mantel aus den ausgefallenen Federn dieser Vögel trug. Das musste die Elfenkönigin Islanzadi sein. Würde und eisernde Selbstkontrolle zierten ihr Antlitz, als sie ihren strengen Blick über ihre Umgebung gleiten ließ.
Hastig wich der Drachenreiter einige Schritte zurück, bis er im Schatten eines Zeltes stand. Zwar war er der Herrscherin des schönen Volkes nie begegnet, aber er hatte genug über sie gehört, um lieber etwas vorsichtiger zu sein. Doch gerade als er sich zwischen die Zelte zurückziehen wollte, geschah es.
Einige Elfen, die der Gruppe um die Königin im Weg waren, traten beiseite, wodurch sich die Aufstellung der Wachen in ihrem Gefolge kurz änderte und Karis einen Blick auf eine junge Elfe erhaschte, die direkt hinter Islanzadi herlief. Ihre Haare waren schwarz wie die der meisten Elfen, aber dazwischen blitzten in unregelmäßigen Abständen silberhelle Strähnen hervor. Der Anblick erinnerte den Drachenreiter unwillkürlich an Sterne, die am Nachthimmel aus einer Wolkendecke hervorstrahlten.
Einen Moment lang folgte er den Bewegungen der Elfe, die der Königin folgte, bis sie sich plötzlich umwandte. Für einen kurzen Moment setzte sein Denken aus, als er in ihr Gesicht sah. Ihre Augen waren von einem klaren Blau, das ihn an zwei Bergseen erinnerte. Wohingegen ihre Züge etwas leicht Verspieltes an sich hatten. Unwillkürlich schlug Karis Herz höher. Er bemerkte wie seine äußere Gelassenheit verrutschte, während er ihren Blick erwiderte, aber konnte nicht verhindern, wie sein Blut schneller durch seinen Adern strömte. Als er bemerkte, wie er die Elfe, die inzwischen stehen geblieben war, anstarrte, brach er den Blickkontakt ab. Abrupt blickte er beiseite und schüttelte den Kopf um wieder einen klaren Gedanken zu fassen.
Mit einigen schnellen Schritten entfernte er sich von der Gruppe und verschwand zwischen den elfischen Unterkünften. Bei einem kurzen Blick über die Schulter stellte er fest, dass die Elfenfrau ihm noch einen Moment nachdenklich nachsah, aber sich dann abwandte und wieder zur Königin aufschloss. Während er sich durch die Zeltreihen schlängelte, dachte Karis nach. Was war gerade mit ihm los gewesen? Dass sein Denken so komplett aussetzte, war ihm noch nie passiert. Normalerweise war er immer in der Lage einen kühlen Kopf zu bewahren, aber als er diese Elfe gesehen hatte, war ihm förmlich die Luft weggeblieben. Er spürte wie sein Seelengefährte sich schwach am Rand seines Bewusstseins regte. Dem weißen Drachen waren die Gefühle, die durch seinen Reiter getobt hatten, nicht entgangen. Aber aufgrund der Distanz und der Gefahr der Entlarvung seines Reiters hielt er sich noch zurück, obwohl der Schattenläufer seine Neugierde spüren konnte.
Ohne sich noch groß für seine Umgebung zu interessieren, glitt Karis geschmeidig durch das Heer der Elfen. Den Gedanken an die Elfe, die ihn so komplett aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, verdrängte er dabei entschieden.
Er konnte sich zum jetzigen Zeitpunkt keine Schwäche leisten. Trotzdem erwischte er sich immer wieder dabei wie seine Gedanken zu dem silbernen Glitzern in ihren rabenschwarzen Haaren abdrifteten. Als er die magische Begrenzung, die das Heerlager des schönen Volkes umgab erreichte, atmete er auf. Er war das Sich verstellen, das im Lager der Elfen nötig gewesen war leid. Mit einer flüssigen Bewegung, wirkte er den Zauber, der ihm erlaubte den Schutzwall unbemerkt zu passieren und der ihn auch unsichtbar werden ließ, bevor er unerkannt die Abgrenzung überschritt.
Auf dem Rückweg zu seinem Seelengefährten und den beiden Citharki, dachte er angestrengt nach. Es war ihm unklar, was ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Als er die Elfe die, die Königin begleitet hatte, erblickt hatte, war es als würde flüssiges Feuer durch seine Adern rasen und ihn gleichzeitig wärmen und von innen verzehren. Der Schattenläufer war so in Gedanken versunken, dass er die Versuche seines Seelengefährten mit ihm in Kontakt zu treten zunächst überhaupt nicht wahrnahm.
Erst als zwei Schritte vor ihm ein kleiner Stein einfach mit einem krachenden Geräusch zersplitterte, schreckte er auf. „Habe ich jetzt endlich deine Aufmerksamkeit?", ertönte die schnippische Stimme seines Seelengefährten in seinem Kopf. Der weiße Drache hatte Astrallevitation genutzt, um noch von ihrem Rastplatz aus die Aufmerksamkeit seines Reiters zu erregen. „Gut, wärst du dann so freundlich mir zu erklären, was in deinem kleinen Kopf vorgeht, es ist als würde ich in einen tosenden Orkan blicken. Dein Geist wirbelt eine Unzahl an Bildern und Emotionen durcheinander, aber du hältst keinen lange genug fest, dass ich aus dir schlau werden könnte."
Unfähig das was er im Lager der Elfen erlebt hatte in Worte zu fassen, öffnete Karis seinem Seelengefährten seinen Geist. Während der weiße Drache, nachdenklich die Bilder der Elfenfrau und die Gefühle, die seinen Reiter bei ihrem Anblick erfüllt hatten begutachtete, blieb der Schattenläufer kurz stehen, um die Zauber zu lösen, die ihm ein elfisches Äußeres verliehen, wodurch seine Haare wieder ein nebelartiges Grau annahmen und seine Zähne und Fingernägel wieder ihre scharfen Kanten bekamen.
Er wollte gerade seinen Weg vorsetzen als er hörte, wie jemand hinter ihm hörbar die Luft einsog. Überrascht wirbelte er herum, die Hand bereits an seinem Dolch, als er die Person erkannte, die in einiger Schritte Entfernung vor ihm stand und ihn anstarrte. Es war die silber- und schwarzhaarige Elfe, aus den Erinnerungen, die sich Sereth gerade ansah. Für einen kurzen Moment spürte Karis wieder das komische Flattern in seinem Bauch, das er bereits bei ihrem Anblick im Lager der Elfen erlebt hatte, doch er schob dieses Gefühl mit aller Macht beiseite und blieb in einer kampfbereiten Haltung stehen.
Auch sein Drache, durch die Überraschung seines Reiters aufgeschreckt, beobachtete die Situation, durch seine Augen. Die junge Elfe musste ihm seit er das Lager ihres Volkes verlassen hatte, gefolgt sein. Das war beeindruckend. Es gab nicht viele, die in der Lage waren ihm unbemerkt nach zu schleichen. Doch der jungen Elfe, der er jetzt gegenüber stand und die ihn jetzt überrascht anstarrte, schien es gelungen zu sein.
Halb verdeckt von der Maske der Gleichgültigkeit, konnte Karis deutlich die Verwunderung, in ihren Augen sehen. Da der Schattenläufer sich nicht anders zu behelfen wusste, gab er schließlich die kampfbereite Haltung auf und begann die elfischen Begrüßungsformel, die er während seiner Zeit bei den Varden von der Elfengarde gelernt hatte.
„Atra Esterni ono thelduin. " Die Augen der Elfe weiteten sich überrascht, dennoch, erwiderte sie die Begrüßung. „Mor'ranr lifa unin Hjarta onr." Und um ihr zu verdeutlichen, dass er keine feindseligen Absichten hegte, fügte er noch die letzte Zeile hinzu: „Un du Evarinya ono varda." Die Züge der Elfe wurden etwas weicher, aber der misstrauische Blick in ihren Augen blieb. Fragend sah sie den Schattenläufer an.
„Wer seid ihr? Was habt ihr in unserem Lager gemacht?" „Ich bin Karis. Karis Schattenläufer.", beantwortete der Drachenreiter ihre Frage, nur um sich im nächsten Augenblick innerlich zu ohrfeigen. Wieso nur hatte er ihr seinen richtigen Namen genannt? Zwar hatte sie ihn in der alten Sprache gefragt, aber es hätte dennoch Möglichkeiten gegeben, sich um eine klare Antwort zu drücken. Aber dafür war es jetzt zu spät. Die Elfe riss überrascht die Augen auf. „Ihr seid der Drachenreiter, der bei den Varden erschienen ist? Der, der dem Schattentöter am Helgrind das Leben gerettet hat?"
Resigniert hob Karis seine rechte Hand, bis die Elfe das silbern schimmernde Drachenmal auf seiner Handfläche sehen konnte. Bei dem Anblick, blieb seiner Gegenüber die Luft weg. Die Maske der Gelassenheit, die sie eben noch auf ihren Zügen getragen hatte, schmolz dahin und der Drachenreiter konnte grenzenlose Aufregung, in ihren Augen lesen. „Warum seid ihr hier? Wo ist euer Drache? Warum habt ihr euch nicht offiziell im Lager bei Königin Islanzadi vorgestellt?"
Die Flut der Fragen, die die Elfenfrau, oder wie Karis sich selbst nach genauerem Hinsehen korrigierte, das Elfenmädchen ihm stellte, überwältigte den Drachenreiter. Die Wissbegierde und der Enthusiasmus der Silberschwarzhaarigen setzten ihn einfach matt. Sie war ganz anders als die Elfen, die er bei den Varden getroffen hatte.
Diese waren immer distanziert und höflich gewesen. Meistens hatten sie emotionslos gewirkt und sich so gut wie nie anmerken lassen, was sie gerade dachten. Selbst wenn sie verletzt oder beleidigt waren, hatten sie sich immer so gut im Griff gehabt, dass man ihnen so gut wie nie eine Gefühlsregung angesehen hatte. Karis kam nicht umhin festzustellen, dass ihm die Lebensfreude der jüngeren Vertreterin des schönen Volkes, die vor ihm stand, wesentlich besser gefiel.
Schließlich gebot er der Flut an Fragen mit erhobenen Händen Einhalt. „Das sind gute Fragen. Aber denkst du nicht, dass es besser wäre, sich erst selbst vorzustellen, ehe du jemanden mit Fragen löcherst." Die Ohren der Elfe wurden leicht rot, als sie verlegen den Kopf senkte. Jetzt erkannte der Schattenläufer auch, wie jung seine Gegenüber sein musste. Sie konnte höchstens 30 Jahre alt sein, was nach elfischen Maßstäben einem recht jungen Erwachsenen entsprach. Dass sie es dennoch geschafft hatte ihm zu folgen, ohne das er es bemerkt hatte, war beeindruckend.
„Ihr habt natürlich Recht." Die Stimme des Elfenmädchens klang leicht unsicher, wie ein Schüler, der von einem älteren und erfahreneren Lehrer ermahnt worden war. „Ich bitte um Verzeihung für meine Unhöflichkeit, Schattenläufer." Abwehrend hob Karis die Hände und erwiderte mit sanfter Stimme. „Schon gut. Ich bin es nur nicht gewohnt, dass man mir so viele Fragen stellt. Trotzdem wüsste ich gerne wie du heißt." Daraufhin schenkte das Elfenmädchen ihm ein schüchternes Lächeln, bei dem ihre saphirblauen Augen, hell funkelten. „Mein Name ist Brionna."

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt