67. Die Waisenkinder

263 15 0
                                    

„Jetzt lass ihn mal wieder los, Dorn. Er erstickt noch.“„Nein“, entgegnete der rote Drache störrisch. Seine Schnauze lag direkt vor seinem Reiter auf der blanken Erde und seine Flügel hatte er schützend über den Schwarzhaarigen ausgebreitet. Sereth und Saphira, schwebten mit ihren Reitern, über der kleinen Gruppe und beobachteten das Ganze amüsiert. 
Trotz der Tatsache, dass Murtagh nicht verletzt war, verhielt der rote Drache sich sehr beschützend und begann jedes Mal zu knurren, wenn sein Seelengefährte sich von ihm entfernen wollte. „Was hast du dir dabei gedacht? Wieso hast du dich allein mit diesem rothaarigen Spitzohr angelegt?“ Zornig peitschte der Schweif des roten Riesen durch die Luft und warf dabei einige der Trümmer um. Der Tumult, den er damit verursachte entging ihm aber vollkommen. Seine ganze Aufmerksamkeit lag auf seinem Reiter. 
„Ich wusste nicht, wer er war. Hätte ich es gewusst, hätte ich euch sofort benachrichtigt. „Und warum hast du dich nicht zurückgezogen, nachdem dir klar geworden ist, dass du keinem gewöhnlichen Gegner gegenüberstehst?“ Weil ich nicht konnte.“ Ohne auf das Knurren seines Seelengefährten einzugehen, öffnete Murtagh seinen Geist und zeigte Dorn, was er empfunden hatte, als er bemerkt hatte, welches kranke Spiel der Schattenelf mit den Kindern gespielt hatte. Die Trauer und der Zorn, die ihn so ungemein an seine eigene Jugend in Uru baen erinnert hatten. 
Das Gefühl der Verantwortung, das ihn durchströmt hatte, als er den Kindern in die Augen geblickt hatte und das ihn dazu angetrieben hatte, sie zu beschützen. Etwas peinlich berührt ob dieses Gefühlsausbruchs senkte Murtagh den Kopf und erwartete eine spöttische Bemerkung, seitens seines Seelengefährten, oder eines der anderen Reiter oder deren Drachen. Doch anstatt eines Kommentars vernahm er das stolze Summen Dorns, das ihn angenehm durchschüttelte, da er immer noch in dessen Flügel eingewickelt war.  „Du bist gewachsen.“ 
Irritiert ob dieser Aussage, hob Murtagh seinen Blick und blickte seinen Freund fragend an. „Während deiner Zeit in Uru baen hat Galbatorix es geschafft, dir den Gedanken einzuflößen, dass es egal ist, wie es den anderen um dich herum geht, solange du mit heiler Haut davonkommst. Zwar hat dich früher das Leid anderer schon berührt, doch die Zeit in Uru baen hat Splitter in deiner Seele hinterlassen, die dein Denken vergiftet haben und ich habe oft überlegt, wie ich sie entfernen könnte, ohne größere Verletzungen zu verursachen.“ Kurz blickte er seinen Reiter bedeutungsvoll an, die Sorge in seinen Gedanken offenkundig, bis er ihn plötzlich unerwartet mit der sanften Unterseite seiner Zunge abschleckte. 
„Aber anscheinend hat die Zeit das bereits für mich übernommen.“  
Der Ernst schmolz von den Zügen des Drachen, während sein Reiter prustend und schnaubend einen Schritt zurücktrat und sich unter dem Gelächter der Kinder über das Gesicht fuhr. Schabernack glitzerte in den Augen des roten Riesen und trotz des gespielt wütenden Tons in seiner Stimme konnte sein Reiter nicht verhindern, dass sich ein leichtes Lächeln in seine Augen schlich. „Was ist eigentlich aus dem Respekt vor den Älteren geworden? Ich bin immer noch mehr als  18 Jahre älter als du.“ „Versuchs gar nicht erst.“, meinte plötzlich die Stimme des Schattenläufers, der sich ihnen während ihres Geplänkels unbemerkt zusammen mit Eragon genähert hatte. Da der Platz auf dem Hinterhof eigentlich bereits für Dorn zu klein war, hatten Sereth und Saphira gar nicht erst versucht dort zu landen. 
Karis und Eragon waren einfach etwa 20 Meter über dem Boden, von den Rücken ihrer Seelengefährten gesprungen. 
Ein Akt, der einem Menschen vermutlich einige gebrochene Knochen beschert hätte, den beiden Reitern jedoch ohne Probleme gelungen war.
Lediglich die Tatsache, dass Dorn bei seinem Versuch zu seinem Reiter zu gelangen, auf keines der Gebäude Rücksicht genommen hatte, hatte ein kleinen Problem aufgeworfen, da die Reiter um einige größere Trümmer herumklettern mussten, bevor sie zu dem jüngsten Drachenreiter-Gespann treten konnten. „Drachen zählen das Alter anders als wir und besonders Reiterdrachen neigen dazu, ihre Reiter als ihre kleinen Geschwister anzusehen auf die sie aufpassen müssen.“ 
„Besonders, wenn die kleinen Geschwister die Angewohnheit haben ihre Nasen in Dinge zu stecken, die zurückbeißen können.“ 
Bei dem Einwurf wurde Eragon puterrot, was die beiden anderen Reiter höflicherweise ignorierten. Stattdessen wandten sie sich den Kindern zu, die immer noch in einem gewissen Abstand zu Dorn standen und sie mit großen Augen anstarrten. Was in ihnen vorging, war schwer zu sagen, aber anhand ihrer Aura konnte Karis erkennen, dass ihre Stimmung zwischen Entsetzen ob der Entlarvung des Schattenelfen und Bewunderung den Drachen gegenüber hin- und herschwankte. 
Im Moment schien Letzteres zu überwiegen, denn eines der Kinder trat vorsichtig näher und betrachtete Dorn mit großen Augen. 
Als Dorn jedoch seinen Blick auf das kleine Mädchen richtete, wich sie hastig zurück und Furcht zu weit gegangen zu sein, flackerte über ihr Gesicht. Sofort schob der Älteste von ihnen sie hinter sich. Ein zorniger Ausdruck stand in seinen Augen, als er sich zwischen den Drachen und seine Freundin bewegte, doch er überdeckte nur mühsam die Furcht, die ihn zweifellos beim Anblick des blutroten Giganten erfüllte.
Dennoch zitterte seine Stimme kein bisschen, als er an die Reiter gewandt fragte: „Was wird jetzt mit uns geschehen?“ Kurz tauschten die drei einen Blick, bevor Murtagh antwortete: „Wir könnten euch zu den Varden mitnehmen. Dort gibt es eine Gruppe von Männern und Frauen, die sich um die Kinder von Gefallenen kümmert. Ich bin sicher, dass sie sich auch für euch sorgen werden.“ 
Schon bevor er ausgesprochen hatte, brach ein Mädchen in Tränen aus. „Ich will hier nicht weg. Was wenn meine Mutter wieder kommt.“ Die drei Reiter tauschten einen unsicheren Blick, doch bevor sie antworten konnten, erwiderte das Älteste der Kinder: „Sie wird nicht wieder kommen. Sie ist tot.“ 
Diese Antwort war so unverblümt, dass das Mädchen tatsächlich zu schluchzen aufhörte, aber ihr liefen immer noch Tränen die Wangen hinunter.
Auch dem Jungen lief Wasser aus den Augen, als er kurz ihren verzweifelten Blick erwiderte, bevor er sich an seine restlichen Freunde wandte. „Dieser Mistkerl hat uns belogen. Sie sind tot.“ Jetzt brachen auch die restlichen in Tränen aus. Zwei von ihnen sanken zu Boden und umklammerten ihre Knie, während sie immer wieder verneinend den Kopf schüttelten. Wohingegen die restlichen einfach in einer Art Schockstarre dastanden, während ihnen das Wasser aus Mund und Nase lief. 
Keines von ihnen schien sich so ohne weiteres damit abfinden zu können, dass sie ihre Eltern nie wieder sehen würden.
Während Murtagh und Eragon die Kinder mit einer Mischung aus Mitleid und Trauer betrachteten, nahm Karis eher ein Gefühl der Hilflosigkeit war. Er konnte mit solchen Situationen nicht so gut umgehen. Auch wenn er Murtagh gesagt hatte, dass es zu den Aufgaben eines Reiters sich um die Schwächeren zu kümmern hatte er damit nicht wirklich mehr Erfahrung als der Schwarzhaarige. Daher hielt er sich lieber etwas zurück und wartete lieber, bis sich die Kinder ausgeweint hatten. Es dauerte einige Zeit, bis sie schließlich so weit waren, die Stadt zu verlassen. Einige von ihnen schienen sich immer noch an die Hoffnung zu klammern, dass ihre Eltern doch noch irgendwo waren, dennoch gelang es den Reitern sie zu überzeugen, dass es für sie im Moment am besten wäre zu den Varden zu gehen. Das wäre sicher auch das was sich ihre Eltern wünschen würden. Dass sie in Sicherheit wären und das sich jemand um sie kümmerte.  
Danach führten die drei Reiter die Kinder durch die Straßen Belatonas zu dem Heerlager, das sich vor den Toren erstreckte. Auf dem Weg fragte Karis den Ältesten von ihnen, der sich am ehesten mit der Erkenntnis abgefunden zu haben schien, dass ihre Eltern tot waren und der wie er herausfand auf den Namen Connor hörte, was der Schattenelf überhaupt von ihnen gewollt hatte. Etwas beschämt reichte der Junge ihm den Sack, den der Schattenelf fallengelassen hatte, als er mit Murtagh gekämpft hatte. 
„Er meinte, da niemand mehr in den Häusern wohnen würde, wäre es kein Diebstahl.“ Mit hochgezogenen Augenbrauen, zog Karis die Verschnürungen auseinander und blickte in den Beutel. Seine Augen wurden groß, als er die vielen Juwelen und mit Edelsteinen verzierten Objekte sah. 
Anerkennend pfiff er durch die Zähne. „Ihr wart ganz schön fleißig.“ 
Kleinlaut zuckte der Junge mit den Schultern. „Ich weiß, das war falsch, aber die Versuchung war einfach zu verlockend. Immerhin hat dieses Ungeheuer uns versprochen uns zu unseren Eltern zu bringen.“ „Ich glaube nicht, dass du dir da Sorgen machen musst, Connor.“ Beruhigend legte Murtagh, der der Unterhaltung gefolgt war, dem Jungen eine Hand auf die Schulter. „Zwar war es streng genommen Plünderung, was ihr da betrieben habt, aber ich denke unter diesen Umständen werden die Anführer der Varden sicher darüber hinwegsehen.“ 
Kurz warf er dem Schattenläufer einen fragenden Blick zu, der zustimmend nickte. Dadurch entging ihm der bewundernde Blick den Connor ihm zuwarf. 
Der Junge schien von dem schwarzhaarigen Drachenreiter, seit seinem Kampf mit dem Schattenelfen, sehr beeindruckt zu sein, wie Karis amüsiert feststellte. „Hat Ecros gesagt, was er mit den Juwelen vorhatte?“ Fragend blickte Eragon auf den 12-Jährigen herab, doch zu seiner Enttäuschung schüttelte dieser den Kopf. „Uns gegenüber hat er immer behauptet, dass er diese Juwelen braucht um unsere Reise zu unseren Eltern zu bezahlen.“ Er schnaubte bitter. „Ich denke es ist offensichtlich, dass das eine Lüge war.“
„Offensichtlich.“, wiederholte Karis, doch seine Gedanken waren ganz woanders. Während sie ihren Weg durch die Stadt fortsetzten, ruhte sein Blick die ganze Zeit nachdenklich auf dem Schmuck, den er hielt. 
