31. Abschiede

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Von düsteren Gedanken erfüllt betrat Murtagh den Thronsaal Uru baens. Vor vier Tagen hatte der König erfahren, dass der Angriff der Chimären des Schattenelfen auf das Lager der Varden mehr als erfolglos verlaufen war und das die Kreaturen, die eigentlich Chaos unter den Varden hatten verbreiten sollten, jetzt dem neuen Drachenreiter dienten, der sich bei ihnen aufhielt. Zunächst war er in die für ihn typische Raserei verfallen. Sein Zorn ob des erneuten Versagens seines Verbündeten, hatte zwei seiner Diener das Leben gekostet, dann hatte er Murtagh befohlen, den Schattenelfen aus seinen Gemächern zu holen, um ihn zu befragen.
Für den jungen Reiter war es von vornherein klar gewesen, wie diese Befragung vonstattengehen würde. Der Schattenelf würde den Thronsaal nicht mehr lebend verlassen. Doch als er dessen Räume betreten hatte, war er eines besseren belehrt worden. Ecros war verschwunden.
Galbatorix war außer sich gewesen, als ihm der Reiter des roten Drachen davon berichtet hatte. Sein ohnehin bereits gewaltiger Zorn hatte sich noch gesteigert und das alles hatte er an Murtagh und seinem Drachen ausgelassen. Während er die Treppen zum Thronsaal hinaufstieg spürte er einen stechenden Schmerz, der sich über seinen Rücken zog. Eines der Überbleibsel der Verletzungen, die ihm die Folterknechte des Königs zugefügt hatten. Doch mehr noch als den Schmerz hatte Murtagh einen flüchtigen Moment in Erinnerung, als er dem König von der Flucht des Schattenelfen berichtet hatte.
Für einen kurzen Augenblick war die Selbstbeherrschung des Herrschers von Alagaesia ins Wanken geraten. Ecros Verschwinden war für ihn eine unliebsame Erinnerung daran gewesen, dass er trotz all der versklavten Drachenseelen, über die er verfügte, nicht alles und jeden in seinem Reich kontroliierte. Das hatte einen Riss im Selbstvertrauen des Königs zur Folge gehabt. Die Folterqualen, die er Murtagh im Anschluss hatte zufügen lassen, waren nicht mehr gewesen, als ein verzweifelter Versuch sich selbst wieder davon zu überzeugen, dass er die absolute Macht in seinem Königreich besaß.
Mit einem leisen Knarzen öffnete der junge Reiter die Tür zum Thronsaal. Wie die vielen Male davor wurde der gewaltige Saal lediglich von einer Handvoll glühender Kristalle in eisblaues Licht getaucht. Hinter dem Thron lauerte undurchdringliche Schwärze, die das Licht regelrecht zu verschlucken schien. Murtagh wusste, dass der König versuchte damit die Personen, die er zu ihm bringen ließ einzuschüchtern, aber für ihn hatte dieser Anblick längst seinen Schrecken verloren. Shruikans dunkle Schwingen, von denen die Finsternis herrührte, waren für ihn lediglich eine Erinnerung daran, dass er genauso an diesen Wahnsinnigen gebunden war, wie der schwarze Drache.
„Ich habe einen neuen Auftrag für dich." Die honigsüße Stimme des Königs unterbrach die Resignation, die ihn bei dieser Erinnerung immer erfüllte. Während er auf den Thron, der am anderen Ende des Raumes stand zuschritt, dachte er daran, wie sehr er diesen Tonfall an dem König hasste. Wenn er zornig war, peitschte seine Stimme durch die Luft und offenbarte all seinen Wahnsinn, dann musste man sich vor ihm in Acht nehmen, aber wenn er mit so sanfter Stimme sprach, wie jetzt, dann war er weit gefährlicher. Dann war es unmöglich zu sagen, was gerade in ihm vorging. Daher näherte Murtagh sich vorsichtig wie ein scheues Reh, dem König.
„Was wünscht ihr von mir, mein König?" Obwohl er sich innerlich wand, als die einschleimenden Worte seinen Mund verließen, so hatte er doch schon früh gelernt, dass eine Unverschämtheit Galbatorix gegenüber unangenehme Folgen nach sich ziehen würde, die das kurze Gefühl der Befriedigung nicht wert war. Der selbsternannte Herrscher Alagaesias erhob sich von seinem Thron, als Murtagh die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte und kam ihm ein Stück entgegen. Sein weiter aus schwarzer Drachenhaut geschnittener Mantel wehte dabei um seine Beine. Und das weiße Schwert, das an seiner Seite hing, klapperte leise.
„Du wirst dich nach Gil ead begeben und der dort stationierten Garnison bei der Verteidigung der Stadt helfen." „Ihr meint gegen die Elfen?" Obwohl er sich bemühte dem König nicht zu widersprechen, konnte Murtagh doch nicht verhindern, dass sich ein ungläubiger Tonfall in seine Stimme schlich. Er wusste, dass die Elfen die mächtigsten Magier in Alagaesia waren. Was er allein mit Dorn gegen eine derartige Übermacht bewirken sollte, war ihm unklar. Er zuckte zusammen, als ihm Galbatorix unvermittelt den Arm, gönnerhaft auf die Schulter legte. „Ich erwarte nicht, dass ihr sie besiegt. Ich erwarte lediglich, dass du und dein Drache einen gewissen Blutzoll von ihnen fordern werdet."
Innerlich knirschte Murtagh mit den Zähnen während der König ihn, immer noch mit dem Arm über seiner Schulter, wieder zum Ausgang des Thronsaals führte. Eine solche Denkweise sah dem König ähnlich. Er wollte seine Feinde zermürben. Darum ließ er auch zu, dass die Varden Stadt um Stadt einnahmen. Er genoss es dabei zuzusehen, wie seine Soldaten und seine Feinde Blut vergossen, während er unbeteiligt aus Uru baen zusah. Das gab ihm ein Gefühl von Überlegenheit den einfachen Menschen gegenüber.
Eine Charaktereigenschaft des Königs, die Murtagh anwiderte. Doch in seiner derzeitigen Lage gab es nichts, das er dagegen tun konnte. Daher antwortete er lediglich resigniert: „Wie ihr befehlt." Zufrieden blieb Galbatorix vor den Türen zum Thronsaal stehen, die sich nach Murtaghs Eintreten, wie von selbst geschlossen hatten und die jetzt auf einen stummen Befehl des Königs, wieder lautlos aufschwangen.
Kurz packte er dem jungen Drachenreiter an den Schultern und zwang ihn so ihm ins Gesicht zu sehen. „Gut, ich hoffe du enttäuscht mich nicht." Die falsche Freundlichkeit die in seiner Stimme lag, wich bei den letzten Worten etwas und erinnerte Murtagh unwillkürlich an die Ereignisse, nachdem er von der Schlacht auf den brennenden Steppen zurückgekehrt war und Galbatorix ihn für seine Befehlsverweigerung bestraft hatte. So brachte er nicht mehr als ein schwaches Nicken zustande. Doch mehr schien der Herrscher Alagaesias gar nicht zu erwarten. Mit einem leichten Stoß schubste er den jüngeren Reiter zur Tür.
Murtagh und Dorn verließen noch am selben Tag die Stadt Uru baen, ohne zu ahnen, dass sie nie wieder in die die von Galbatorix regierte Stadt zurückkehren würden. Dabei bemerkten sie die geflügelte pferdeähnliche Gestalt nicht, die ihren Abflug beobachtete und die sich dann mit einem wiehernden Geräusch daran machte ihnen zu folgen.

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt