Dröhnende Langeweile und Stillstand zeichneten das Lager der Varden, seit der Niederlage am ersten Tag der Belagerung aus. Das gesamte Heer machte nichts anderes als auf die Ankunft des weißen Schattens zu warten. König Orrin von Surda befand sich in seinem Zelt und betrachtete mit gerunzelter Stirn wie eines seiner Experimente sich entwickelte. Ein gläserner Kolben, in dem sich langsam über einer offenen Flamme eine purpurne Flüssigkeit erwärmte und von dem bläulicher Rauch aufstieg.
Dieser wurde durch einen durchsichtigen Schlauch geleitet, der zu einem mit Wachs luftdicht versiegelten Gefäß führte.
Normalerweise würde er die Zurschaustellung der physikalischen Gesetze der Natur mit höchstem Interesse beobachten, doch heute waren seine Gedanken anderweitig beschäftigt. Heute würde der Schattenläufer die Varden erreichen. Ihm drehte sich der Magen um bei dem Gedanken daran den Drachenreiter, der ihn bei ihrer ersten Begegnung so gedemütigt hatte, wieder zu sehen. Und die Begeisterung mit der der Rest des Heeres ihn willkommen heißen würde, gefiel ihm überhaupt nicht.
Er verstand es einfach nicht. Frauen warfen sich ihm förmlich um den Hals, gestandene Männer und erfahrene Soldaten suchten bei ihm Rat und selbst die Oberhäupter der einzelnen Völker richteten sich nach seinen Worten.
Und nicht nur seinen. Seit Eragons Auftauchen nahm die neue Generation der Reiter immer mehr Einfluss auf die einzelnen Völker. Darum hatte er auch versucht sich selbst zumindest die Kontrolle über einen der neuen Reiter zu sichern, um zumindest diesen in die richtigen Bahnen lenken zu können und zu verhindern, dass es einen neuen Galbatorix geben würde. Doch zu seinem Leidwesen hatte niemand seine Intentionen verstanden.
Er war von allen Seiten als machtgieriger Egomane betrachtet worden, dabei hatte er doch nur versucht die Zukunft der Völker zu schützen. Doch das hatte ihn mehr Ansehen gekostet, als er jemals wieder zurückerlangen konnte.
Die kürzlich getroffene Entscheidung auf den Schattenläufer zu warten, anstatt seinem Vorschlag zu folgen war nur wieder ein Beleg dafür, wie wenig die anderen Anführer inzwischen von ihm hielten. Sein Einfluss war dahingeschmolzen, seine Rolle im Führungsstab ihrer Allianz war nicht mehr als eine Fassade und die Ablehnung der anderen Anführer ihm gegenüber war für ihn mehr als offenkundig. Obwohl sein Vorschlag offensichtlich der vernünftigste gewesen war, hatten die anderen Anführer sich dafür entschieden, ihre ganzen Hoffnungen in den weißen Schatten zu setzen.
Bei dem Gedanken an den Reiter des weißen Drachen knirschte der König mit den Zähnen.
Dieser Reiter! Er hatte ihm gezeigt, in welche Richtung sich diese neue Generation entwickeln würde. Anfangs als es nur Eragon gegeben hatte, hatte er noch diesen Unsinn mit der neutralen Rolle als Friedensstifter geglaubt, aber seit dieser grauhaarige Bastard ihn in aller Öffentlichkeit bloßgestellt hatte, sah er es klar und deutlich.
Wenn es so weiterging, dann würde dieser ganze Krieg selbst wenn er mit ihrem Sieg endete nur einen neuen Tyrannen auf den Thron befördern. Das durfte er nicht zulassen. Entschlossen erhob er sich aus seinem Stuhl und trat an den Eingang seines Zeltes. Ohne seinen Forschungsobjekt noch eines Blickes zu würdigen, verließ er seine Unterkunft. Seine Leibgarde formierte sich wie von selbst um ihn herum und ohne ein Wort begleiteten sie ihn auf seinem Weg durch das Lager.
Die einzelnen Gesichter und Zelte die er passierte, verschwommen vor seinen Augen zu einem uninteressanten Fluss.
Zielstrebig wanderte er durch das Lager und blieb nur einmal stehen, als ihm ein Fuhrwerk den Weg versperrte. Der Besitzer saß auf dem Kutschbock und unterhielt sich freundschaftlich mit einem Mann, der neben dem Zugpferd stand und lachend zu ihm heraufrief. Es dauerte einen Moment, bis er die wartenden Soldaten bemerkte. Daraufhin brachen sie sofort ihre Unterhaltung ab und der Mann auf dem Fuhrwerk machte sich mit einer gemurmelten Entschuldigung aus dem Staub, während sein Freund schleunigst die Beine in die Hand nahm.
Mit düsterer Miene starrte der Herrscher Surdas ihnen einen Augenblick nach, ehe er seinen Weg fortsetzte. Das Ereignis so unbedeutend es auch gewesen war, war ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die Stimmung innerhalb der Völker sich gegen ihn gewandt hatte. Zu Beginn ihres Feldzugs hatte seine bloße Anwesenheit für erhebliches Aufsehen und den gebotenen Respekt gesorgt und die bloße Tatsache, dass er nicht bemerkt würde war ein Ding der Unmöglichkeit. Aber seit dem Auftauchend es weißen Drachen und seines Reiters war er in die Vergessenheit versunken.
Jetzt würdigten ihn die Leute keines zweiten Blickes mehr und er konnte froh sein, wenn die einfachen Leute ihn überhaupt noch mit Respekt begegneten. Das musste sich ändern, bevor der Einfluss der Reiter das einfache Volk komplett vergiftete.
Nach einem kurzen Fußmarsch erreichten sie schließlich ihr Ziel. Ein kleines, dunkelblaues Zelt, vor dem zwei Elfenmagier standen.
Es lag am Rande einer großen leergeräumten Fläche auf der eine junge Drachendame mit dunkelblauen, weißumrandeten Schuppen vor sich hin döste. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete der Herrscher Surdas das junge Drachenmädchen. Bei jedem Atemzug raschelten ihre Schuppen und richteten sich neu aus, was die weißen Ränder in sanftem Licht aufblitzen ließ. Doch trotz der Schönheit der jungen Dame, verspürte Orrin bei dem Anblick nur eine Kälte, die seine Glieder steif werden ließ. Diese Kreatur war zusammen mit ihrem noch ungeborenen Artgenossen seine letzte Chance gewesen Einfluss auf den noch jungen Orden der Reiter zu nehmen und einen den Menschen gewogenen Mitstreiter zu erhalten, doch durch die selbstsüchtige Entscheidung der Reiter war ihm auch das nicht vergönnt gewesen.
Zwar hatte Eragon gesagt, dass es die Entscheidung der Eltern gewesen war, aber er war kein Narr. Er wusste, dass Karis im Hintergrund die Fäden gezogen hatte um ihm die Möglichkeit zu verwehren wieder an Ansehen zu gewinnen. Brodelnder Hass auf den Halbschatten brannte in Orrins Magen auf und unbewusst machte er einen Schritt auf das junge Weibchen zu, seine rechte Hand auf seinem Schwert. Doch bevor er mehr tun konnte als es einen Spalt weit herauszuziehen, riss ihn ein Geräusch aus den hinteren Reihen des Heerlagers aus seiner Rage. Schnell nahm er die Hand von seiner Waffe, als ein paar Elfen aus dem Zelt traten und zu der blauen Echse liefen, die aufgeregt ihren Kopf anhob.
Das Geräusch war kein Alarm. Es waren Glocken, die ein sanftes Läuten durch das Lager schickten. Ein Signal, das Nasuada, nachdem jetzt mehre Reiter auf ihrer Seite standen, eingeführt hatte um ankommende Reiter und ihre Drachen anzukündigen. Verbittert beobachtete Orrin, den weder die Elfen, noch Sereths Tochter bemerkt hatten, wie die Varden und Krieger um ihn herum in Jubel ausbrachen als ihnen der Grund für die Glocken klar wurde.
Der weiße Schatten musste inzwischen so nahe sein, dass ihn die Beobachter ihrer Streitmacht hatten identifizieren können. Das Drachenmädchen vor ihnen schlug mit den Flügeln und erhob sich in die Lüfte.
Der König beobachtete wie es in den Himmel aufstieg und auf einen näherkommenden weißen Fleck zustieb. Selbst ein ungeschulter Beobachter wie er, konnte die Freude in den Flügelschlägen erkennen, die das blauweiße Reptil vorwärts trieb. Sie freute sich ganz offensichtlich im selben Maß darüber ihren Vater wiederzusehen, wie Orrin diesen Gedanken verabscheute. „Nein.“, dachte er sich, beim Anblick der zahlreichen Männer, Frauen und Kinder um ihn herum, die bei dem Versuch die Landung des weißen Drachen zu beobachten beinahe über ihre eigenen Füße stolperten, „Diese blinde Verehrung mussaufhören.“
Sein Blick schwankte von der davon fliegenden Drachendame zu dem tiefblauen Zelt, vor dem noch immer zwei Elfen standen. Wenn er sie nicht kontrollieren konnte, dann würde er zumindest dafür sorgen, dass es nie wieder Reiter geben würde um die man sich Sorgen machen musste. Doch nicht heute. Mit wehendem Mantel drehte er dem Zelt, das das letzte Ei von Sereth und Saphira in sich barg den Rücken zu.
Er musste sich in Geduld üben. So ein Ausrutscher wie gerade eben durfte ihm nicht noch einmal passieren.
Seine Zeit würde kommen. Kurz glomm in seinem Kopf noch einmal die Erinnerung an die Frau mit den weißen Haaren auf, die ihn am letzten Abend aufgesucht hatte. Sie hatte ihm Macht und Einfluss versprochen nach dem Sieg über den Tyrannen, zusammen mit dem Ende der Bedrohung durch den Orden der Reiter.
Alles was sie dafür verlangt hatte, war die Auslieferung des größten Schatzes den die derzeit einzigen Reiter besaßen. Zwar hatte er anfangs noch gezögert, immerhin waren die Reiter trotz ihrer Differenzen die mächtigste Waffe die sie dem Tyrannen entgegenzusetzen hatten und für den Fall, dass er erwischt wurde, würden sie ihn ohne Zweifel töten, doch die Informationen über den Schattenläufer die sie ihm zugespielt hatte, zusammen mit ihren beeindruckenden, magischen Fähigkeiten hatten ihn überzeugt.
Mit grimmiger Schadenfreude, beobachtete er wie der weiße Schatten, gefolgt von den Gestalten eines roten und eines blauen Drachen, in einiger Entfernung zur Landung ansetzte. Er würde nicht wissen, was ihn getroffen hatte.
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Der Weiße Schatten
FanfictionEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...