Schließlich ergriff Sereth, der seinen Gedankengängen gefolgt war das Wort. „Du denkst, er wollte Gefallenensteine erschaffen?“ Karis nickte. „Das erscheint mir als die einzige logische Schlussfolgerung. Immerhin sind noch drei Drachenreiter in der Stadt. Er ging ein beträchtliches Risiko ein, indem er hier blieb.“ Kurz unterbrach der Schattenläufer den Dialog, während er einem der jüngeren Kinder über ein Paar Trümmer half, die eine Straße unpassierbar machten. „Seine Streitkräfte sind in der Schlacht gegen die Urgals beträchtlich dezimiert worden. Jetzt wo er Alagaesia seine Existenz offenbart hat, benötigt er eine gewisse Machtposition. Sonst wird er in den Mühlen dieses Krieges einfach zermalmt. Darum glaube ich, ist er hier geblieben, um zu versuchen seine Verluste wettzumachen.“
„Aber den Plan hat ihm Murtagh gründlich durchkreuzt. Er hat sich ziemlich gut geschlagen.“Karis nickte zustimmend mit dem Kopf. „Stimmt. Auch wenn ich nicht genau weiß, was geschehen ist, istEcros immer noch ein alter und sehr mächtiger Schatten. Auch wenn Dorn ihm geholfen hat, bin ich sehr beeindruckt.“ 
Sereth stieß ein dunkles Brummen aus und für einen kurzen Augenblick konnte Karis  durch die Augen seines Seelengefährten wahrnehmen, wie er seinen Schüler musterte. Das Weiß der Trümmer strahlte heraus und wurde nur von vereinzelten blauen Aspekten überlagert. Zwischen dem ganzen Glanz wirkte der Körper des jungen Mannes beinahe blass und farblos, aber er bewegte sich mit einem neuen Selbstvertrauen und einer noch von den meisten unbemerkten Fürsorge, die sichtbar wurde, als er einem kleinen Mädchen, das hingefallen war, wieder auf die Beine half. 
„Wie Dorn sagte, er ist gewachsen.“ 
Der Rest des Weges zu dem Heerlager der Varden verlief unspektakulär. Die einzigen Chimären, die sie noch sahen, waren die während des Kampfes getöteten Kreaturen, die die Krieger der Varden noch nicht aufgesammelt und verbrannt hatten. Sie stießen lediglich auf einige Werkatzen, die ebenso wie sie noch auf der Suche nach noch lebenden Feinden waren und ihnen im Vorbeiflitzen beiläufig zunickten. 
Den Kindern standen beim Anblick der kleinen Sagengestalten, die an ihnen vorbeirauschten, die Münder offen. Ein Anblick, der selbst Karis ein kleines Lächeln abverlangte.
Als sie die Varden schließlich erreicht hatten, dauerte es nicht mehr lange, bis sie Adriana, die Frau, die die Fürsorge für die Kinder ins Leben gerufen hatte, gefunden hatten. Die etwas stämmigere grauhaarige Frau, strahlte Freundlichkeit und Lebensfreude aus. Aber, als sie die Kinder sah und von den drei Reitern ihre Geschichte hörte, verfinsterte sich ihr Blick. „Mir ist ja schon vieles untergekommen, aber hilflose Kinder für seine Raubzüge zu nutzen und dabei auch noch mit ihren  Hoffnungen zu spielen.“ 
Grimmig ballte sie ihre Hände zu Fäusten. „Oh wenn ich diesen, diesen….“ Sie war so in Rage, dass sie bei dem Versuch eine passende Beleidigung für den Schattenelfen zu finden, ihre Fäuste in der Luft schüttelte. Schließlich gab sie auf und wandte sich wieder an die drei Reiter und versicherte ihnen, dass sie sich so gut es ihr möglich wäre, um die Kinder kümmern würde. Karis war von ihrem Blick, als sie erfahren hatte, was Ecros den Kleinen angetan hatte, mehr als beeindruckt. Eines war ihm klar. Diese Frau mochte nicht über die Ausbildung eines erfahrenen Kriegers oder Magiers verfügen, aber wenn es um die ihr anvertrauten Kinder ging, konnte sich ihre Entschlossenheit und ihr Zorn mit dem jedes  Gegners messen, dem er die letzten Jahre gegenüber gestanden hatte. Er war überzeugt, dass die Waisen hier in den besten Händen waren. 
Nachdem sie sich von den Kindern verabschiedet hatten und Dorns Seelengefährte den Kleinen versprochen hatte sie bald zu besuchen, verließen die drei Reiter die Unterkünfte der Erzieher und machten sich auf den Weg zu Nasuadas Kommandozelt. Sie mussten ihr noch die Nachricht von Murtaghs Aufeinandertreffen mit dem Schattenelfen überbringen. 

************************************
So, diesmal 2 kapitel. Das eine wollte ich schon letzte Woche hochladen, aber wattpad hat gespinnt.

LG Fine

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt