46. Strahlende Seelen

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Mit leiser, fast flüsternder Stimme begann Karis seine Zauber zu wirken. Seine Stimme strich über den kleinen Lagerplatz, inmitten der erstarrten Flammen und legte sich sacht, wie ein Windhauch, auf den blauen Feuerring. Dunkle Energieströme lösten sich von seinen Händen und schlugen in den Kreis ein, während er seine Energie darin einschloss. Gleich darauf begannen, zuckende schwarze Blitze zwischen den einzelnen Formen hin- und her zuspringen und hüllten die eisblaue Farbe, in einen düsteren Glanz.
Langsam wurde die Stimme des Schattenläufers lauter. Seiner Beschwörung folgend erhoben sich einzelne Lichtbögen von den Flammen und vervielfachten sich, in der Luft über ihren Köpfen, bis sie in so großer Zahl um das Lager wirbelten, dass sie eine kleine, tiefschwarze Kuppel zu bilden schienen. Einen Käfig aus Nacht, verankert in ewigem Eis. Als der Wall schließlich so fest erschien, wie eine massive Eierschale, verstummte Karis Beschwörung und schwer atmend trat er einige Schritte von dem magischen Gebilde zurück.

Schon für den ersten Teil der Beschwörung hatte er an seine Grenzen gehen müssen und ohne seinen Seelengefährten, der inzwischen außerhalb der Mauer nicht mehr zu erkennen war und der ihm, während des Zaubers, beständig Energie zugeführt hatte, wäre die Durchführung undenkbar gewesen. Kurz sandte er seinem Drachen eine Woge der Dankbarkeit, bevor er sich wieder an den jüngeren Reiter und Dorn wandte, die zusammen mit ihm, im Inneren der Kuppel standen. Die Anspannung, war den beiden im dunklen Glanz der Energieströme, die sie umgaben deutlich anzusehen.
Doch noch bevor Karis etwas zu ihrer Ermutigung sagen konnte, tauschten Drache und Reiter einen bedeutungsvollen Blick. Es schien als ob sie Kraft aus dem Augenpaar des jeweiligen Seelengefährten ziehen würden, denn als sie ihre Blicke wieder auf den Schattenläufer richteten, funkelte neue Entschlossenheit in ihren Augen. Anerkennend nickte Karis dem jungen Reiter zu, ehe er sich an Dorn wandte und bedeutungsvoll auf die Kuppel zeigte. „Also, wenn du die Güte hättest." Mit einem tiefen Schnaufen, sog der rote Drache die Luft ein und legte den Kopf in den Nacken. Mit einem rauschenden Atemzug, entfesselte er die Urgewalt seines Feuers. Blutrote Flammen schossen zur Decke der Kuppel empor und trafen auf die schwarzen Blitze. Einen Moment lang schien es, als ob sie wirkungslos aufeinander prasseln würden, doch dann vereinten sich die beiden Magieströme und das rote Feuer, glitt an der Kuppel herab, zu den erstarrten Flammen.
Ein lautes Zischen ertönte, als die heißen Flammen sich auf ihre erhärteten Ebenbilder stürzten. Die geschmolzenen Formen, verdunsteten zu weißem Nebel. Feine Risse zogen sich von dem schmelzenden Flammenkreis aus, über die eben noch so solide wirkende Kuppel und im nächsten Moment zerbrach sie wie gesprungenes Glas. Aber die pechschwarzen Trümmer, fielen nicht auf die beiden Reiter und den Drachen herab. Stattdessen begannen sie kaum, dass sie sich voneinander gelöst hatten in einem eisigen Blau zu leuchten, bevor sie, in blenden weißem Licht, explodierten. Der sanfte Ton, der dabei entstand, klang wie das leichte Aufeinanderschlagen von zwei Gläsern und begleitete eine schwarzblaue Druckwelle, die sich aus den explodierten Trümmern löste und über die Ebene, auf der der Lagerplatz lag, raste.
„Und was passiert jetzt?", wollte Murtagh nach einer Weile wissen, nachdem trotz des beeindruckenden Schauspiels nichts weiter geschehen war. Mit einem wissenden Lächeln deutete Karis auf eine kleine Hügelkette, die sich in einiger Entfernung, gegenüber des Elfenheeres in den Himmel erhob. „Geduld.", war die einzige Antwort, die er dem jüngeren Reiter gab und gerade als dieser genervt aufstöhnen wollte, sah er wie an den Hügeln, auf die der Ältere zeigte, etwas flackerte.
Im ersten Moment hielt er es für eine Luftspiegelung, doch als er genauer hinsah, wurde sein Mund trocken. Drei Energiekugeln, von etwa der Größe von Pferdeköpfen, rasten auf sie zu. Die Erste schimmerte in strahlendem Rot, etwas heller, als die Schuppen seines Seelengefährten, die Zweite leuchtete gelb wie die Sonne und die Dritte erstrahlte in einem kräftigen Blau durch das sich silberne Schimmer zogen, wie ein Fluss der in der Sonne glitzert.
Als die drei Lichtkugeln bei ihnen ankamen, begannen sie die beiden Drachenreiter und ihre Seelengefährten zu umkreisen, während immer wieder farblose Blitze zwischen ihnen hin- und herflogen. „Sie beraten sich.", erklärte Karis dem jüngeren Reiter, der das Ganze verständnislos beobachtete. „Das Angebot, das sie angelockt hat, ist gut, denn ich biete eine Energiemenge, die ich die letzten zehn Jahre gespart habe." Zur Verdeutlichung zog er einen kleinen violetten Kristall aus der Tasche seines Mantels und hielt in die Höhe. In seinem Inneren flackerte ein dunkles Licht. Selbst ohne mit dem Edelstein in Kontakt zu treten, konnte Murtagh die Kraft, die darin gelagert war, beinahe schmecken. „Aber der Gefallen um den ich sie bitte, ist auch kein Geringer. Die Geister gewähren nicht oft Zugriff auf ihre Erfahrungen und nicht wenige von ihnen, haben durch die Geisterbeschwörung, die einige Magier betreiben, schon schlechte Erfahrungen mit unsereins gemacht."
„Ich verstehe.", meinte Murtagh, behielt jedoch ebenso wie sein roter Drache, die sie umkreisenden Energiewesen, genau im Auge. Schließlich schienen sie zu einer Entscheidung gekommen zu sein, denn die drei Kugeln, lösten sich aus dem Kreis und schwebten, stattdessen direkt vor dem Gesicht des Schattenläufers. Karis blieb bewegungslos stehen, während er spürte, wie die Geister seine Gedanken erforschten. Sie wollten wissen, weshalb er ihnen dieses Angebot unterbreitet hatte und ob der jüngere Reiter dieser Gabe, die die Geister ihm damit machen würden, auch würdig wäre. Zur Antwort ging Karis in Gedanken noch einmal das Gespräch durch das er mit Murtagh geführt hatte. Er ließ die Geister die Entschlossenheit spüren die er bei Dorns Seelengefährten gespürt hatte, ebenso den unbedingten Willen frei zu sein.
Wohl wissend, dass die Geister gerade diesen Impuls sehr gut nachvollziehen konnten. Schließlich beendete er die Gedankenübertragung, mit der Überzeugung, dass die Erfahrungen und die Weisheit der Geister dem jüngeren Reiter und seinem Seelengefährten helfen würden, sich aus den Zwängen, die Galbatorix auferlegt hatte, zu befreien.
Erneut, zuckten farblose Blitze zwischen den einzelnen Lichtkugeln hin und her, als die Energiewesen sich berieten, ob sie auf die Bitte des Schattenläufers eingingen. Schließlich kamen sie zu einer Einigung.
Ein großer Stein fiel Karis vom Herzen, als er das Gefühl der Zustimmung empfing, dass der blaue Geist ihm sandte. Die anderen Beiden schienen etwas skeptischer zu sein, aber waren ebenfalls einverstanden. Hochzufrieden legte Karis den Kristall mit der gespeicherten Energie, der als Bezahlung für die Beschwörung dienen sollte vor sich auf den Boden, bevor er sich zu Murtagh wandte und sagte: „Setz dich am besten auf den Boden. Wenn die Geister anfangen ihre Erinnerungen mit dir zu teilen, wirst du für eine Weile die Kontrolle über deinem Körper verlieren und ich will nicht riskieren, dass du dich aus Versehen selbst verletzt, falls du das Bewusstsein verlierst."
Von dieser Aussicht ebenfalls nicht begeistert, setzte sich Murtagh widerstrebend auf den Boden und lehnte sich an seinen Drachen. Kurz kniete der ältere Reiter sich vor ihn auf den Boden und blickte ihm noch einmal in die Augen. „Und bereit?" Dorns Reiter nickte. In seinen Augen konnte Karis die Aufregung und die Anspannung sehen, die Morzans Sohn gerade erlitt, deshalb klopfte ihm der Schattenläufer noch einmal ermutigend auf die Schulter, bevor er sich erhob und einige Schritte von ihm zurücktrat. Mit einem gedanklichen Wink bedeutete er den Geistern anzufangen.
Die bunten Energiekugeln, tauschten noch einmal eine Ladung farbloser Blitze aus, bevor sie sie vor dem jüngeren Reiter in Position flogen.
Murtagh behielt sie dabei genau im Auge. Er konnte noch einen gleißenden weißen Blitz sehen, der in rasanter Geschwindigkeit von dem gelben Geist zu dem roten, von dorthin zu dem Blauen und dann direkt auf ihn zustieß. Kurz fühlte es sich, als würde eine gleißende Nadel sich in seinen Schädel bohren, dann wurde es dunkel um ihn.
Es schien ihm, als würden tastende Finger, aus tausend Scherben über seinen Geist streifen, als er seinen mentalen Schutzwall senkte und die Erinnerungen der Energiewesen seine Gedanken erfüllten. Jede Einzelne schien einen kleinen Kratzer auf seiner Seele zu hinterlassen, bevor sie in seinem Inneren aufglühte und sich mit seinen Erinnerungen verband. Gedanken, Bilder und Gefühle strömten durch seinen Geist.
Er sah grüne Meere, die in mächtigen Stürmen wüteten, riesige Berge die Feuer spien, tiefe Spalten die keinen Boden zu kennen schienen und in deren Dunkelheit, dennoch ein schwaches blaues Licht glühte. Ebenso tauchten zahlreiche Städte vor seinem inneren Auge auf. Prächtige Kulturen, mit Städten aus reinem Gold, die auf dem Höhepunkt ihrer Macht zerbrachen und zu Asche zerfielen, bis nichts mehr von ihre Existenz zeugte.
Eine tiefe Ehrfurcht, erfüllte ihn beim Anblick dieser Bilder.
Diese Energiewesen hatten bereits so Vieles gesehen. Sie waren Zeuge von Naturkatastrophen gewesen, hatten Reiche untergehen sehen, deren Herrlichkeit alle Städte des Imperiums in den Schatten stellte. Im Angesicht dieses Wissens, dass die Geister im Laufe der Jahrtausende angesammelt hatten, fühlte er sich zum ersten Mal klein. Plötzlich verschwammen die Bilder vor seinem inneren Auge und Murtagh spürte wie etwas an seinem Geist zu ziehen schien. Er konnte das Gefühl nicht wirklich beschreiben. Es war, als ob die körperlichen Grenzen, denen er unterlag nicht mehr gelten würden. Er fühlte sich schwerelos, fast so wie wenn er seinen Geist mit dem Dorns verband und in dessen Körper das Gefühl des Fliegens erlebte.
Aber auf gewisse Weise ganz anders. Als er im Körper von Dorn auf dem Wind gesegelt hatte, hatte er das Gefühl der Freiheit genossen, das dieses Erlebnis mit sich gebracht hatte, aber er war auf gewisse Weise, stets von den Launen des Windes angewiesen gewesen. Das war einfach ein Gesetz der Natur. Eine Tatsache, die selbst das stolze Volk der Drachen anerkannte. Aber jetzt war es so, als ob der Wind jede seiner Bewegungen vorhersehen würde. Kaum wollte er in eine Richtung erschien es ihm, als ob der Wind sich gerade so drehen würde, dass er seinen Flug begünstigte. Und dann wurde es ihm klar. Der Wind half ihm nicht. Er war ein Teil von ihm. Es war, als wäre er mit der Luft um ihn herum durch die sanften Energieströme, die ihm erst jetzt auffielen, verbunden.
Und nicht nur mit der Luft.
Zart wie schimmernde Spinnweben, wirbelten diese Energielinien durch das ganze Land. Sie verbanden Berge, Wälder, den Himmel und selbst das große Meer, welches im Westen Alagaesias lag und wo sich die ehemalige Insel der Drachenreiter befand. „Alles ist miteinander verbunden.", wurde dem Drachenreiter klar. „Jede noch so kleine Tat, kann eine gewaltige Reaktion bewirken." Fasziniert beobachtete Murtagh, die sanften Energieströme, die das Land durchzogen und in allen Farben schillerten. Selbst das Licht war davon nicht ausgenommen. Feine goldene Bahnen, folgten den Strahlen der Sonne und verbanden sie mit allem Anderen, was sie berührten.
Jetzt fielen ihm auch die zahlreichen Geister auf, die sich auf den Energieströmen bewegten. Sie folgten einzelnen Fäden. Tanzten förmlich mit der Energie und erfüllten ihre Umgebung dadurch mit einem Gefühl der Freiheit und der Freude, dass es das Herz von Dorns Reiter wärmte.
Eine Zeit lang folgte er den Bewegungen der einzelnen Energiewesen. Er spürte ihre Verbindung mit der Erde, den Wäldern und dem Himmel. An ihrer Seite nahm er die Macht einer Felslawine wahr, die am Rand des Beor-Gebirges in die Tiefe stürzte. Er glitt mit ihnen in die Tiefen eines Sees und atmete dessen träge Schönheit ein. Und obwohl er genau wahrnahm, dass sie mit nichts davon wirklich in Kontakt traten, so spürte er doch wie wichtig die Wesen aus Energie, für die Welt aus festen Stoffen waren. Es war, als ob sie zwei Teile derselben Münze wären.
Aber am deutlichsten, stand über all diesen Eindrücken der Glanz des Lichtes, der von der Sonne herab, auf das Land schien. Noch nie, so schien es ihm, als ob er alle Facetten von etwas so genau sehen würde, wie diese. Auf den ersten Blick hatte das Licht, welches vom Himmel fiel überall dieselbe Farbe, doch jetzt wo er in seinem Glanz badete und es ungehindert seine Seele zu berühren schien, kam es ihm so vor, als ob er es noch nie, wirklich gesehen hätte. Das Licht schien zu zerfasern, je jäher es dem Erdboden kam, bis ein für die Lebewesen erträglicher Glanz daraus wurde, aber in der Geistform, in der Dorns Reiter sich jetzt befand konnte er einen Blick auf die ungetrübte Schönheit dieser Erscheinung erhaschen und auf die Macht die darin wohnte. Ungetrübt durch die körperlichen Beschränkungen, denen seine physische Existenz unterlag, konnte er die grenzenlose Energie sehen, die in jedem einzelnen Lichtstrahl lag, den die Sonne auf das Land unter ihr warf. Sprachlos versank er im Anblick dieses sengenden Wunders.
Er war so in die glanzvolle Erscheinung vertieft, dass im gar nicht auffiel wie die Erinnerungen der Geister begonnen, sein Bewusstsein zu erweitern. Langsam, wie ein sachter Windhauch strömten die Erfahrungen durch seine Gedanken. Es war, als würde ein tiefer Teil des Bewusstseins des jungen Reiters, welches bis zu diesem Tag geruht hatte, erwachen. Die Weisheit der Energiewesen, erfüllte die schmerzhaften Narben seiner Vergangenheit, mit einem Licht, dass ihm den Atem verschlug. Sie zogen bittere Stacheln aus seinem Herzen die bis zu diesem Tag von ihm unbemerkt dort geruht hatten. Erleichtert stieß er die Luft aus, als der bohrende Schmerz in seiner Brust nachließ. Dennoch überrascht ihn auch einiges, was die Geister aus seiner Vergangenheit zerrten.
Die nagende Eifersucht zu Beispiel, die er seinem kleinen Bruder gegenüber empfunden hatte und die ihm jetzt erst bewusst wurde. Das Gefühl, dass dieser alles bekommen hatte, was er sich als Kind immer gewünscht hatte und was er nie bekommen hatte. Eine liebevolle Familie und ein glückliches Zuhause. Doch jetzt wurde ihm klar, dass er nichts davon wirklich Eragon anlasten konnte. Sein Bruder war zu jener Zeit gerade auf die Welt gekommen. Ihm die Schuld für etwas zu geben, was nur am König und seinem Vater gelegen hatte, war absolut sinnlos.
Die Erleichterung, die ihn durchströmte, als dieser Stachel sich aus seiner Seele löste und in der Dunkelheit des Vergessens verschwand, bestätigte seine Erkenntnis.
Noch weitere Bilder durchströmten seinen Geist. Erinnerungen an die Freundschaft, die sich mit seinem kleinen Bruder aufgebaut hatte, während sie zusammen auf der Reise gewesen waren. Momente die er mit seinem Drachen geteilt hatte, kurz nach seinem Schlüpfen. Während des kurzen Zeitraums, in dem Galbatorix sie noch in Ruhe gelassen hatte, damit sie ein Bindung aufbauen konnten, die er später nutzte um sie zu kontrollieren. Kleine kostbare Augenblicke, die, für den Sohn Morzans, trotz der Hintergedanken des wahnsinnigen Königs, dennoch wertvoller war, als alles andere, was er bis dahin erlebt hatte.
Die Geister zeigten ihm Momente seiner Vergangenheit, die sich wie kleine Lichtinseln gegen das dunkle Meer aus Resignation, Verzweiflung und Zorn richteten, dass der lange Aufenthalt in Uru baen in ihm aufgebaut hatte. Immer heller wurde dieser Glanz in seiner Seele bis schließlich das ganze Meer in seinem Inneren zu schimmern schien, wie ein See in einer Vollmondnacht. Und dann brach das Meer mit einem für Murtagh singenden Laut, entzwei und das Licht flutete ungebremst seine Seele.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt